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"Treffen uns in der Mieze"

Mieze Südlich – Ein Projektraum für Kultur und Kunst in Gera


In Gera entstand Ende 2021 ein neuer Projektraum und eine neue Galerie. Hinter dem ungewöhnlichen Namen „Mieze Südlich“ verbirgt sich ein Projekt, das die Kulturszene in Mitteldeutschland nachhaltig verbessern will. „Oh Gott, das wird nie was“, dachten Jana und Thomas Prochnow, als sie zum ersten Mal den Raum in dem Haus in der Sorge 52 gesehen haben, in dem jahrelang ein Modegeschäft und viel früher ein Laden für Gardinen und Teppiche untergebracht waren. Dennoch mieteten sie sich im Oktober 2021 dort ein. Nur vier Wochen später war – vornehmlich durch Thomas Prochnow – ihr Projektraum und ihre Galerie fertig hergerichtet. Am 6. November eröffneten sie dort mit dem Erfurter Kurator Dirk Teschner die Ausstellung „Kunst gegen Rechts“.


Bereits in Berlin hatten beide einen Projektraum

Thomas „Tom“ Prochnow und Jana Prochnow stammen beide aus Gera und sind 2019 aus Berlin in ihre Geburtsstadt zurückgekehrt. Bereits in Berlin hatten beide einen Projektraum. Rund zwei Jahre lang betrieben sie die „Stackstone Gallery“ in der Münzstraße mitten in der Hauptstadt. „Die Ursprungsidee war damals, jungen, noch unbekannten Künstlern, die nichts sehr oft die Möglichkeit für eine Einzelausstellung haben, beziehungsweise gar nicht, die Option zu bieten mal einen Ausstellungsraum allein zu bespielen,“ erklärt Jana.


Das gab es in Geras Kulturszene bisher noch nicht

Nachdem die Firma, bei der sie in Berlin untergebracht waren, sich vom deutschen Markt zurückzog, standen die Prochnows erst einmal ohne Raum da. Das änderte sich mit der Rückkehr nach Gera. Hier wollten beide unbedingt einen Projektraum eröffnen. Das gab es in Geras Kulturszene bisher noch nicht. Über einen Kontakt der Immobilienfirma, die das Haus Sorge 52 besitzt, kamen sie zu ihrem Raum.


Das soll sich in Gera nun ändern

„Wir bieten – wie in Berlin – hier den Leuten eine Einzelausstellung oder eine Gruppenausstellung zu machen, sich sozusagen mit einem kompletten Raum auseinanderzusetzen“, erklärt Tom Prochnow, der selbst freischaffender Künstler ist und deshalb mit der Materie vertraut ist: „Viele Künstler, die ich aus der Region Gera kennenlernte, nahmen immer nur an Gruppenausstellungen teil. Sie hatten nie wirklich die Möglichkeit, einmal eine Einzelausstellung zu organisieren.“ Das soll sich in Gera nun ändern. Bei Stil und Art der Kunst sind die Prochnows offen für alles. Zeitgenössisch soll es sein. Von Künstler:innen, „die jetzt was machen“ und aus Mitteldeutschland stammen. Jana erklärt: „Es geht schon auch darum die Kunst, auf die wir Lust haben, zu zeigen. Kunst die wir spannend finden, wo wir denken, da passiert was.“




Der Name „Mieze Südlich“ birgt Bezug zu Gera. Zu Beginn hieß der Raum „Galerie Sorglos“, ein fiktiver Name der den Prochnows vor der ersten Eröffnung kurzfristig „einfach aus dem Gehirn gesprungen ist“. Doch richtig zufrieden waren beide damit nie. Jana wollte auch immer für den Raum einen Vor- und Zunamen haben. Zudem machten sich beide Gedanken, ob Kunst denn sorglos und was die Aufgabe einer Galerie ist.


Mehrere Porträts von Menschen

Dann kam bei der Namenssuche Otto Dix ins Spiel, der bisher bekannteste Künstler Geras, dessen Name sogar die Ortseingangsschilder ziert. Ein solches Schild war der Auslöser dafür, dass sich Jana und Tom intensiver mit Otto Dix und seinen Arbeiten beschäftigten. Dix hatte in seiner Düsseldorfer Zeit (1922 – 1925) mehrere Porträts von Menschen aus der halbseidenen Welt angefertigt. Zwei Gemälde sind den Prochnows besonders aufgefallen: „Mieze, abends im Café“ (1923) und „Südlicher Matrose“ (1923). Beide Bilder finden sich verschmolzen im Logo des Projektraums wieder.


Treffen uns in der Mieze

„Wir suchten einen Namen, den man sich relativ einfach merken kann, der einen eigenen Charakter und Bezug zu Gera hat,“ fasst Tom es zusammen. Sehr zur Freude beider sind Aussagen wie „Treffen uns in der Mieze“ mittlerweile zum Selbstläufer geworden. „Wir wünschen uns eigentlich, dass es zu einem KulturKommunikationsort wird,“ erklärt Jana, die Oberärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Gera ist. Sie sieht Kunst als kommunikations- und meinungsbildendes Mittel. Der Raum soll die kultur-gesellschaftliche Landschaft in Gera erweitern, Menschen miteinander in Kontakt bringen und sie dazu ermutigen, anders über Kunst nachzudenken.


Es geht auch darum, anderen Kunstformen

„Es geht auch darum, anderen Kunstformen eine Bühne zu bieten“, fügt Tom an. „Wir versuchen zu jeder Ausstellungseröffnung zudem einen erweiterten künstlerischen Beitrag zu zeigen.“ Bisher traten zu den Eröffnungen die DJanes мønøpurple und Future Grl auf, sowie die Performance-Künstler Shin Hyo Jin und Otto Oscar Hernández Ruiz, die Gersche Musikgruppe „Bright Bug Gang“ und der Musikperformance-Künstler Burkhard Schlothauer.


Aber die Werbewelt sagte ihm nicht zu

Jana und Tom lernten sich über die Kunst kennen. Tom ist bereits lange als Künstler aktiv. Nach der Wende hatte er beim Besuch seiner Tante in Frankfurt am Main überall Graffiti gesehen und sich intensiver damit befasst. Über die Graffiti-Szene kam er zur Malerei. Ursprünglich wollte er nicht Kunst studieren. Stattdessen versuchte er sich in Leipzig mit einer Ausbildung als Grafiker. Aber die Werbewelt sagte ihm nicht zu. Irgendwann hat Tom dann doch eine Mappe mit Arbeiten fertiggestellt und sich an der Hochschule für Bildende Künste Dresden beworben. Während dieser Zeit in Sachsen verbrachte er viel Zeit mit Jana, die in Berlin Medizin studierte und kurz vor ihrem Abschluss stand.


War die Beziehung auf vielen Ebenen eine Bereicherung

Beide verwirklichten zusammen bereits einige Projekte. Sie probierten sich in verschiedene Kunstformen aus und fertigten teilweise sehr komplexe Arbeiten an. Für Jana, die Kunst immer spannend fand, sich selbst aber nie traute, ihrer künstlerischen Leidenschaft zu folgen, war die Beziehung auf vielen Ebenen eine Bereicherung. „Wir haben sofort gemerkt, dass wir die gleiche ästhetische Sprache sprechen“, sagt sie rückblickend. Bald schon klopften die ersten Galerien an Toms Tür. Der Umzug nach Berlin zu Jana war die logische Konsequenz.

Wo wir gerade bei der deutschen Hauptstadt sind: Nach „Kunst gegen Rechts“ startete im Februar die Ausstellungsreihe „Berlin Calling“, bei der in Kooperation mit den Galerien Hammerschmidt + Gladigau aus Erfurt und Semjon Contemporary aus Berlin bereits zwei Ausstellungen gezeigt wurden. „Vielleicht ist das ein Stück weit unser Auftrag, eine Kommunikationsbrücke in Form von Kunst zwischen unserer Herzensheimat und unserer Geburtsheimat zu finden“, sagte Jana vor der Eröffnung von „Berlin Calling“.


Wir wollen kein Geld

„Wir wollen kein Geld damit verdienen, sondern finanzieren alles selbst“, erklärt Tom, dem es vorwiegend wichtig ist, „etwas zur Kultur in Gera beizutragen.“ Nach Förderungen wird trotzdem geschaut. Die nächsten anderthalb Jahre der Mieze Südlich sind schon mit Ausstellungen vorausgeplant. Es bestehen jedoch noch Lücken. Nicht ungewollt. Die Prochnows sind offen für Dinge, die sich spontan ergeben – und es müssen nicht immer Ausstellungen sein. Hinzu kommen andere Events wie Workshops oder Filmvorführungen und Aktionstage „Gold-statt-Braun“ am 8. Mai. Mieze Südlich wird den Geraern noch etwas erhalten bleiben. Und das ist auch gut so, denn Orte wie diese beleben nicht nur die Innenstadt, sie beleben auch die Geister und regen durch Vielfalt sowie Kultur zum Nachdenken an. Otto Dix wäre bestimmt Dauergast gewesen …