Donald Trump verdankt seinen Erfolg einer Onlinekultur, die sich auf jedes Häppchen Hass stürzt, sagt die Forscherin Whitney M. Phillips. Haben wir dazugelernt?
Mit dem Ende von Donald Trumps Präsidentschaft in den USA endet auch die Zeit eines Staatsoberhaupts, das soziale Medien ausgenutzt hat wie keiner vor ihm. Die Medienwissenschaftlerin Whitney Phillips erforscht, wie sich das Internet durch Donald Trump verändert hat - und noch verändern wird.
ZEIT ONLINE: Frau Phillips, Donald Trump ist abgewählt. Kehrt jetzt bei Twitter wieder Ruhe ein?
Whitney Phillips: (lacht) Nun, das wird auch darauf ankommen, wie sich Twitter selbst verhält. Das Netzwerk hat ja während der Wahl endlich Position bezogen und begonnen, etwas gegen Trumps Lügen zu unternehmen.
ZEIT ONLINE: Sie meinen die Warnhinweise, mit denen das Netzwerk Trumps Tweets in der Wahlnacht und danach versehen hat. Unter Trumps Behauptung, er habe die Wahl gewonnen, stand dann etwa, dass die Wahl noch nicht entschieden sei. Ist es wirklich so einfach, gegen Falschinformationen vorzugehen?
Phillips: Es hat sicherlich dazu geführt, dass Trump das Geschehen auf Twitter nicht mehr so dominieren konnte wie zuvor. Er hat sich stets darauf verlassen, dass er dort sagen konnte, was immer er wollte. Das fungierte auch als eine Art Genehmigung für Journalisten, jede Dummheit, die er dort von sich gab, zu wiederholen. Schon die verhältnismäßig kleine Hürde durch die Warnhinweise stört diese Struktur. Ob Twitter dabei bleiben wird, hat sicher große Auswirkungen auf die Dynamik der nächsten Zeit.
ZEIT ONLINE: Inwiefern?
Phillips: Die alles entscheidende Frage in den kommenden Wochen ist, wie normal und akzeptiert es sein wird, Joe Bidens Sieg infrage zu stellen. Biden hat deutlich gewonnen. Aber im Moment behaupten republikanische Mandatsträger und Mitglieder der Trump-Regierung ständig, die Wahl sei manipuliert worden. Wenn sich das als Mainstream-Position etabliert, wenn sie es schaffen, den Wahlausgang als eine Ansichtssache darzustellen - dann, fürchte ich, würde das die Krise, in der sich unsere Demokratie befindet, so sehr vertiefen, dass sie sich vielleicht nicht mehr davon erholt.
ZEIT ONLINE: Und das wird allein auf Twitter entschieden?
Phillips: Es ist eine Frage der Verstärkung. Es kommt auch darauf an, wie Journalisten über das berichten, was Trump auf Twitter von sich gibt. Erst durch die Berichterstattung befeuern sie seine Lügen. Wenn sich Medien dazu hinreißen lassen, es als offene Frage zu diskutieren, wer der gewählte Präsident ist, als eine Diskussion, bei der es zwei Seiten gibt - dann hat Trump schon gewonnen. Aber wenn nicht, dann können sie dem Feuer auch den Sauerstoff entziehen. Ich vergleiche das gerne mit einem Konzept aus der Biologie, der Biomassenpyramide. Es gibt an der Spitze der Pyramide einige wenige Raubtiere und unten sehr viele kleine Tiere. Wir neigen dazu, auf die wenigen großen Raubtiere zu schauen. Aber man darf nicht vergessen: Sie können ohne alle anderen Schichten in der Pyramide nicht überleben. Sie existieren in einem Ökosystem, das sie buchstäblich ernährt und mit Energie versorgt. Die Frage ist: Werden Journalisten und wir alle Trump weiterhin mit der Energie füttern, die er braucht, um weiter an der Spitze der Informationsnahrungskette zu stehen?
ZEIT ONLINE: Sie nennen das in Ihrem Buch polluted information, Informationsverschmutzung. Ändert sich an diesem Ökosystem aus Desinformation, Hass und Lügen nichts, wenn Trump als der größte "Verschmutzer" verschwindet?
Phillips: Selbst wenn Trump nicht mehr im Amt ist, existiert er ja noch als Person. Und auch seine treuen Anhänger verschwinden nicht einfach. Er trägt dann nicht mehr den Titel des Präsidenten der Vereinigten Staaten, aber er wird eine äußerst mächtige Figur im Medien-Ökosystem bleiben - wenn wir ihm die Aufmerksamkeit schenken.
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