Dass Künstliche Intelligenz immer mehr Tätigkeiten übernimmt, muss nicht in die Massenarbeitslosigkeit führen. Doch die Technologie wird die berufliche Sphäre trotzdem gehörig umstrukturieren.
Wer die Tür zu einem „Computer-Raum" öffnet, erwartet ein Zimmer, vollgestellt mit mehr oder weniger modernen Rechnern, Bildschirmen und Elektronik. Doch das war nicht immer so. Noch bis in die Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein stand eine Person, die einen Computer-Raum betrat, vor einer Gruppe von meist mehrheitlich Frauen, die mit Stift und Papier an Tischen saßen und fleißig vor sich hingekritzelt haben. „Computer", das waren Angestellte, die ihr Arbeitsleben mit dem Lösen mathematischer Probleme verbrachten.
Doch die menschlichen Computer sind aus Unternehmen und Behörden schon lange verschwunden. Maschinelle Computer, Apparate, die heute von keinem Schreibtisch und aus keiner Hosentasche mehr wegzudenken sind, sind an ihre Stelle getreten und erledigen die Arbeit schneller und günstiger.
Technischer Fortschritt hat Arbeit schon immer verändert. Wie produziert wurde, wer produziert hat, selbst was produziert wurde, unterliegt einem stetigen Wandel, den Innovation entscheidend mitprägt. Arbeitgeber haben sich von Automatisierung, sei es durch Webstühle, Fließbänder oder Computer, effizientere Prozesse und damit die Steigerung ihres Profits erhofft. Arbeitnehmer:innen sollten Arbeit an die Maschinen abgeben können, die als langweilig oder gesundheitsgefährdend galt.
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Künstliche Intelligenz wird das Arbeiten radikal automatisieren. Die FR-Serie „Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt" von Jana Ballweber untersucht Risiken dieser Technik - und wie man sie begrenzt.
Editorial zur Serie von FR-Chefredakteur Thomas Kaspar.
Einführung: KI von A bis Z - die wichtigsten Fakten.
Teil 1: KI und Kapitalismus. Künstliche Intelligenz verspricht, Arbeitsprozesse zu erleichtern, nutzt aber zuerst dem Kapitalismus. Es könnte auch anders sein.
Teil 2: KI im Einsatz: betroffene Branchen und Tätigkeiten, Folgen für die Löhne.
Teil 3: Bedeutung der Künstlichen Intelligenz für Gewerkschaften, Betriebsräte und Plattformwirtschaft.
Teil 4: Auswirkungen von KI auf Datenschutz und Gesundheit, Diskriminierung durch KI (etwa bei Bewerbungen).
Teil 5: Wie Digitalisierung gestaltet und die Mitbestimmung der Beschäftigten festgeschrieben werden kann.
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„Dieses Versprechen hat die Automatisierung nicht eingelöst", sagt Verena Nitsch, Professorin für Arbeitswissenschaft an der RWTH Aachen. Sie forscht zur Frage, wie der digitale Wandel in der Arbeitswelt und insbesondere KI-Systeme menschengerecht gestaltet werden können. „Menschen kämpfen mit neuer Technologie am Arbeitsplatz und verschwenden viel Zeit damit. Arbeitgeber konnten sicherlich Lohnkosten einsparen, aber produktiver sind die Beschäftigten durch die Automatisierung nicht geworden", ist Nitsch überzeugt. Bei der Einführung neuer Technik sei ein Umdenken nötig. „Führt man KI-Anwendungen in einem Unternehmen neu ein, erzeugt das Stress. Der Aufwand neuer Technologie wird oft stark unterschätzt. Die gesamte Organisation der Arbeit muss an die neue Anwendung angepasst werden", berichtet sie. Das führe zu einer Verdichtung der Arbeit.
Künstliche Intelligenz: ChatGPT löst KI-Hype ausVon dieser Verdichtung sind immer mehr Berufsgruppen betroffen: „Seit dem Aufkommen von KI-Systemen, die Texte generieren können, wirkt sich die Technologie nicht mehr nur auf Menschen am Fließband oder im Büro aus", sagt Nitsch.
Diese Entwicklung wurde in jüngerer Vergangenheit vor allem durch die Verfügbarkeit von sogenannten generativen KI-Modellen befeuert. Generative Modelle sind solche, die mit wenigen menschlichen Vorgaben Texte, Bilder, Ton oder Videos erstellen können. Die Veröffentlichung des Programms ChatGPT Ende vergangenen Jahres hat einen beispiellosen Hype rund um die KI-Technik ausgelöst. Neu war die Fähigkeit des Sprachmodells nicht, doch zum ersten Mal stand eine derartige Anwendung mit einer leicht zu bedienenden Benutzeroberfläche der breiten Masse der Gesellschaft zur Verfügung.
Künstliche Intelligenz in der Arbeitswelt: Wenige Firmen setzen KI einDabei war es bei weitem nicht das erste Mal, dass Künstliche Intelligenz für Aufregung gesorgt hat, berichtet Nitsch: „Es gab immer wieder KI-Hypes, aber die Erwartungen an die Technologie wurden nie erfüllt." Die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet sieht sie aber als etwas qualitativ Neues an: „Es kommt gerade vieles zusammen. Die Anwendungen haben einen neuen Reifegrad erreicht, es stehen die nötigen Datenmengen zur Verfügung. Die Technologie ist vielen Menschen zugänglich, die sich Anwendungen überlegen können."
Das scheinen auch viele Unternehmen so zu sehen. In einer aktuellen Umfrage des Branchenverbandes Bitkom halten 72 Prozent der befragten Unternehmen die Bedeutung von KI für die Wirtschaft für groß. Nur 15 Prozent gaben an, KI schon im Unternehmen einzusetzen. Dass diese Zahl wirklich stimmt, ist schwer vorstellbar, basiert doch eine einfache Google-Suche schon auf Algorithmen, die sich auf Basis von Daten automatisiert verändern - die Definition für maschinelles Lernen. Der Hype um ChatGPT und vergleichbare Programme scheint so enorm, dass KI-Anwendungen, mit denen Unternehmen und Arbeitnehmer:innen schon seit Jahrzehnten vertraut sind, in Vergessenheit geraten.
Künstliche Intelligenz: Sprachmodelle weiten das FeldNitsch vermutet, dass die große Aufmerksamkeit, die KI derzeit erfährt, vor allem damit zu tun hat, dass die Sprache betroffen ist. Die Fähigkeit zur Kommunikation führe dazu, dass mehr Menschen tatsächliche Intelligenz hinter der Technik vermuten. Mit den Sprachmodellen weitet sich nun das Feld der Berufe deutlich aus, deren Tätigkeiten theoretisch von einer KI übernommen werden können, erklärt Nitsch: „Es gibt so viele Berufe, die mit Sprache zu tun haben. Auch Musik, Ton und Bilder sind betroffen. Ich denke an Journalismus, an Übersetzung, an Synchronsprecher."
Die Tatsache, dass es Computerprogramme gibt, die auf Knopfdruck Texte produzieren können, bedeutet aber nicht, dass alle diese Berufe automatisch aussterben und die Beschäftigten von heute auf morgen arbeitslos sind. Auf der einen Seite entstehen durch Künstliche Intelligenz ganz neue Geschäftszweige, berichtet Nitsch: „In IT-Unternehmen wird es einen großen Bedarf an KI-Trainern geben, also Menschen, die KI-Modelle trainieren und Daten aufbereiten, die für die Entwicklung benötigt werden." Gesucht werden auch immer mehr Menschen, die in der Lage sind, Entscheidungen, die der Algorithmus getroffen hat, nachzuvollziehen und die KI so transparenter zu machen.
Künstliche Intelligenz spielt auch auf dem Arbeitsmarkt eine RolleAuf der anderen Seite verschieben sich Tätigkeiten in Geschäftszweigen, die bereits existieren und die in Zukunft verstärkt mit KI arbeiten wollen, so Nitsch: „Ein Grafiker, der vorher mit Programmen selbst gezeichnet hat, muss jetzt lernen, wie man einem KI-Programm geeignete Anweisungen gibt, damit das Ergebnis am Ende zufriedenstellend ist. Die Kreativität verschwindet nicht aus dem Berufsbild. Man setzt sie jetzt für die Suche nach den richtigen Anweisungen ein."
Wie sich KI auf den Arbeitsmarkt auswirkt, ist unter Fachleuten umstritten. Melanie Arntz, Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Heidelberg, betont gegenüber dem Science Media Center: „In einigen Berufsfeldern wird der Bedarf nach Arbeitskräften durch KI tatsächlich auch insgesamt sinken. Es ist jedoch - auch angesichts des Fachkräftemangels - nicht davon auszugehen, dass in großem Stil Menschen technologiebedingt entlassen werden." Man stehe dennoch vor einem starken Strukturwandel, weil davon auszugehen sei, dass Betriebe in Zukunft nach anderen Arbeitskräften suchen und ihre Einstellungspraxis anpassen werden, so Arntz.
Künstliche Intelligenz: Weiterbildung wird wichtigerAuch der Weiterbildung könnte in Zukunft eine größere Rolle zukommen. Unternehmen seien bemüht, jede Fachkraft, die Firmenkultur und Arbeitsprozesse kennt, nicht zu verlieren, betont auch Verena Nitsch: „Stellen neu zu besetzen kostet Zeit und Geld." Selbst wenn die Tätigkeitsbereiche von Fachkräften an eine KI gehen würden, bieten viele Unternehmen für die betroffenen Beschäftigten Weiterbildungsmaßnahmen an, so Nitsch.
Doch nicht jeder und jede kann oder will sich zum Datenwissenschaftler oder zur Programmiererin weiterbilden lassen. Auch Geringqualifizierte brauchen sinnvolle Beschäftigungsmöglichkeiten - doch das kann auch eine Chance für die Gesellschaft sein, wie Nitsch hofft: Man müsse gemeinsam entscheiden, wo man Menschen auch in Zukunft braucht und will - sei es in der Pflege, im Umweltschutz, in vielen Tätigkeiten, die heute Ehrenamtliche übernehmen. „Neue Jobs entstehen immer. Nicht jeder, der heute Influencer ist, hätte früher in der Werbung gearbeitet. Die Kreativität von Menschen darf man nie unterschätzen."