22 Millionen Überstunden bei der Polizei: Die Zahl sei alarmierend, kritisiert die Gewerkschaft der Polizei. Sie sei ein Zeichen für den Personalmangel, der schon jetzt Folgen hat.
Wie dramatisch ist der Personalmangel bei der Polizei? Für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist ein Indikator dafür die unverändert hohe Anzahl an Überstunden ihrer Beamten. Denn wie bereits 2017 haben die Beamten auch im vergangenen Jahr 22 Millionen Stunden mehr gearbeitet als vereinbart.
"Das wird in Zukunft nicht besser, sondern wird sich noch verschärfen", sagt Oliver Malchow, Vorsitzender der GdP. Denn bis 2021 werden nach Angaben der Gewerkschaft alleine 44.000 Beamte aus Altersgründen aus dem Dienst ausscheiden. Das erhöhe den Druck auf die Kollegen. Die 22 Millionen Überstunden sind eine Schätzung der Gewerkschaft. Befragt wurden einige Länder und die Zahlen dann auf Bundesebene hochgerechnet. Sie können also nur ein grobes Bild von der Lage der Beamten zeichnen.
1,6 Überstunden im Schnitt pro Woche
22 Millionen Überstunden klingen zunächst einmal nach einem sehr großen Berg an Mehrarbeit. Rechnet man die Überstunden auf die 260.000 Polizeibeamten um, kommt ein Beamter im Schnitt auf etwa 1,6 Überstunden pro Woche. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt, der bei vier Überstunden pro Woche liegt (Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), könnte man nun davon ausgehen, dass die Belastung der Beamten nicht so hoch ist. Das sei jedoch ein großer Irrtum, so der GdP-Vorsitzende Malchow. "Die Belastungen sind unterschiedlich stark. Besonders bei der Bereitschaftspolizei ist die Belastung sehr hoch." Viele Beamte dort häuften mehrere Hundert Überstunden im Jahr an, von denen sie kaum welche abbauen könnten. Betroffen sind nach GdP-Angaben aber auch Beamte der Kriminalpolizei und auf den Wachen. Innenstaatssekretär Stephan Mayer räumte bei der Jahrestagung des Beamtenbundes dbb ein, dass es bei den Beamten und im öffentlichen Dienst zu viele Überstunden gebe - und preschte mit der Ankündigung vor, dass sich seine Behörde dafür einsetzen werde, höhere Zulagen für Bundesbeamte durchzusetzen, vor allem für Bundespolizisten.
Großveranstaltungen werden anders geschützt als früher
Ein Grund für die hohe Zahl an Überstunden sei vor allem die Zunahme von Dauereinsätzen bei polizeilichen Großlagen. Als Beispiel nennt Malchow Einsätze bei den Demonstrationen am Hambacher Forst und umstrittene Auftritte von Politikern, wie der des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Köln. Es seien aber nicht nur solche Großlagen, die aufgrund einer veränderten Sicherheitslage einen erhöhten Personaleinsatz erforderten. Durch die erhöhte Terrorgefahr in Deutschland werden beispielsweise Weihnachtsmärkte oder Public-Viewing-Veranstaltungen anders geschützt als früher.
Gewaltbereitschaft gegenüber Beamten nimmt zu
Hinzu komme eine erhöhte Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei. Die führe dazu, dass auf Veranstaltungen, die früher mit einem Streifenwagen ausgekommen seien, zwei oder drei Wagen vor Ort seien, um die Sicherheit der eigenen Beamten zu gewährleisten. "Oft sind die Dienste nur in Mindeststärke besetzt, um den Dienstbetrieb aufrechtzuerhalten. Es gibt keinen Puffer für Sondereinsätze."
Die Gewerkschaft fordert deshalb seit langem mehr Stellen für den Polizeidienst. Eine Forderung, der die Bundesregierung und die Länder nach Jahren des Abbaus nachgekommen sind. Allerdings nicht ausreichend, kritisiert Malchow. 15.000 neue Stellen sollen auf Bundes- und Länderebene entstehen, die GdP fordert 20.000. Hinzu kommen die 44.000 Beamten, die in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen und die ersetzt werden müssen.
GdP: Personalmangel beeinträchtigt Aufklärungsarbeit
"Die Lage wurde nicht verschlafen, sondern wurde bewusst in Kauf genommen, indem Stellen abgebaut wurden", so Malchow. Und die Folgen seien bereits jetzt spürbar. Nicht nur der Druck für die einzelnen Kollegen sei größer geworden, sondern auch Ermittlungen würden dadurch leiden. "Eine möglicherweise schlechte Aufklärungsrate hat auch damit zu tun, dass ich beispielsweise eine Telefonüberwachung nicht mache, weil ich kein Personal habe."
Auch Präventionsarbeit sei so seltener möglich, sagt Malchow. Dinge wie Verkehrskontrollen, bei denen Beamte über die Folgen eines Fehlverhaltens belehrten, seien zwar wichtig, aber in der Realität nur noch wenig umsetzbar. Auch Beratungsstellen, die über Maßnahmen gegen Wohnungseinbrüche informierten, seien davon betroffen.
Malchow: "Wir müssen durchhalten"
Was wird also konkret dagegen unternommen? Ein langfristiger Stellenaufbau ist zwar wichtig, ändert aber nichts an der akuten Situation. Denn bis die neuen Beamten kommen, dauert es mehrere Jahre, die sie in Ausbildung oder Studium verbringen - und Berufserfahrung haben sie dann noch keine.
Ein großes Problem, das nicht zufriedenstellend gelöst wird, findet Malchow. Doch die eine, richtige Lösung hat auch er nicht: "Wir müssen durchhalten. Das hat für viele etwas mit Berufsethos zu tun". Das heißt, Kollegen kommen auch dann zum Dienst, wenn sie eigentlich krank sind, weil sie nicht wollen, dass ein Kollege einspringen muss, der das erste Mal seit Wochen frei hat. "Das wird Folgen haben. Es wird Belastungsschäden geben."
Um kurzfristig gegenzusteuern, müsse man auch über neue Wege nachdenken. Das heißt, beim Thema Cybersicherheit Informatiker oder Techniker aus der Wirtschaft abzuwerben und als Tarifbeamte einzusetzen. Das geht aber nicht in allen Bereichen. "Für den Außendienst braucht es eine fundierte Ausbildung und Berufserfahrung."
Deutschland stehe im internationalen Vergleich immer noch gut da, sagt Malchow. Allerdings werde man die Arbeitslast irgendwann nicht mehr stemmen können, wenn sich nichts ändere: "Die Angst vor Straftaten hat zugenommen. Es formieren sich jetzt schon private Bürgerwehren, die Leute bewaffnen sich selbst. Es gibt Messerangriffe. Das passiert alles schon."