Erfolgreich, überzeugend, energiegeladen auf der einen Seite - gierend nach Bewunderung und Anerkennung auf der anderen. Auf der Suche nach Zuspruch und Verehrung sind Narzissten oft skrupellos. Im allgemeinen Sprachgebrauch meint man damit selbstverliebte Menschen, die auf den eigenen Vorteil bedacht sind. Narzisstische Verhaltenstendenzen habe so ziemlich jede und jeder, doch in unterschiedlicher Ausprägung, sagt die Psychologin Heidrun Schüler-Lubienetzki. Sie berät Arbeitnehmer und Führungskräfte, die beruflich mit Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zu tun haben. Im Interview erklärt Schüler-Lubienetzki, warum sich solche Menschen in der Corona-Krise besonders hervorgetan haben und wie man mit ihnen umgeht.
ZEIT ONLINE: Frau Schüler-Lubienetzki, wie viele Narzissten treffen Sie in der Woche?
Heidrun Schüler-Lubienetzki: Ich arbeite vor allem mit den Menschen, die von Narzissmus betroffen sind. Narzissten selbst leiden ja meistens nicht. Sondern ihr Umfeld.
ZEIT ONLINE: Was genau macht einen Narzissten aus?
Heidrun Schüler-Lubienetzki
ist Diplom-Psychologin, Führungskräftetrainerin, Unternehmensberaterin und Business Coach. Zusammen mit ihrem Ehemann und Partner führt sie ein Coachingbüro in Hamburg. Zusammen mit ihrem Ehemann schrieb sie mehrere Bücher zum Thema, wie zum Beispiel Schwierige Menschen am Arbeitsplatz. Handlungsstrategien für den Umgang mit herausfordernden Persönlichkeiten und Durch die berufliche Krise und dann vorwärts, beide Bücher sind im Springer-Verlag erschienen.
Schüler-Lubienetzki: Narzisstisches Verhalten kann man eher als Abstufungen auf einer Skala verstehen. Mit verschieden stark ausgeprägten Tendenzen, auch in Hinblick darauf, wie stark narzisstische Menschen anderen schaden. Es gibt eine große Bandbreite zwischen narzisstischen Persönlichkeitszügen und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Einerseits sprechen wir von übertriebener Selbstdarstellung, zum Beispiel in sozialen Netzwerken. In der Regel wird dadurch niemand geschädigt, es gibt sogar einen gewissen Unterhaltungswert. Anderseits gehört zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung egozentrisches, manipulatives und ausbeuterisches Verhalten. Andere werden instrumentalisiert und sind nur Mittel zum Zweck. Hier entsteht großes Leid bei den Mitmenschen. Man nimmt an, dass rund 2,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung betroffen sind, und davon wiederum 75 Prozent Männer.
ZEIT ONLINE: Woher kommt so eine narzisstische Störung?
Schüler-Lubienetzki: Sie entsteht oft in der Kindheit. Entweder durch zu wenig Zuneigung und Aufmerksamkeit, die das Kind dann durch übertriebene Leistungen und Auffälligkeiten zu kompensieren versucht. Oder im Gegenteil dadurch, dass es verhätschelt wird, ohne aber seine persönlichen Bedürfnisse zu beachten. Es geht immer darum, dass die Bedürfnisse des Kindes missachtet wurden. Manche Narzissten erfüllen das klassische Bild von ihnen: Sie sind laut, von sich selbst sehr überzeugt und schaden anderen sichtbar. Es gibt aber auch versteckte Narzissten. Denen merkt man ihre Störung erst nicht an. Sie stapeln tief und sabotieren eher versteckt. Narzissten ist aber die Empathielosigkeit gemein und ein fragiler Selbstwert. Damit gehen sie auf unterschiedliche Arten um.
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ZEIT ONLINE: Wenn der Chef schnell und unberechenbar wütend wird, andere vor dem ganzen Team herunterputzt und allgemein ziemlich exzentrisch ist: Ist das schon eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?
Schüler-Lubienetzki: Das ist gut möglich. Wenn ein klassisch narzisstischer Chef den Raum betritt, merken Sie das sofort. Er wird einen grandiosen Auftritt hinlegen, damit alle Augen auf ihn gerichtet sind. Und er kann dabei durchaus charmant sein. Bevor das Meeting losgeht, wird er vielleicht erzählen, mit welcher wichtigen Person er sich zuvor getroffen hat - Narzissten profilieren sich oft auch über schöne, besondere, kluge Menschen. Dann berichtet er vielleicht, dass er heute früh schon sein exzentrisches Hobby gepflegt hat. Er präsentiert sich ständig. In der Psychologie nennt man das symbolische Selbstergänzung - man ergänzt sich selbst mit Dingen wie dicken Autos, teuren Uhren, maßgeschneiderter Kleidung. Und auch die eigenen Leistungen werden überhöht dargestellt.
"Eine narzisstische Chefin würde ständig andere einspannen, um die eigenen Ziele zu erreichen." Heidrun Schüler-Lubienetzki, PsychologinZEIT ONLINE: Ab wann ist Narzissmus krankhaft?
Schüler-Lubienetzki: Sich selbst als etwas Wertvolles und Besonderes zu empfinden, ist an sich nichts Schlechtes. Zum Narzissmus zählen auch positive Eigenschaften - wie zum Beispiel, eigene Zweifel und Ängste zu überwinden oder leistungsbereit zu sein. Er kann aber leicht ins Negative kippen. Und ist dann eine Wanderung auf dem Grat zwischen Selbstüberschätzung und Mut. Stark narzisstische Persönlichkeiten haben gerade kein starkes, sondern ein sehr instabiles Selbstwertgefühl. Sie fühlen sich rasch gekränkt, sind süchtig nach Anerkennung. Wird Narzissmus zur Krankheit, spricht man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Es gibt Kategorien, die erfüllt sein müssen, um diese zu identifizieren. Dazu gehört etwa, die eigenen Leistungen und Talente zu überschätzen und zu erwarten, dafür als überlegen anerkannt zu werden. Zu glauben, besonders und einzigartig zu sein und auch so wahrgenommen zu werden. Und auch, einen Mangel an Empathie aufzuweisen, in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch zu sein und andere auszunutzen, nur die eigenen Bedürfnisse im Blick zu haben. Narzisstische Bestrebungen bedeuten oft: Ich will mehr haben, weiterkommen. Wenn jemand dabei um jeden Preis seinen Weg geht und in Kauf nimmt, andere zu schädigen, sind wir klar im toxischen Bereich und da hört der Spaß auf.
ZEIT ONLINE: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Schüler-Lubienetzki: Eine narzisstische Chefin würde ständig andere einspannen, um die eigenen Ziele zu erreichen, deren Arbeitsanteil aber später nicht benennen. Sie würde beispielsweise drei Menschen an einer Präsentation für sie arbeiten lassen, sie dann selbst halten und die anderen scheinbar vergessen. Solange Sie mit der Chefin einer Meinung sind, ist alles fein - aber wenn nicht, kann es passieren, dass sie sich vor den anderen gedemütigt fühlt. Das kann zu narzisstischer Wut führen. Die ist sehr impulsiv. Ein Beispiel aus meiner Beratung: Jemand hatte sein Handy in der Konferenz nicht ausgestellt und der Chef hat es dann tatsächlich genommen und in den Papierkorb geschmissen. Eine völlig unangemessene Reaktion. Narzisstische Menschen zeigen wenig Empathie, auch wenn es etwa um Massenentlassungen geht. Sie feuern Menschen spontan, aus einer Laune heraus. Diese Ausbrüche machen natürlich etwas mit dem Betriebsklima. Und sie sind völlig kontraproduktiv für das Vorankommen der Firma. Es geht dann nicht mehr darum, wer eine gute Idee oder Position hat, sondern was dem Chef oder der Chefin gefällt.