Als Radfahrer in Hamburg wird man nicht wirklich glücklich: Viele Fahrradwege haben die Eigenschaften von Querfeldeinwegen mit metertiefen Schlaglöchern, andere wiederum hören einfach auf und schicken einen ohne Vorwarnung mit dem Drahtesel auf die Straße, wo man dann ebenfalls um seine Gesundheit fürchten muss. Das Gute daran: Auf der Straße holt man sich wenigstens keinen Platten, weil wieder irgendwelche Chaoten auf dem Radweg ihre Bierflasche "verloren" haben.
In der dänischen Hauptstadt sind derartige Sorgen weitgehend unbegründet. Kopenhagen ist ein Dorado für unmotorisierte Zweiräder, soviel verraten bereits die nackten Zahlen: Stolze 35 Prozent der Einwohner fahren täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit, Schule oder Universität. Ganze 84 Prozent der Kopenhagener besitzen ein Fahrrad, und immerhin 68 Prozent davon fahren mindestens einmal in der Woche damit. Es gibt 309 registrierte Unternehmen, die Fahrräder verkaufen oder reparieren, und die Unfallrate mit dem Fahrrad liegt bei gerade mal 2 Prozent (es gab nur 92 Zwischenfälle im gesamten Jahr 2010).
In Kopenhagen haben Fahrradwege die Größe einer dritten Autospur, beinah an jeder zweiten Ecke gibt es einen "Rent A Bike"-Shop, zudem ist Kopenhagen die einzige Stadt weltweit, die mit dem "Bike City"-Label des internationalen Radsportverbandes "Union Cycliste Internationale" ausgestattet wurde. "Darauf sind wir sehr stolz", so die Senatorin für Sport und Kultur, Pia Allerslev. "Für uns ist Radfahren mehr als ein umweltbewusster Freizeitsport. Alles in allem fahren wir über 1,21 Millionen Kilometer auf über 350 Kilometern Radweg - das entspricht in etwa der Fahrt zweier Räder zum Mond und wieder zurück - jeden Tag."
Eine bescheidenere Wegstrecke liegt an einem strahlenden Sonntagmorgen in Kopenhagen vor uns. Vom 19. bis zum 25. September diesen Jahres fanden in der dänischen Hauptstadt die "UCI Road World Championships Copenhagen" statt, und einen Teil der Strecke fahren wir nun mit dem Fahrrad ab - vorbei am Rathausplatz, dem botanischen Garten oder auch der königlichen Residenz Schloss Amalienborg. Ganz entspannt. Ohne Stress. Denn für die Dänen hat Radfahren auch viel mit Lebensqualität zu tun. Klar geht es auch für sie in erster Linie darum, ihr Ziel zu erreichen. Aber eben ganz in Ruhe, gesittet und ohne große Streitereien mit Taxifahrern oder anderen Verkehrsteilnehmern - übrigens noch etwas, das uns die Dänen in Sachen Fahrradkultur voraushaben.
Und auch ein Begriff wie "Park and Ride" bekommt in Kopenhagen eine völlig neue Bedeutung. Anstatt Autos oder Motorrädern stapeln sich an großen Bahnhöfen wie Norreport Station hunderte Fahrräder, zum Teil sogar mehrstöckig, und erwecken so den Eindruck eines riesigen Umschlagplatzes für Second-Hand-Räder. Ein irres Bild. Für Ortsfremde. In Kopenhagen ist das schließlich ganz normal.
Artikel erschienen: Oktober 2011