Dieser Mann ist ganz schön wütend: Vince Staples legt ein düsteres Album vor und klingt jetzt wie ein Bruder von Kendrick Lamar
Um Vince Staples zu verstehen, muss man sich nur das Cover seines ersten Albums „Summertime 06“ anschauen: In Schwarz-Weiß stilisiert erkennt man darauf den Wind und die Wellen seiner Heimatstadt Long Beach. Das düstere Cut-out erinnert von Weitem betrachtet an das ikonische Muster, das die Vorderseite von Joy Divisons „Unknown Pleasures“ ziert.
Es ist eine Hommage an seine Herkunft und gleichzeitig an seine größten musikalischen Vorbilder. Vince Staples hat sich Long Beach verschrieben und erzählt die Geschichten der kalifornischen Stadt über karge Trap-Beats, auf denen kein Gras mehr wächst. Dieser junge Ian Curtis des Hip-Hop stammt, wie so viele Protagonisten der aktuellen amerikanischen Raplandschaft, aus dem Umfeld des Odd-Future-Kollektivs aus Los Angeles, in dem einst auch Frank Ocean und Tyler, The Creator ihre erste Musik veröffentlichten. Als Staples 2010 erstmals in Erscheinung trat, auf einem Mixtape von Odd-Future-Mitglied Earl Sweatshirt, war er gerade mal sechzehn Jahre alt.
2014 erschien seine erste eigene EP, „Hell Can Wait“, ein Jahr später „Summertime 06“, auf dem er über das Erwachsenwerden auf den Straßen von Long Beach rappte. Es ist ein paranoides Album, das Werk eines jungen Mannes, der gerade erst begreift, in was für ein Schlamassel er geboren wurde, dessen Freunde sterben oder im Gefängnis enden oder irgendwann einfach keine Freunde mehr sind. Auf ein Happy End wartet man vergeblich.
Staples angesichts dieser Herangehensweise mit Kendrick Lamar zu vergleichen, ist einfach, doch die Parallelen lassen sich nicht leugnen: „Summertime 06“ wirkt wie die Kehrseite von Lamars großem Klassiker „good kid, m.A.A.d city“, bei dem der unzerstörbare Lokalpatriotismus Comptons meistens doch stark genug ist, um die Verzweiflung in Schach zu halten.
Und auch Staples' neues Album, „Big Fish Theory“ hat in Lamars Diskografie einen Verwandten: Es ist ähnlich minimalistisch und düster wie dessen im April erschienenes Album „DAMN.“, verweigert sich aber nicht einer gewissen experimentellen Note. Das Team um Vince Staples hat den harten klassischen Trap um Einflüsse britischer Bassmusik, Soundscapes und Field Recordings angereichert. Das Ergebnis klingt wie maßgeschneidert für seine Stimme.
Vince Staples umgibt sich schon seit Beginn seiner Karriere nur mit einem sehr kleinen Zirkel von Unterstützern, die ihn und seine musikalischen Wünsche exakt nachvollziehen können. Alle sind unter 25 Jahre alt und - mit Ausnahme seines Mentors No I.D., der auch schon den jungen Kanye West gefördert hat - ist keiner von ihnen eine etablierte Größe im Hip-Hop. Gastauftritte gibt es auf „Big Fish Theory“ zwar, doch Singer-Songwriter Bon Iver und Britpop-Legende Damon Albarn bleiben eher im Hintergrund. Der New Yorker Rapper A$AP Rocky und, ja, auch Kendrick Lamar fallen mit ihren Beiträgen kaum auf.
Staples funktioniert am besten, wenn man ihn in Ruhe lässt. Und er ist nicht nur in dieser Hinsicht ein Sonderling. Der 23-Jährige hat noch nie in seinem Leben einen Joint geraucht oder Alkohol getrunken. Und er ist der einzige bekannte Rapper seiner Generation, der keinen Künstlernamen trägt. Niemand ist derzeit so gut darin, schmerzhafte Wahrheiten kurz und bündig zu verpacken wie Vince Staples. Um den Kontrast zwischen den Ängsten eines jungen Afroamerikaners auf der einen und der Sehnsucht nach Luxus auf der anderen Seite darzustellen, benötigt er nur eine Zeile. Auf „Summertime 06“ hieß es knapp: „I need to fight the power, but I need that new Ferrari“.
„Big Fish Theory“ nimmt diesen Faden wieder auf: „Our father art in heaven, as I pray for new McLarens“. Wenn es um konkrete politische Themen geht, lässt Staples allerdings zu wünschen übrig. „Tell the president to suck a dick“, heißt es fantasielos in der Single „BagBak“. Im gleichen Song stellt er klar, dass er nicht wählen gehen wird, solange kein afroamerikanischer Kandidat auf dem Zettel steht.
Dass Vince Staples hier nur an einer Oberfläche kratzt, die Kendrick Lamar längst durchstoßen hat, zeigt, dass sich die Rangordnung der beiden noch nicht verschoben hat.