Wirtschaft Bienensterben
Die kalkulierte Insektenliebe der KonzerneMeldungen über dramatisches Insektensterben machen vielen Menschen Angst. Das haben auch große Konzerne erkannt: Sie züchten Honigbienen und legen Wildblumenwiesen an. Experten halten allerdings nur eine Maßnahme tatsächlich für wirksam.
Ganz leise ist das Brummen zu vernehmen, als sich Martina Pachaly den Bienenstöcken an der Ostseite des Heizkraftwerks Mitte nähert. Immer mehr der Tierchen sammeln sich um die Öffnungen der Holzkästen, als sie die Besucherin bemerken. „Bis zu 60.000 Bienen leben auf dem Firmengelände im Sommer", sagt die Vattenfall-Angestellte Pachaly stolz. Wenige Meter weiter stehen Hochbeete und Blumenkübel, aus denen Grünzeug sprießt, über den erdigen Boden ringsherum kriechen Käfer.
2013 hat der Energiekonzern das vorgelagerte Gelände des Kraftwerks an der Köpenicker Straße in Berlin umgestaltet. „Davor war das eine richtige Schmuddelecke", erinnert sich Pachaly. Regelmäßig hätten Partygäste des benachbarten Technoklubs „Tresor" an der Ecke mit Scherben, Müll und Urin ihre Spuren hinterlassen.
Seitdem die Brachfläche jedoch in einen umzäunten Garten umgewandelt wurde, sei alles anders. „Der Garten ist nicht nur Treffpunkt für viele Nachbarn, sondern auch Biotop für Tausende Insekten", sagt Pachaly. Anfangs wurde Martina Pachaly für ihr Engagement noch belächelt. Mittlerweile scheint aber auch die Geschäftsführung des Unternehmens angetan und plant laut einer Sprecherin, auf allen der knapp 150 Vattenfall-Flächen in Europa Bienen anzusiedeln oder Gärten einzurichten, wo es die Gelände zulassen.
Forscher warnen vor existenziellen GefahrenVattenfall reagiert damit auf eine Entwicklung, die trotz Warnungen der Wissenschaft erst vor Kurzem in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist: das Insektensterben. Verantwortlich dafür ist auch die 2017 veröffentlichte „Krefelder Studie", nach der die Masse der Insekten in Deutschland seit 1989 durchschnittlich um 76 Prozent zurückgegangen ist.
Zwar lässt sich eine Gesamtanzahl oder -masse an Insekten unmöglich berechnen - die Studie beruht auf Hochrechnungen. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Arbeiten deutet aber denselben Trend an: Eine erhebliche Dezimierung des Bestands in ganz Europa und länger werdende Rote Listen vom Aussterben bedrohter Arten.
Wissenschaftler warnen dabei auch vor gravierenden, ja sogar existenziellen Gefahren, wenn immer mehr Insektenarten verschwinden. Insekten sind die artenreichste Gruppe aller Tiere und bilden das Fundament eines funktionierenden Ökosystems. Insekten bestäuben nicht nur Nutzpflanzen, sondern sind auch Futter für viele Vögel und Säugetiere.
Die größte Gefahr für viele Insekten ist die Zerstörung ihres Lebensraums durch Monokulturen und den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, aber auch die Versiegelung von Flächen und Lichtverschmutzung spielen offenbar eine Rolle. Studien aus ganz Europa warnen mittlerweile: Wird das menschgemachte Insektensterben nicht gestoppt, bricht das Ökosystem zusammen.
Im vergangenen Jahr hat auch die deutsche Politik auf diese Entwicklung reagiert. Mit dem „Aktionsprogramm Insektenschutz" zielt das Umweltministerium vor allem darauf ab, dass die Landwirtschaft „Insekten nicht schadet, sondern ihr Überleben ermöglicht".
Apokalyptische Berichte über Insektensterben und verendete Bienenvölker haben dafür gesorgt, dass auch viele Privatpersonen begonnen haben zu imkern. Ob Hobbygärtner auf dem Dorf oder Altbaumieter in der Großstadt - landauf, landab setzen sich Menschen für die Honigbiene ein. Alleine in Berlin sollen mehr als 700 Stöcke auf Dächern und Balkonen stehen.
Auf dem Dach wird Honig produziertMit dem Trend zur Biene lassen sich auch gute Geschäfte machen: In Bremen möchte das Start-up Bee-Rent, das die zugehörige Ausrüstung verleiht, Imkern „wieder sexy" machen. Mehr als 80 Prozent aller Nutz- und Wildpflanzenarten hierzulande seien auf die Bestäubung durch Bienen angewiesen.
„Damit erwirtschaftet die Honigbiene jährlich einen volkswirtschaftlichen Nutzen von rund zwei Milliarden Euro", will das Start-up errechnet haben. Global gesehen entspricht die Arbeit der Bienen laut Weltrat für Biologische Vielfalt (IPBES) einem Marktwert von mindestens 207 Milliarden Euro. Die Biene wäre damit das drittwichtigste Nutztier der Welt, hinter Rind und Schwein.
Und auch immer mehr Unternehmen scheinen sich um die Insekten zu sorgen. Unweit des Vattenfall-Kraftwerks in der Köpenicker Straße hat die Berliner Sparkasse am Alexanderplatz ihren Sitz. Auf dem Dach der Hauptverwaltung wird seit Kurzem Honig produziert. Genauso wie bei BMW in Leipzig: Auf dem dortigen Werksgelände sollen neben acht Bienenstöcken jeweils elf Heuschrecken- und Libellenarten beheimatet sein.
Alles schön und gut, findet Johannes Steidle, Tierökologe an der Universität Hohenheim. „Honigbienenhaltung hat mit Insektenschutz allerdings nur wenig zu tun. Im Gegenteil, es kann sogar kontraproduktiv sein, denn die Tierchen verdrängen andere wichtige Insekten, beispielsweise Hummeln. Viele Pflanzen bleiben deshalb vermutlich unbestäubt."
Den Trend, dass Unternehmen Bienenstöcke aufstellen und den Honig dann mit Siegeln wie „Honig aus dem eigenen Betrieb" vertreiben, hält Steidle daher eher für Greenwashing - ein bewusst nach außen gekehrtes Umweltbewusstsein, das vor allem der Pflege eines grünen Images bei Kunden und Mitarbeitern dient.
Alleine mit aufopferungsvollen Rettungsaktionen für die Honigbiene sei es ohnehin nicht getan, sagt Steidle. „Sie ist nur eine von rund 30.000 Insektenarten allein in Deutschland", sagt der Experte. Und vom Aussterben sei sie gar nicht bedroht. „Die Imker kümmern sich um den Bestand." Knapp eine Million Völker sollen es in Deutschland sein. Zwar sind das weniger als vor 25 Jahren, aber seit sechs Jahren steigt der Bestand wieder an.
Die Honigbiene scheint in den letzten Jahren eine Art Symbol für das Insektensterben im Allgemeinen geworden zu sein. „Das ist sicherlich ein Irrglaube", meint Steidle. Denn auch zahlreiche, weniger prominente Tierchen sind für die Umwelt überlebenswichtig. Käfer, Ameisen, Wanzen und Schmetterlinge etwa. Oder die anderen 580 Wildbienenarten, die es in Deutschland gibt - sie alle bestäuben Pflanzen für die Nahrungs- und Textilproduktion, beseitigen Kot, Laub und Kadaver und sind Lebensgrundlage für andere Tiere.
Tatsächlich gibt es viele Beispiele von Unternehmen, die sich mit großer Werbebegleitung dem Wohl aller Insekten verschrieben haben. Der Handelskonzern Rewe beispielsweise hat nach eigenen Angaben 300.000 Euro in einen Insektenschutzfonds investiert. In Kooperation mit den Naturschutzbund sollen auf 16 Hektar Ackerrandstreifen, Blumenwiesen und Hecken gepflanzt werden.
Viel zu kleine FlächenDer Schweizer Babynahrungshersteller Hipp, hat auf seinem „Musterhof" bei Pfaffenhofen durch Wildschutzhecken, Blühstreifen und ein komplett begrüntes Parkhaus neue Biotope für Insekten geschaffen. Und Deutschlands größter Blumenhändler, Blume 2000, will zusammen mit der Initiative Deutschland blüht auf alleine dieses Jahr mindestens 100 Hektar Blühwiese auf Flächen von Kommunen, Unternehmen und Schulen schaffen.
Es sei grundsätzlich sinnvoller, Insektenwiesen anzulegen, anstatt sich nur auf Bienen zu konzentrieren, weil sich auf den Wiesen eine ganze Reihe unterschiedlicher Arten ansiedeln könnten, sagt Steidle. Grundsätzlich. „Aber selbst wenn alle Unternehmen auf ihren Firmengeländen nun Wiesen oder Gärten anlegen, rettet das nicht die Insekten", sagt Steidle. Dafür sei der Anteil dieser punktuellen Insektenparadiese an der Gesamtfläche Deutschlands schlicht viel zu klein.
Rund die Hälfte der 357.580 Quadratkilometer Gesamtfläche Deutschlands wird heute für die Landwirtschaft genutzt; 30 weitere Prozent bestehen aus Wald. Nicht einmal 15 Prozent sind Siedungs- oder Verkehrsfläche. „Das Problem des Insektensterbens kann deshalb nur in der Fläche gelöst werden und leider nicht durch das Engagement einzelner Unternehmen oder Privatpersonen", so Steidle.
Steidle plädiert daher an die Politik. Durch eine Änderung der Agrarförderung auf EU-Ebene etwa könnten weniger Pestizide eingesetzt werden - was jedoch die Preise für Lebensmittel steigen ließe. Und auch wenn er damit sicherlich eine unpopuläre Meinung vertrete: „Fleischkonsum fördert das Insektensterben ebenfalls. Denn rund 60 Prozent aller Monokulturen sind in Deutschland Äcker für Tierfutter."
Die Schuld bei den Bauern zu suchen sei aber der falsche Schritt, sagt Hans-Dietrich Reckhaus, dessen Unternehmen Insektenbekämpfungsmittel herstellt. „Sie produzieren eben nachfrageorientiert." Weniger als zehn Prozent aller Lebensmittel in Deutschland stammten heute aus ökologischem Anbau.
Das Unternehmen von Reckhaus stellt zwar Pestizide her, mahnt aber auf den Packungen zu einem bedachten Einsatz und legt Kompensationsflächen an, damit für Insekten, die durch die Produkte getötet werden, neuer Lebensraum an einem anderen Ort entsteht. Zumeist sind es Blumenwiesen auf ungenutzten Flachdächern. Dass durch ein paar bepflanzte Firmendächer und Insektenwiesen in Deutschland das Artensterben eines ganzen Kontinents nicht aufgehalten wird, weiß allerdings auch der Firmeninhaber.
Trotzdem bekommen Pflanzkonzepte, wie Reckhaus sie bewirbt, aus der Politik Rückenwind. In Bremen beschloss der Senat kürzlich, dass neue Firmengebäude ab 100 Quadratmetern zukünftig begrünt werden müssen.
Der Deutsche Mittelstandsbund (DMB) reagiert schon jetzt wenig begeistert auf das Gesetz und spricht von „Regulierungswut". „Die Bremer Koalition geht damit wieder einmal einen Schritt zu weit", sagt DMB-Vorstand Marc Tenbieg. „Anstatt gesetzlicher Vorgaben hätten auch zielführende Anreizsysteme geschaffen oder eine gute Aufklärungsarbeit etabliert werden können, um zu einem Ausbau der Grünflächen im innerstädtischen Bereich beizutragen." Ob die Entscheidung in Bremen einen Dominoeffekt auslöst und weitere Kommunen hierzulande folgen werden - das bleibt abzuwarten.