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„Ein Kreuzbandriss für eine ganze Generation"

Die Folgen der Corona-Spielpause für den Nachwuchs im Leistungsfußball                                                                


Hannes Wolf (U18-Nationaltrainer) und Michael Hartmann (Herthas A-Jugend-Trainer) über die Auswirkungen der spielfreien Monate in der kritischsten Entwicklungsphase deutscher A-Jugend-Spieler.


Die Entwicklung von Herthas Jugendspielern ist für Michael Hartmann eine Herzensangelegenheit. Nicht umsonst verantwortet der Trainer nicht nur Herthas A-Jugend, sondern leitet auch das Programm für die Talentauswahl des Kleinfeldbereichs. Wenn er von seinen ehemaligen Spielern, wie Maximilian Mittelstädt, Jordan Torunarigha oder Herthas neustem Profi-Debütanten Luca Netz schwärmt, schwingt zu Recht auch ein bisschen Stolz mit.

Redet er aber über seine aktuellen Spieler, entnimmt man aus seiner Stimme vor allem Mitleid. „Meine U-19-Spieler haben seit März nur vier Pflichtspiele bestreiten können. Für die Jungs ist die Situation einfach sehr schade“, sagt Hartmann, der bei vielen seiner Talente im Sommer einen deutlich erschwerten Sprung in den Profi-Fußball erwartet.

Aufgrund der Coronavirus-Pandemie wurde der Spielbetrieb der A-Jugend-Bundesliga bis auf Weiteres abgebrochen. Während die Jugendmannschaften in Berlin wegen der örtlichen Bestimmungen des Gesundheitsamtes zumindest trainieren dürfen, bleibt vielen anderen vielversprechenden Nachwuchsspielern nur noch das Individualtraining – richtig gespielt wird nirgendwo.

Für viele bleibt nicht mehr viel Zeit, einen neuen Verein zu finden.

„Was man im Training erlernt, will man natürlich auch am Wochenende im Spiel zeigen“, sagt Hartmann. „Außerdem wäre der Spielbetrieb wichtig, um sich für für den Seniorenbereich oder die Scouts anderer Profimannschaften zu präsentieren. Und das können sie momentan einfach nicht.“

Vor allem für den älteren Jahrgang seiner A-Jugend wäre das gerade jetzt essenziell. Da die meisten Verträge im Sommer auslaufen, bleibt für viele nicht mehr viel Zeit, einen neuen Verein zu finden.

Selbst Spieler wie der 17 Jahre alte Luca Netz oder der 18 Jahre alte Marton Dardai, die schon in der ersten Mannschaft mittrainieren und den Sprung in den Profifußball so gut wie geschafft haben, wurden von den Saisonunterbrechungen im ungünstigsten Zeitpunkt zurückgeworfen. „Sie würden normalerweise für die zweite Mannschaft in der Regionalliga Nordost auflaufen und regelmäßig wertvolle Kurzeinsätze in der Bundesliga sammeln. Wenn sie aber nur trainieren können, werden sie natürlich nicht so einfach auf höchstem Niveau eingewechselt“, erklärt Hartmann.

"Die Stunden, die du verpasst, kriegst du nie zurück.“

Auch die sportliche Entwicklung sieht er bei reinem Training stark beeinträchtigt. „Die Älteren trifft es am schlimmsten. Im unteren Bereich kriegst du die verpassten Spiele noch über das Training abgedeckt. In der U-19 ist fehlende Matchpraxis ein gravierender Einschnitt.“

Diese Gefahr sieht auch Hannes Wolf, langjähriger Jugendtrainer bei Borussia Dortmund und aktueller U-18-Bundestrainer: „Das schneidet in den Lebensweg vieler junger Menschen ein. Die Stunden, die du verpasst, kriegst du nie zurück.“ Die spielfreie Zeit in dieser kritischen Entwicklungsphase werde sich bei den meisten Spielern negativ auf den Weg in die Bundesliga auswirken. „Das ist wie ein Kreuzbandriss für eine ganze Generation. Im besten Fall verzögert es die Entwicklung. Im schlimmsten Fall verhindert es sie“, sagt Wolf.

Trotzdem kann er der schwierigen Situation auch Positives abgewinnen. „Wir haben bei der Einwechslung von Luca Netz gegen Schalke gesehen, dass das erhöhte Wechselkontingent einigen jungen Spielern Türen in den Profifußball öffnen kann.“ Außerdem könnten laut Wolf die finanziellen Engpässe vieler Bundesligavereine zumindest kurzfristig einigen Talenten Profierfahrung ermöglichen.

Wolf ermutigt seine Spieler, fleißig zu bleiben

Für die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen heißt es aber, den Verlauf der Pandemie abzuwarten. Solange will Wolf Kontakt zu seinen Spielern halten und sie ermutigen, optimistisch und fleißig zu bleiben.

Da die Situation fast alle europäischen Nachwuchsspieler gleichermaßen trifft, könnten sich die Diszipliniertesten aus dieser Situation sogar einen Vorteil verschaffen, glaubt Wolf: „Ich habe schon oft fantastische Spieler gesehen, die in dieser frühen Phase Verletzungen hatten und sich trotzdem zurückgekämpft haben. Einige werden also trotzdem auf einem sehr hohen Niveau Fußball spielen.“. Aber: „Andere werden leider auf der Strecke bleiben.“

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