Zum Frauentag erzählen fünf Frauen bei Orange aus ihrem Leben. Die 27-jährige Muslima Merve berichtet über Gleichberechtigung, weibliche Vorbilder und ihre Wünsche für die Zukunft.
Ich würde sagen, mein Leben weicht nicht von anderen jungen Frauen in Deutschland ab. Ich bin mittlerweile mit dem Jura-Studium fertig und im Rechtsreferendariat. So wie bei allen anderen Menschen auf der Welt gibt es auch unter Muslimen das Problem, dass Männer entscheiden wollen – und dass Männer Frauen sagen wollen, was sich gehört und was nicht. Das ist aber kein Problem unserer Religion, sondern ein generelles Männerproblem. Rassismus darf uns nicht davon abhalten, kritisch in die eigene Community zu blicken.
„Frauen müssen viel mehr zurückstecken!“
Meiner Meinung nach sind Frauen und Männer nicht gleichberechtigt. Ich merke das auch immer wieder in meinem Referendariat. Im juristischen Alltag erlebt man schon oft sexistische Witze. Im Blog der Initiative Üble Nachlese finde ich immer wieder Beispiele, die auch ich so aus Referendariat und Studium kenne.
Und natürlich spielt auch das Thema Gehaltsunterschied eine Rolle. Das ist ja nichts, was irgendwie herbeigeredet wird. Es ist Fakt, dass Frauen einfach weniger verdienen als Männer und für gleiche Anerkennung oft mehr leisten müssen.
Frauen können aber aufgrund bestimmter Umstände nicht immer mehr leisten. Der Alltag einer Frau ist nicht mit dem eines Mannes zu vergleichen. Mich betrifft es im Moment noch nicht, aber wenn ich später einen Kinderwunsch habe, muss ich zurückstecken. Dann komme ich nicht so schnell wie ein Mann auf die nächste Karrierestufe. Wenn ich darüber nachdenke, merke ich: Okay, Männer und Frauen sind einfach nicht gleichberechtigt.
„Ich hoffe, dass Männer und Frauen zukünftig gleich bezahlt werden“
Zwar gibt es mittlerweile auch Vaterschaftsurlaub, das ist auch ein guter Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist nicht ansatzweise vergleichbar. Es ist immer noch so, dass die Frau karrieretechnisch einfach viel mehr zurückstecken muss. Wenn man als Frau durch Kinder und Familie im Berufsleben aussetzt, verpasst man Schritte, um auf der Karriereleiter nach oben zu klettern.
Ich bin für Gleichberechtigung und finde es traurig, dass wir uns als Frauen für Dinge einsetzen müssen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Wir haben erst vor Kurzem wieder das Frauenwahlrecht gefeiert. Allein das Wort! „Frauenwahlrecht“ – das hört sich schon so ein bisschen grotesk an.
Wir feiern Dinge, für die wir uns als Frauen eingesetzt haben, die aber eigentlich jedem Menschen unabhängig vom Geschlecht zustehen sollten. Da ist zum Beispiel auch gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit ein Paradebeispiel. Man muss sich als Frau für etwas Selbstverständliches einsetzen und dann auch noch dankbar sein, wenn sich etwas ändert.
Merve: Sie hat 2018 ihr erstes juristisches Staatsexamen gemacht. (Foto: privat)
Ich hoffe, dass alles dafür getan wird, dass Männer und Frauen künftig gleich bezahlt werden und gleichberechtigt behandelt werden. Ich merke aber auch an mir selbst und an meinem Umfeld, dass sich Frauen im Vergleich zu gleichaltrigen Männern oft viel weniger zutrauen.
„Frauen zweifeln länger als Männer“
Männer bewerben sich viel häufiger auf die nächstbeste Stelle. Frauen trauen sich das dann einfach nicht zu. Ich finde das selbst verwunderlich und weiß auch gar nicht wirklich, woran das liegt. Das habe ich selber noch nie reflektiert. Ich bin aber immer wieder überrascht, wie überzeugt Männer von sich selbst sind und sagen: Ach klar, das kann ich doch! Frauen zweifeln da viel länger. Ich habe den Eindruck, dass wir ein bisschen selbstkritischer sind. Das sind schon fundamentale Unterschiede zwischen Frauen und Männern, die es einfach gibt.
Weibliche Vorbilder habe ich viele. Keine prominenten Leute, sondern Leute aus dem nächsten Umfeld. Häufig Frauen, von denen ich gelernt habe, solidarisch miteinander umzugehen. Diese Frauen haben mir immer wieder Mut zugesprochen, wenn ich an mir gezweifelt und mich gefragt habe, ob ich gut genug bin. Gerade in solchen Situationen habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, weibliche Vorbilder zu haben – und ein Umfeld, das nicht nur aus Männern besteht.
Zukünftig wird sich in meinem Leben sicher viel verändern. Egal ob es jetzt der erste Job ist, dann vielleicht in fünf, sechs Jahren Kinder oder sonst irgendwas. Ich finde, dass sich im Leben der Frau immer mehr verändern kann als im Leben eines Mannes.
Was ich mir auf jeden Fall wünsche: Dass ich mich bis dahin nicht mehr für die Dinge einsetzen muss, für die ich mich im Moment einsetze. Ob es jetzt das Thema Abtreibung, die körperliche Selbstbestimmung der Frau oder gleiches Gehalt für gleiche Arbeit ist. Für diese Themen möchte ich mich künftig nicht mehr einsetzen müssen und hoffe, dass sich die Dinge zum Positiven wandeln.
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