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Bayern vs. Real: Kulturschock für Guardiola - SPIEGEL ONLINE

Der Katalane Josep Guardiola hat viel dafür getan, die Deutschen zu verstehen. Vor seinem Antritt als Trainer beim FC Bayern München lernte er ihre Sprache, er studierte eines ihrer heiligsten Güter, den Fußball, und er ließ sich im vergangenen Oktober sogar mit Lederhosen und Filzhut verkleiden. Guardiola hat sich auf alles eingelassen. Und erlebt dennoch gerade einen Kulturschock in München.

Seit ein paar Wochen schon, akut aber seit dem verlorenen Hinspiel im Champions-League-Halbfinale gegen Real Madrid (0:1) hinterfragen Münchner Fans, Journalisten und selbst Einzelne im Verein plötzlich den Fußballstil Guardiolas. Sie wettern: Ballbesitz schießt keine Tore! Passt euch dem Gegner an!

Guardiola ist bemüht, das zu verstehen, diesen selbstgerechten deutschen Pragmatismus. Doch es fällt ihm schwer zu akzeptieren, dass die Niederlage in Madrid derartigen Aufruhr hervorgerufen hat. Denn vor dem 25. März, als die Bayern so früh deutscher Meister geworden waren wie nie zuvor, war noch alles supersupersuper; der Trainer aus dem Tiki-Taka-Land des Welt- und Europameisters wurde gefeiert für seine präzise Arbeit, für die taktischen Impulse, die er setzte; und auch dafür, dass seine Spieler die Partien immer dominierten.

"Können Sie eigentlich alles so gut? Auch kochen? Tanzen?", fragte damals ein deutscher Journalist. Guardiola, der Sakrosankte.

Der Zeitpunkt der Debatte setzt Guardiola zu

Ein einziges Spiel hat viel verändert. Nie würde Guardiola in der Öffentlichkeit sagen, dass der Verein und dessen Umfeld erfolgsverwöhnt seien. Sehr vorsichtig deutete er am Montag aber an, dass man auch die "kleinen" Erfolge genießen müsse, etwa die Meisterschaft, den Einzug ins Pokalendspiel und ins Halbfinale der Champions League.

Doch es sind nicht nur die jetzigen Ansprüche, die Guardiola so zusetzen, auch damit hat er gerechnet. Es ist vor allem der Zeitpunkt dieser Debatte, unmittelbar nach der ersten Niederlage in dieser wichtigen Phase des Wettbewerbs und vor dem entscheidenden Rückspiel am Dienstagabend (20.45 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE, TV: ZDF und Sky). Innerhalb weniger Tage soll er sein Spielsystem umstellen - das System, mit dem er über vier Jahre Titel in Barcelona gewonnen hatte und mit dem er die Bayern ihren Meistertitel verteidigen ließ. Guardiola steht für diesen Fußball wie kein anderer, er vergöttert ihn. Es ist für ihn die beste und schönste Art des Spiels.

Und nun soll alles schlecht sein? Nach dieser einen Niederlage?

Da liegt der wirkliche Kulturschock Guardiolas. Es ist nicht der Umgang der deutschen Journalisten und Fans mit ihm, sondern die Ansicht, dass das Spiel zwar gern schön, vor allem aber aufs Tor gerichtet sein soll. Der katalanische Trainer dagegen ist ein radikaler cruyffista, ein Anhänger der Philosophie Johan Cruyffs. "Ich liebe den Ball. Ich bin mit dieser Art des Fußballs aufgewachsen, als Spieler und als Trainer. Das einzige, was das Spiel organisiert, ist der Ball und nicht die Defensive", sagte Guardiola auf der Pressekonferenz vor dem Duell mit Real.

Er betonte, dass er mit einigen Tagen Abstand noch "stolzer" darauf sei, wie seine Mannschaft die Partie in Madrid mit Ballbesitz gelenkt habe, es hätten nur leider die Tore gefehlt. Ob es nicht seltsam sei, dass er für seine Spielweise kritisiert werde, fragten ihn spanische Journalisten. "Ich versuche, Argumente zu finden, vor dem Spiel, nach dem Spiel", sagte Guardiola, "ich suche nicht nach Ausreden. Aber ich bleibe dabei, dass dieses Spiel darauf ausgelegt ist, dass man den Ball hat." Seinen Fußballern könne er nur das vermitteln, was er selbst spüre, sagte er, "sonst könnte man mich als Schwindler bezeichnen".

"Ich habe viele Spiele mit dem FC Barcelona gewonnen"

Es ist bezeichnend, dass Guardiola sich in diesen komplizierten Zeiten in München erstmals auf seine Arbeit mit Barça beruft, etwas, was er sich eigentlich verboten hatte: "Ich habe viele Spiele mit dem FC Barcelona gewonnen. Das hat mich in meinem Konzept bestärkt", sagte er. "Ich bin nicht so dumm, als dass ich jedes Mal über dasselbe Hindernis stolpere. Ich spiele aus Überzeugung auf diese Art und weil mir der Erfolg recht gibt."

Es gibt etliche, die Guardiola deshalb vorwerfen, unflexibel und starrköpfig zu sein. Dabei übersehen sie allerdings, dass er und sein System durchaus wandlungsfähig sind, wenngleich in Nuancen. Mehrfach hat er in dieser Saison schon bewiesen, dass er reagieren und das Spiel seiner Mannschaft anpassen kann, zuletzt in der Bundesliga gegen Bremen, als er in der zweiten Hälfte das Spiel mit der Einwechslung von Philipp Lahm veränderte.

Tatsächlich ging Guardiolas selbstverordnete Bajuwarisierung weiter als bis zum Lernen der Sprache. Er lässt in München mit Doppel-Sechs und vielen Flanken spielen, verzichtet zudem oft auf die "falsche Neun". Würde Guardiola noch immer Barcelona trainieren, würde er im Spiel gegen Madrid vermutlich mit einer Dreierkette spielen.

Guardiola versucht sich anzupassen, und der lauernden Journalisten-Meute versprach er, dass er das auch gegen Real Madrid versuchen werde, "eventuell ein bisschen". Sich selbst zu belügen, um zu gewinnen: das würde Guardiola nur in größter Not einfallen.

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