| Lesedauer: 6 Minuten
Am 13. Oktober startet das 12. Kurdische Filmfestival Berlin. Festivalleiter Roj Hajo über Highlights und den Schwerpunkt Rojava.
Berlin. Einen kurdischen Nationalstaat gibt es nicht, und so ist die kurdische kulturelle Produktion über den Globus verteilt, in den Regionen Kurdistans und der Diaspora. Das spiegelt das Kurdische Filmfestival Berlin wider, das in seiner 12. Edition den Fokus auf Rojava, die in Syrien gelegene Region Westkurdistan legt. Festivalleiter Roj Hajo spricht über das vielfältige Festivalprogramm, das neben internationalem Kino auch mit Kunst und Paneldiskussionen Einblicke in die soziale, kulturelle und politische Realität der Region bietet. Das Festival findet vom 13. bis 19. Oktober in den Kinos Babylon, Moviemento und FSK Kino sowie Online statt.
Auf dem Festivalplakat ist ein Stacheldrahtzaun zu sehen, in den bunte Tücher gebunden sind. Wofür steht dieses Bild?
Roj Hajo: Der Stacheldraht steht für die Grenze zu Syrien und der Türkei. Eine Grenze ist abschreckend und militärisch, aber dahinter stecken Menschen mit unterschiedlichen Geschichten, und dafür stehen die farbigen Stoffreifen. In der kurdischen Kultur bindet man Klamottenstückchen an Bäume, damit Wünsche in Erfüllung gehen. Das Festival will diese Geschichten zeigen.
Gute Woche-NewsletterAlles Gute aus Berlin in einem Newsletter - jede Woche gute Nachrichten
Hat Ihr Vorname Roj den gleichen Ursprung wie „Rojava"?
Roj bedeutet Sonne oder Tag und Rojava heißt wortwörtlich übersetzt, wo die Sonne untergeht. Auf Deutsch sagt man auch Westkurdistan zu der Region.
Rojava ist der Fokus des diesjährigen Festivals. Warum haben Sie diesen Schwerpunkt gewählt?
Wir haben vier Jahre lang jedes Mal einen Fokus auf eine Region Kurdistans. Das erste Jahr war es Bakur in der Türkei, dann Bashur im Nordirak. Diesmal ist es Rojava und im nächsten Jahr Rojhilat im Iran. Wir zeigen Filme aus der Region, von Filmemachern aus der Region. Für diese vier Jahre wurden wir vom Senat gefördert. Ohne diese Mittel könnte das Festival in dieser Form nicht stattfinden. Mehmet Aktaş von der Berliner Produktionsfirma Mîtosfilm hat das Festival 2002 gegründet. Wir haben nicht in jedem Jahr eine Förderung erhalten, deswegen sind wir jetzt auch in der zwölften und nicht in der 20. Edition.
Was gibt es beim Festival zu sehen?
Wir zeigen um die 50 Spielfilme, Dokumentationen, Kurzfilme, Experimental- und Kinderfilme. In der Kurzfilmsektion haben wir einen Wettbewerb ausgeschrieben, damit junge Filmemacher die Möglichkeit bekommen, mit einem Preisgeld kommende Projekte zu finanzieren. Zum ersten Mal haben wir diesmal parallel zu den Filmen eine Kunstausstellung mit Performances, Fotoreihen und multimedialen Installationen von diversen Künstlern, darunter Zehra Doğan, die mehrere Jahre in der Türkei im Gefängnis saß und inzwischen glücklicherweise in Berlin lebt. Was in den letzten Jahren immer sehr gut ankam, sind die Panels, die wir veranstalten. Diesmal gibt es eine Veranstaltung mit der Anthropologin Şermin Güven, die sich mit der globalen Wasserkrise entlang der wichtigsten Flüsse Mesopotamiens auseinandersetzt sowie eine Lesung eines Schriftstellers aus Rojava, der in Deutschland lebt. Die Filme kann man sich alle auch online ansehen. Das nutzen Menschen weltweit, auch aus der kurdischen Region. Die müssen dann allerdings oft VPN nutzen, um darauf zugreifen zu können.
Welche Filme sind Ihre persönlichen Highlights?
Wir freuen uns mit „Nachbarn" von Manu Khalil so einen starken Eröffnungsfilm zu haben. Der Film zeigt seine Kindheit in Syrien. Und diese Erfahrungen haben viele Kurden, die von den 1960er- bis 1980er- und den späten 1990er-Jahren aus Syrien nach Deutschland oder Europa geflohen sind, selbst gemacht. Dazu gehörten auch meine Eltern. Ich erinnere mich, wie sie mir als Kind diese Geschichten erzählt haben, wie sie etwa in der Schule behandelt wurden und welchen Luxus wir hier in den Schulen hatten. Leider Gottes gab es damals das faschistoide Baath-Regime. Kurden durften nicht ihre eigene Sprache sprechen, wurden von Lehrern geschlagen und schikaniert, das wird im Film auch gezeigt. Was ihn aber spannend macht, ist dass Khalil das mit Humor tut. Dann gefällt mir „Sonne" von Kurdwin Ayub besonders gut, der auch auf der Berlinale lief und von Ulrich Seidl produziert wurde. Wir haben den tollen Dokumentarfilm „Eine Brücke nach Rojava" des syrischen Kurden Ekrem Heydo, der die aktuelle Situation wunderbar schildert. Wir haben auch eine Mîtosfilm-Produktion, den Polit-Thriller „Das Milan-Protokoll" von Peter Ott. Das politische Konstrukt zwischen Deutschland, Syrien, Türkei, dem IS und anderer Mächte, die alle mit ihren eigenen Interessen agieren, wird darin beleuchtet. Catrin Striebeck spielt die Hauptrolle einer Ärztin, die in der kurdischen Region gekidnappt wird.
Was beschäftigt die Filmemacher in Rojava im Moment?
Wenn ich mit Bekannten dort spreche, ist es immer diese Unklarheit. Das Schlimmste ist, wenn man nicht weiß, was passieren wird. Die Stadt ist im Wiederaufbauprozess, das bringt neue Gedanken, neue Möglichkeiten zur Veränderung. Frauen bekommen dort gerade eine stärkere Stimme. Die Kämpferinnen, die nach dem Krieg gegen den IS zurückgekehrt sind, haben gesagt: Wir werden jetzt keine Hausfrauen, sondern der Kampf geht weiter. Es gibt Bürgermeisterinnen, Anwältinnen, Ärztinnen. Auch weil viele Männer geflohen sind, scheint es so, dass der Wiederaufbau jetzt von Frauen ausgeführt wird. Deswegen lohnt es sich, den Dokumentarfilm „Eine Brücke nach Rojava" des syrischen Kurden Ekrem Heydo anzusehen, der die aktuelle Situation wunderbar schildert.
Durch die Proteste im Iran ist der kurdische Ausdruck „Jin, Jiyan, Azadî - Frau, Leben, Freiheit" sehr präsent, auch in Deutschland. Wie nehmen Sie das wahr?
Ich finde das super. Vor ein paar Tagen habe ich ein Video von der Aufführung von „Girls of the Sun" in Cannes gesehen, ein Film über kurdische Kämpferinnen. Das ganze Publikum ist aufgestanden, hat mitgerufen und Standing Ovations gegeben. Ich hoffe einfach, dass Menschen wie Mahsa Amini nicht umsonst gestorben sind, sondern dass Leute auf der ganzen Welt Stellung beziehen und wachgerüttelt werden.