Justizminister Buschmann will strengere Regeln für die Strafverfolgung - und provoziert damit die Innenministerin. Eine Einigung im Konflikt um die Vorratsdatenspeicherung ist nicht in Sicht.
Es ist ein Koalitionsstreit mit Ansage: Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung im September gekippt hatte, war abzusehen, dass eine Einigung zwischen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) auf eine Nachfolge-Regelung schwierig werden würde. Denn Faeser fordert eine deutlich schärferes Schwert als ihr Ampel-Kollege Buschmann. Dieser plädiert für eine grundrechtsschonende Variante - und hat am Dienstag einen ersten Entwurf für ein entsprechendes Gesetz vorgelegt.
Buschmann schwebt ein sogenanntes Quick-Freeze-Verfahren vor. Dabei sollen Daten „eingefroren" werden, die bei der Nutzung von Kommunikationsdiensten wie E-Mail oder Mobilfunk anfallen. Der Anbieter dürfte die Daten dann nicht löschen, bis ein Richter über die Auswertung entschieden hat. Das ginge allerdings nur dann, wenn es einen konkreten Verdacht gegen eine Person gibt, oder klar ist, dass die Daten, die an einem Tatort anfallen, zur Aufklärung des Verbrechens hilfreich sein könnten. Die Regelung umfasst viele Straftaten, zum Beispiel Mord, Raub, Bestechlichkeit, Drogendelikte oder Landesverrat. In diesen Fällen könnte die Polizei den Anbieter der Kommunikationsdienste anweisen, Daten einzufrieren, die aus geschäftlichen Gründen ohnehin für einige Zeit gespeichert würden.
Quick-Freeze: Polizei hat mehr Zeit, um Datenabfragen zu stellenUm den Tatverdacht konkreter zu machen und die Genehmigung eines Richters für die Auswertung der Daten einzuholen, hätten die Behörden dann mehr Zeit, weil sie sich sicher sein können, dass die Daten nicht in der Zwischenzeit gelöscht werden würden.
Peer Heinlein, Geschäftsführer des E-Mail-Anbieters mailbox.org, erklärt: „Wir brauchen die Informationen, wer sich wann von wo aus in einem E-Mail-Konto angemeldet hat, um das Funktionieren des Dienstes zu gewährleisten." Wenn ein Nutzer beispielsweise befürchte, dass sein Passwort in fremde Hände gelangt ist, könne man so nachschauen, ob es ungewöhnliche Aktivitäten bei diesem Konto gebe, so Heinlein.
Vor Verwendung muss Bedeutung der Daten bei der Aufklärung eines Verbrechens geklärt werdenWie lange diese Daten, die für den Betrieb notwendig seien, gespeichert würden, sei aber nicht gesetzlich geregelt: „Es gelten die allgemeinen Datenschutzregeln. Nur die Daten speichern, die wirklich nötig sind, und zwar für einen möglichst kurzen Zeitraum." Die Speicherfristen bewegen sich je nach Anbieter zwischen wenige Tagen und drei Monaten.
Zeiträume, die ausreichen sollen, um im Falle eines konkreten Tatverdachts zu ermitteln, ob Kommunikationsdaten bei der Aufklärung des Verbrechens überhaupt hilfreich sein könnten.
In einer Anfrage an die Bundesregierung wollte die Unionsfraktion im Januar 2022 wissen, in wie vielen Fällen, in denen es Hinweise auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder gab, die Aufklärung durch fehlende IP-Adressen behindert wurde.
Die Daten zeigen , dass der Anteil von Fällen, in denen die IP-Adresse vorhanden ist, seit 2017 kontinuierlich zugenommen hat - und zwar ganz ohne eine gesetzliche Vorschrift zur Speicherung der IP-Adressen. Die Ermittlungs-behörden konnten die Erfolgsquote also auch ohne Vorratsdaten- speicherung steigern.
Nur noch in 3,5 Prozent der Fälle fehlten 2021 die Daten, um einem Hinweis nachgehen zu können.
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Nach Ansicht von Nancy Faeser ist das aber nicht genug, um schwere Straftaten konsequent bekämpfen zu können. Als Reaktion auf Buschmanns Entwurf sagte sie dem Online-Medium netzpolitik.org, dass das Einfrieren von Daten aus ihrer Sicht keine Alternative zur massenhaften und anlasslosen Sammlung von IP-Adressen sei, die der EuGH gestattet habe.
Bei einer IP-Vorratsdatenspeicherung nach Faesers Vorstellung würden die IP-Adressen aller Menschen unabhängig vom Verdacht für eine begrenzte Zeit vorgehalten werden. Eine IP-Adresse ist eine individuelle Kennziffer, mit der ein Gerät im Internet identifiziert wird. Sie lässt in vielen Fällen Rückschlüsse zu, welche Person zu welchem Zeitpunkt von wo aus eine bestimmte Webseite geöffnet oder eine E-Mail versendet hat.
Anlasslose Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen greift in Grundrechte einEine massenhafte Speicherung dieser Adressen gilt als tiefer Eingriff in die Grundrechte. Ein solcher Eingriff kann gerechtfertigt sein, wenn er dazu dient, schwere Straftaten aufzuklären. Dann werden das Grundrecht auf Datenschutz und das Grundrecht auf Sicherheit oder körperliche Unversehrtheit gegeneinander abgewogen. Theoretisch können IP-Adressen bei der Aufklärung von Verbrechen helfen. Wenn beispielsweise Videos oder Fotos von sexualisierter Gewalt an einem Kind online verschickt oder hochgeladen werden, ist es in manchen Fällen möglich, mit der IP-Adresse herauszubekommen, wer dafür verantwortlich ist.
In der Praxis funktioniere das jedoch oftmals nicht, berichtet Peer Heinlein von mailbox.org. „Wenn wir beispielsweise über organisierte Kriminalität sprechen, haben wir es mit Profis zu tun. Die tauchen nicht mit nutzbaren IP-Adressen im Internet auf." Denn es ist möglich, IP-Adressen beim Surfen im Internet zu verschleiern. Dafür gibt es spezielle Software, die von Kriminellen, aber auch von Medienschaffenden oder Oppositionellen in autokratischen Staaten eingesetzt wird, um die eigene Identität online zu verbergen. Die technischen Hürden dafür sind nicht hoch. Heinlein berichtet, dass bei der Polizei in den vergangenen Jahren ein Lerneffekt eingesetzt habe: „Die Ermittlungsbehörden haben mehr Praxis im Internet bekommen. Sie wissen mittlerweile, dass bei organisierter Kriminalität mithilfe von IP-Adressen nichts zu holen ist."
Mail-Anbieter begrüßt Quick-Freeze-Lösung von Justizminister Marco BuschmannDie „Quick-Freeze"-Lösung von Marco Buschmann lobt Heinlein ausdrücklich: „Der Schutz der Privatsphäre unserer Nutzer ist uns wichtig. Wir haben aber als Anbieter kein Interesse daran, kriminelle Aktivitäten zu decken." In der Vergangenheit habe es außerdem schon häufiger inoffizielle Absprachen zwischen Ermittlungsbehörden und Anbietern gegeben: „Anbieter haben auch vorher schon Daten gesichert, die die Polizei angefragt hat, und sie dann erst herausgegeben, als der offizielle richterliche Beschluss vorlag." Jetzt hofft Heinlein, durch das neue Gesetz Rechtssicherheit zu bekommen.
Ob sich das Kabinett auf Buschmanns Vorschlag einigen wird, ist jedoch angesichts der sehr unterschiedlichen Haltungen beider Ministerien mehr als fraglich. Der Entwurf wird jetzt in den Ressorts diskutiert.
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