Nachbarn beschreiben Ingo K. als unauffällig und freundlich. Nun steht er vor Gericht – weil der mutmaßliche Reichsbürger versucht haben soll, Polizisten zu erschießen. Der Fall zeigt, wie die Szene ihre Gewalt legitimiert.
Eigentlich geht es nur um eine Waffe, eine halb automatische Pistole der Marke Glock. Und um Ingo K., der diese Waffe nicht mehr besitzen darf. Aber am Morgen des 20. April 2022 fahren 14 SEK-Beamte und zwei gepanzerte Fahrzeuge nach Bobstadt, einem Stadtteil von Boxberg in Baden-Württemberg, zum Haus von Ingo K., einer Art Selbstversorgerhof, in dem er mit seinem Sohn lebt. K. gilt als waffenrechtlich unzuverlässig, fiel den Behörden mit radikalen Äußerungen auf. Im Sommer 2021 hätte K. den Behörden seine Pistole aushändigen sollen. Weil er das nicht tat, will die Polizei sie beschlagnahmen. Trotz Blaulicht, Martinshorn, lauten Rufen - K. reagiert nicht.
Die Polizisten gehen auf den Hof zu, auf die Terrasse. Licht scheint durch die Lamellen des Rollladens. Als ein Beamter versucht, die Terrassentür zu öffnen, fällt ein Schuss. Eine Kugel durchschlägt den Rollladen auf Kopfhöhe, sie verfehlt den Polizisten. Ein weiterer Schuss. Der Beamte wird getroffen. Er sackt zusammen. Ein Kollege neben ihm muss sich mit seinem Schild vor den Kugeln schützen. Es kommt zum Schusswechsel.
Mindestens 21-mal schießt K. aus dem Wohnzimmer. Er wechselt mehrmals die Position, schießt auch aus den Schlafzimmerfenstern. Feuert auf die Beamten und die Einsatzwagen. Bald brennt das Haus. Die schwarze Rauchsäule sieht man noch Kilometer entfernt. Zwei Stunden nach dem ersten Schuss ergibt sich Ingo K. So beschreiben die Generalbundesanwaltschaft und die ermittelnden Beamten den Einsatztag.
Bis auf den Polizisten mit Schusswunden in den Beinen wird niemand schwer verletzt. Aber die Einsatzkleidung der Beamten ist durch Schüsse im Hals-, Kopf-, Rücken- und Beinbereich beschädigt.
Ingo K. sitzt seit jenem Morgen in U-Haft. In seiner Wohnung und im Treppenhaus finden die Beamten drei vollautomatische Gewehre, zwei Maschinenpistolen sowie 5160 Schuss Munition. Für nichts davon hatte K. eine Genehmigung.
Immer mehr Reichsbürger in Deutschland
Etwa ein Jahr später, Oberlandesgericht Stuttgart-Stammheim, Sitzungssaal 2: Ingo K. wird in Handschellen hineingeführt, setzt sich hinter eine Glaswand. Ein muskulöser Mann, 55, mit braun gebrannter Haut, buschigem Bart und einem über die Schulter hängenden Zopf. An seiner linken Hand prangt das Wort "Justitia", an der rechten steht in Runen: "Odins Waffe".
K. ist unter anderem angeklagt wegen mehrfachen versuchten Mordes. Die Ermittlungen hatte der Generalbundesanwalt übernommen, der Fall "Ingo K." habe eine "besondere Bedeutung", da die Tat erheblich staatsgefährdend sei. Er habe die Polizeibeamten als Repräsentanten des Staates bewusst als Opfer ausgewählt. K. sei ein Reichsbürger.
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