Laube
"Wir befinden uns hier im Herzstück des historischen Gebäudes der Bibliothek, im Rokoko-Saal. Das ist geradezu ein Buchfestsaal, ein Pendant zum Festsaal des Schlosses des 18. Jhs. Und dieser Raum hatte eine ganz wesentliche Funktion, die darin bestand, nicht nur Bücher aufzubewahren, sondern auch sie zu zeigen."
Autorin
Der Rokoko-Saal der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar erinnert von seiner Architektur her an eine Kirche: an den Seiten hohe Fenster, in der Mitte ein Oval, mit umlaufendem Gang, über dem auf Holzsäulen zwei emporengleiche Galerien ruhen. Der Blick gleitet unwillkürlich nach oben, an den weiß getünchten Holzverkleidungen verziert mit geschnitzten und vergoldeten Kapitellen und Blattornamenten entlang über die Brüstungen der ersten und zweiten Galerie hinauf zum Deckengemälde, ein Engel, der gen Himmel strebt. Reinhard Laube ist der Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Die Regentin hatte die Bibliothek 1766 gegründet.
Laube
"Die Herzogin Anna Amalia kam aus Braunschweig. Sie kannte den Hof in Wolfenbüttel und damit auch die große Wolfenbüttler Bibliothek. Und das ist ein Hintergrundwissen, das wir voraussetzen dürfen, wenn sie entschied, dass die drei Räume für die Bibliothek im Schloss nicht ausreichend waren, um angemessen eine Bibliothek zu repräsentieren."
Autorin
Die Herzogin engagierte keinen Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe als Oberaufseher über die Bibliothek. Unter seiner Ägide wuchs der Bestand von anfangs 30.000 auf rund 80.000 Bände an.
Weber
"Eine seiner Leistungen der Oberaufsicht über diese Bibliothek, die er ja 35 Jahre hatte, war, eine vernünftige Verwaltung einzuführen, auch eine Nutzerverwaltung. Dazu gehörten Regeln der Ausleihe und es gab auch Ausleihzeiten. Wenn die übertreten wurden und die Bücher nicht zurückkamen, wurden die säumigen Leser unter anderem in der Tageszeitung ermahnt, die Bücher wieder zurückzubringen."
Autorin
Sagt Jürgen Weber, Abteilungsleiter Bestände in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Die Weimarer Gelehrten, wie Johann Gottfried Herder oder Christoph Martin Wieland, die Anna Amalia um sich scharte, nutzten das gesammelte Wissen des Herzoghauses gern und oft. Das geht aus den erhaltenen Ausleihjournalen hervor. Und sie versahen die Bücher auch mit eigenen Anmerkungen. Die Bücher aus der Zeit der Weimarer Klassik bis zum Jahr 1850 bilden den Grundstock des Bestands, der heute über eine Million Bände zählt. Im Rokoko-Saal können Besucher nicht nur die prächtige Architektur bewundern, sondern auch viele der ältesten und wertvollsten Bücher, die Rücken an Rücken die Regale füllen. Stutzig machen moderne, graue Kartons, die zwischen den historischen Einbänden stehen. Diese Konservierungseinbände sind die einzige sichtbare Erinnerung an eine Katastrophe, die 2004 ganz Deutschland erstarrt nach Weimar blicken ließ.
Weber
"Es handelt sich ja um ein Ereignis, das eigentlich nicht vorkommen darf."
Autorin
Sagt Jürgen Weber über den 2. September 2004, als die Perle barocker Bibliotheksarchitektur in Flammen stand. Ein Schwelbrand hatte sich über Stunden unbemerkt entwickelt und als die Feuermelder endlich Alarm auslösten, konnten die Feuerwehrleute die zweite Galerie schon nicht mehr betreten und mussten von außen löschen.
Weber
"Es sind ja 390 Tausend Liter Wasser und 3000 Liter Löschschaum eingesetzt worden und über mehrere Tage eigentlich auf das Gebäude niedergegangen."
Autorin
Da die unteren beiden Stockwerke des Saals in den ersten Stunden noch begehbar waren, lief augenblicklich eine beispiellose Rettungsaktion an. Jürgen Weber erinnert sich.
Weber
"Wir konnten schon in der Brandnacht und am Tag danach die Bücher des Rokoko-Saales, also dort aus der Basis des Rokoko-Saales und der ersten Galerie bergen. Es sind also auch Leute von der Straße gekommen, haben mitgeholfen, haben eine Menschenkette gebildet. Wir haben einzelne Bücher in das Tiefmagazin transportiert und dort sind sie einzeln verpackt worden und vorbereitet worden für den Abtransport nach Leipzig in das Zentrum für Bucherhaltung. Man hat die Bücher unter Wasser noch einmal gereinigt und dann in Form gebracht, gestreckt und tiefgefroren."
Autorin
Jedes geborgene Buch wurde einzeln in Frischhaltefolie verpackt, damit die nassen Bücher nicht zusammenklebten. Die Schadensbilanz war dennoch verheerend. Im Dach des Rokokosaals klaffte ein riesiges Loch. 50.000 Bücher wurden unwiderbringlich zerstört. Zumindest ein Teil davon konnte durch antiquarische Ankäufe oder digitale Kopien inzwischen ersetzt werden. Für die geborgenen Bücher ergaben sich zwei Schadensbilder, abhängig davon, wo im Saal sie sich befunden hatten. Die Bücher im untersten Stock des Saals und in der ersten Galerie waren von außen zwar beschädigt, im Inneren jedoch unversehrt.
Weber
"Das sind rund 37.000 Bücher gewesen. Da hat der Einband sehr gut funktioniert. Er hat die Hitze, er hat auch das Wasser abgehalten. Die Seiten sind also bis auf Wasserränder kaum beschädigt worden."
Autorin
Die Restaurierung der Einbände dieser Bücher wurde bis 2018 abgeschlossen. Die Bücher aus der zweiten Galerie konnten aufgrund der anhaltend hohen Temperaturen in den Tagen nach dem Brandausbruch nur mit einem Bagger durch das Loch im Dach herausgeholt werden. Das sind die sogenannten "Weimarer Aschebücher".
Weber
"Der Bagger hat dann 20 Brandschuttcontainer gefüllt. Die Brandschuttcontainer sind auf den Polizeihof in Weimar transportiert worden und gründlich untersucht worden nach Brandmittelspuren. Die Brandursache war ein defektes Elektrokabel in der Zwischendecke von der ersten Galerie zur zweiten Galerie."
Autorin
Erst drei Wochen später konnten Jürgen Weber und seine Kollegen die Container sichten.
Weber
"Als wir die geborgen haben, sahen die ja aus zum Teil wie Briketts, aber wir haben sehr schnell gemerkt, dass im Inneren der Buchblock teilweise noch gut intakt war."
Autorin
25.000 Aschebücher mit insgesamt rund 7 Millionen Blatt wurden aus den Containern gesichert. Nach einer kritischen Analyse stand fest: 1,5 Millionen Blatt sollen restauriert werden. Das war mit den vorhanden Methoden, die auf die aufwändige Restaurierung von einzelnen Blättern ausgelegt waren, mengenmäßig und finanziell jedoch nicht zu stemmen.
Weber
"Es mussten also erst einmal 4 Jahre vergehen, bis 2008, bis wir eine eigene Werkstatt aufgebaut haben und dort ein neues Verfahren eingesetzt haben. Das ist ein Verdienst von Günther Müller, das ist der ehemalige Chefrestaurator der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek."
Hack
"Das ist ein ganz typisches Schadensbild..."
Autorin
Auf dem Tisch vor Alexandra Hack, zuständig für die Bestandserhaltung und Restaurierung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, liegt in einer grauen Schachtel "De Obligatione successoris feudalis es facto anteccesoris", eine juristische Abhandlung von 1692.
Hack
"Der Einband wurde ja durch das Feuer komplett zerstört, so auch die Heftung und die Bindung. Man sieht hier, dass der Brand an den Blatträndern zu diesen starken Fehlstellen geführt hat, sodass wir hier am Papier auch teilweise verkohlte Bereiche haben, was dieses Blatt hier im Grunde auch ein bisschen rahmt. Und wir haben durch den Ruß, durch die Rauchgase, durch den Schutt auch diese Verurnreinigungen, die hier oberflächlich auch sehr gut zu sehen sind."
Autorin
Die oberen und seitlichen Randbereiche des Buches sind vom Feuer förmlich abgefressen. Verkohlte Papierstückchen rieseln bei der kleinsten Berührung herab. Der untere Rand, mit dem das Buch auf dem Regalbrett stand, und der beschriebene Bereich der Seite sind kaum betroffen. In der eigens zu diesem Zweck eingerichteten Werkstatt im Gewerbegebiet Weimar Legefeld, werden die Aschebücher gereinigt, ergänzt und stabilisiert, sodass sie wieder uneingeschränkt benutzt werden können. Möglich macht das das hier entwickelte Mengenverfahren.
Hack
"Hier sind wir jetzt an der ersten Station: Und zwar werden hier die Bände zunächst aus diesen Boxen herausgenommen und die Blätter vereinzelt und foliiert. Das heißt, es wird mit Bleistift eine Zählung aufgetragen, sodass wir verhindern, die Papiere durcheinander zu bringen, denn die Reihenfolge muss ja am Ende wieder stimmen."
Eine Buchbinderin trennt mit einem Restaurierungsspatel die welligen Seiten voneinander, schreibt dünn mit Bleistift die Seitenzahl in die untere äußere Ecke. Dann legt sie ein Plastiknetz und ein dünnes Vlies in einen aktenkoffergroßen Gitterkasten und darauf die Buchseite.
Hack 4
"Diese Kompressionskassette gilt auch als das Kernelement der Mengenbehandlung in unserer Restaurierungswerkstatt. Die besteht ja aus dieser Gitterstruktur aus Edelstahl, so ein Rahmen, der dann die Papiere aufnimmt. Und diese Materialien, diese Vliese, die dazwischen gelegt werden, die ermöglichen ein gleichmäßiges Durchwässern dieser Papiere, was ja notwendig ist, um diese Verunreinigungen zu reduzieren."
Autorin
Abwechselnd werden nun Netze, Vliese und Buchseiten übereinandergestapelt, bis die Kassette randvoll ist.
Dann schraubt die Buchbinderin den Gitterdeckel darauf und trägt die Kassette zum Wasserbad, wo sie mit Hilfe eines Deckenlifts eingetaucht wird.
Hack 5
"Die Becken sind temperierbar und mit einer Umwälzpumpe versehen, sodass das Wasser eine ganz leichte, sanfte Bewegung ausführt und so das Originalpapier zwischen diesen Vliesen sanft umspült und diese Verunreinigungen austrägt. Die Kassette erhält insgesamt zwei solcher Bäder und die Temperatur ist auf 50 Grad Celsius festgelegt."
Die Restaurierungswerkstatt in Legefeld zählt sechs Mitarbeiter, die sich allen mit der Restaurierung der Aschebücher beschäftigen. Seit 2019 fungiert der Ort auch als Lehrwerkstatt für angehende Papierrestauratoren, so Bestandschef Jürgen Weber.
Weber 9
"Dass Studierende im Bachelor- und Masterstudiengang hier in Weimar ihre Praktika ableisten können. Und diese Praktika werden dann in der Lehre intensiv vorbereitet über zehn Wochen. Da arbeiten wir mit der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim zusammen und mit der Universität für Bodenkultur in Wien."
Autorin
Auch Restauratorin Alexandra Hack hat in Hildesheim studiert. Nachdem die Kassette das Wasserbad wieder verlassen hat und abgetropft ist, werden die noch feuchten, auf Vlies liegenden Buchseiten Schicht für Schicht herausgenommen und in eine flache Wanne gelegt. Dann wird eine dünne Faserlösung in die Wanne gelassen.
Hack 6
"Und die einzelnen Fasern legen sich jetzt aufgrund der Durchlässigkeit des Trägervlieses an den Blatträndern an und ergeben diese neue Papiersubstanz um die Originale."
Autorin
Wie beim Papierschöpfen legen sich Papierfasern um die Ränder der Buchseiten und nach dem Ablassen des Wassers, liegt eine rechteckige Seite auf dem Vlies. Außen weiße Ränder, innen wie eingebacken die originalen Buchseiten. Um das Papier noch einmal zu stabilisieren klebt eine Mitarbeiterin im nächsten Schritt hauchdünnes Japanpapier auf die Seite.
Hack 7
"Das hier ist ein Unterdrucktisch, der zunächst die Feuchtigkeit aus dieser Faserfläche herauszieht."
"Und danach wird dieses sehr dünne Japanpapier, mit Hilfe eines Vlieses – das ist so dünn, dass man es selbst mit der Hand fast nicht anfassen kann, ohne dass es zerreißt – das wird mit diesem Vlies aufgelegt und durch dieses Vlies hindurch wird jetzt eine Klebstoffmischung mit einem Pinsel aufgetragen."
"Und dann kann dieses Paket aus Original, Trägermaterial, Japanpapier und Vliesschichten in einen Trocknungsstapel überführt werden."
Autorin
Nach dem Trocknen ist das Japanpapier mit bloßen Auge kaum zu erkennen. Auch die Papierfasern haben sich so fein an den Rand des angekokelten Originals gelegt, das sie die Schrift nicht überdecken. Sogar historische Kolorierungen bleiben komplett erhalten. 60.000 Blatt pro Jahr können in diesem Verfahren pro Jahr restauriert werden. Statt mehrerer Hundert Euro wurden die Restaurierungskosten auf diese Weise auf rund sieben Euro pro Blatt gesenkt. Trotzdem stellt sich die Frage, warum die brandgeschädigten Bücher aufwändig restauriert und nicht durch antiquarisch erhältliche Kopien ersetzt werden. Für Alexandra Hack liegt die Antwort in der besonderen Geschichte der Bibliothek.
Hack 10
"Wir erhalten ja nicht nur den ursprünglichen Inhalt des Buches, sondern ja auch weitere Merkmale, die im Verlauf seiner Nutzung diesem Band hinzugefügt wurden, zum Beispiel Provenienzmerkmale, handschriftliche Notizen, Eintragungen unterschiedlichster Art."
Autorin
Diese kleinen Anmerkungen und Randnotizen, nicht zuletzt von Persönlichkeiten der Weimarer Klassik, machen das einzelne Buch zum Unikat und unersetzlich, vor allem für die Rezeptionsforschung. Jedes Buch wird in der Herzogin Anna Amalia Biliothek als kleiner Schatz angesehen. Unter den Büchern im Rokoko-Saal befanden sich auch Werke, deren Verlust nicht nur bedauerlich gewesen wäre, sondern eine Tragödie für die deutsche Kulturlandschaft: So etwa die 1543 erschienene Erstausgabe des Hauptwerkes von Nikolaus Kopernikus "Über die Umläufe der himmlischen Kreise in sechs Büchern", ebenfalls ein Aschebuch. Das bekannteste Werk in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die Weimarer Lutherbibel von 1534, wurde vom damaligen Direktor der Bibliothek buchstäblich in letzter Sekunde aus der ersten Galerie des brennenden Rokoko-Saals herausgeholt, nachdem die Helfer den Saal aus Sicherheitsgründen bereits hatten verlassen müssen.
Autorin
Nach dem Trocknen werden die Vliese mit einem beherzten Ruck von dem neu entstanden Blatt Papier, in das die originalen Buchseiten eingebettet sind, abgetrennt. Dann kommt es zur Kontrolle auf den Leuchttisch.
Hack 11
"Ob die Anfaserung gleichmäßig durchgeführt wurde, ob das Japanpapier gleichmäßig verklebt ist und im Weiteren wird dann eben dieser Falz wieder erzeugt, das heißt das Papier wird gefaltet in der Mitte und so haben wir wieder ein Doppelblatt."
Autorin
Stück für Stück entsteht wieder ein Buch. Die Blätter mit zwei Buchseiten darauf werden gefaltet, die gefalteten Blätter ineinander gesteckt und gestapelt. Zum Schluss wird der komplette Buchblock gepresst und mit einer Maschine auf das richtige Endformat zugeschnitten.
Hack 12
"Das ist dann der Abschluss hier in der Papierrestaurierung. Das ist ein solcher Buchblock der dann eingeschweißt wird quasi zu einem kleinen Paket, das dann an die Dienstleister für die Fertigung der Konservierungseinbände weitergeleitet werden kann."
Autorin
Vor Restauratorin Alexandra Hack auf dem Tisch liegt nun ein Buch, das aus der externen Buchbinderwerkstatt bereits zurückgekehrt ist.
Hack 13
"Der Titel lautet: Das jetzt florierende Thüringen in seinen durchlauchtigsten und ruhmwürdigsten Häuptern vorgestellt von M. Johann Gottfried Gregorii Toba Thuringo 1711."
Autorin
In der Buchbinderei hat das florierende Thüringen einen grauen Konservierungseinband und als zusätzlichen Schutz eine Buchschachtel erhalten.
"Durch die Verwendung von langzeitstabilen Materialien, wie hier dieser Archivkarton, ist es jetzt möglich, diesen Band auf sehr schonungsvolle Art und Weise wieder zu benutzen. Und so kann er dann eben auch wieder zurück in den Lesebetrieb überführt werden und dort von interessierten Lesern und Forschern weiter genutzt werden."
Autorin
Aus dem Aschebuch ist wieder ein Band geworden, in dem man nach Herzenslust blättern und schmökern kann. Doch auf diesem Erfolg ruhen sich die Weimarer Papierrestauratoren nicht aus. Sie forschen derzeit zum Beispiel daran, wie angeschimmeltes Papier in großen Mengen restauriert werden könnte. Außerdem hat sich gezeigt, dass die neuartige Restaurierungsmethode für die Aschebücher gut funktioniert, nicht aber bei den Musikalien. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek beherbergt eine umfangreiche Sammlung an Notendrucken und -handschriften, darunter die privaten Notensammlungen der Herzoginnen Anna Amalia und Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar. Durch den Brand ist ein Großteil dieser wertvollen Sammlung, die unter anderem Werke von Joseph Haydn und Johann Christian Bach enthielt, zerstört worden. Ziel ist es nun, von den stark angekokelten Blättern zu retten, was nur geht.
Völckel 1
"Da sind eben sehr viele Handschriften und sehr viele Unikate darunter und man hat festgelegt, dass die Musikalien nicht restauriert werden, sondern erst einmal nur konserviert werden, um den größtmöglichen Informationserhalt zu garantieren."
Autorin
Papierrestauratorin Laura Völckel ist für die Entwicklung neuer Restaurierungstechniken zuständig. Sie tüftelt an einer Lösung, wie auch die angekokelten Notenblätter, die äußerst fragil sind, restauriert werden könnten.
Autorin
Im Magazin nebenan stehen Metallregale prall gefüllt mit grauen Archivboxen. Ein intensiver Brandgeruch schlägt uns entgegen. Jede Schachtel enthält ein Schicksal. Ein Notenblatt, das den Brand von 2004 zumindest in Teilen überstanden hat. Laura Völckel nimmt eine Kiste aus dem Regal, darin liegt ein Blatt in der Größe A 5, das vielleicht auch mal ein A4-Bogen war. Die Hälfte des Blattes ist verkokelt, schwarze Ascheschuppen liegen auf den Noten.
Völckel 2
"Im Prinzip hat man häufiger auch das Problem, dass Informationen, die wichtig sind, wie Jahreszahlen oder auch Teile von Titeln oder einzelne Notenköpfe oder Vorzeichen, auch sehr häufig, im Grunde dann in dem verdunkelten Bereich sind und die sind ja sehr entscheidend für das Stück und dementsprechend wollen wir die Informationen mittels Infrarotstrahlung wieder hervorholen."
Autorin
Doch es hat sich gezeigt: Wenn Notenblätter restauriert werden wie die Aschebücher, also angefasert und mit Japanpapier überklebt, können die Informationen in den verschwärzten Bereichen nicht mehr im Infrarotlicht entziffert werden. Das aber ist wichtig für die spätere Digitalisierung der Noten.
Weber 10
"Die Musikalien werden komplett digitalisiert. Das wird dann die zukünftige Nutzungsform sein. Die sind zu fragil. Unsere Absicht ist, sie überhaupt erst einmal digitalisierbar zu machen. Das ist jetzt Ziel der Stabilisierung, damit sie digitalisierbar oder überhaupt lagerfähig und transportfähig werden."
Autorin
Erläutert Jürgen Weber, zuständig für die Bestände der Bibliothek und deren Erhaltung. Seit 2018 suchen die Weimarer Papierrestauratoren nach einer Methode, um die stark geschädigten Randbereiche so zu stabilieren, dass dabei keine Informationen verdeckt werden. Nun scheint es, haben sie das Erfolgsrezept gefunden. Wichtigste Zutat dabei: Nanozellulose.
Völckel 3
"Nanozellulose ist im Prinzip vom Grundmaterial genauso wie die reguläre Zellulose, die wir auch im Papier finden. Der Hauptunterschied ist die Dimension. Bei der Nanozellulose liegen wir im Durchmesser im Nanometerbereich. Ein Nanometer sind ein Millionstel Millimeter."
Die Lösung mit den winzigen, für das bloße Auge unsichtbaren Partikeln sprüht Laura Völckel auf das vorher im Wasserbad gereinigte Notenblatt. Wie feinstes Transparentpapier legt sich die Nanozellulose als Film darüber. Verkohlte Ränder können nun nicht mehr abröseln und trotzdem sind alle Informationen wie unter einer Glasscheibe weiterhin sichtbar. Was die Musikalien betrifft, liegt also noch viel Arbeit vor den Weimarer Restauratoren. Die Restaurierung der Aschebücher hingegen soll bis 2028 abgeschlossen sein, wagt Jürgen Weber einen Ausblick in die Zukunft.
Weber 11
"Ich denke mir, es ist notwendig, dass wir für die Behandlung von katastrophal beschädigten Objekten, die in großen Mengen anfallen, dass wir dort Institutionen haben, die sich schnell darum kümmern können. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Werkstatt einmal in einem verbund von Spezialinstituten so eine Funktion haben kann für besonders schwer beschädigtes Papier, das wieder stabilisiert werden muss."
Autorin
Denn leider kommt es immer wieder zu Katastrophen oder zu Kriegen wie aktuell in der Ukraine und damit zu massenhafter Vernichtung und Beschädigung von Kulturgut. 40 Prozent des Altbestands der Herzogin Anna Amalia Bibliothek war durch den Brand vernichtet oder in Mitleidenschaft gezogen. Aus der Not haben die Weimarer eine Tugend gemacht. Der Saal konnte in nur drei Jahren saniert und wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Durch den Brand und die Berichterstattung war die Bekanntheit der Bibliothek enorm gestiegen, sodass sich die Besucherzahlen vervielfacht haben. Mit dem neuen Verfahren der Mengenrestaurierung von Aschebüchern wurde aus dem Verlust sogar ein Mehrwert geschaffen, resümiert der Direktor der Bibliothek Reinhard Laube nachdenklich.
Laube 3
"Das ist tatsächlich ein Paradox, das wir aushalten müssen. Es ist so, dass dieser furchtbare Brand von 2004 dazu geführt hat, vieles ins Bewusstsein zu heben und der Erfolg besteht darin, aus diesem Ereignis so viel gemacht zu haben, dass es nicht nur darum geht, möglichst diese Schäden, diese Wunden so weitest möglich zu heilen, aber dann auch daraus etwas zu machen, was es vorher so noch nicht gab."
Autorin
Von den 1,5 Millionen Blatt der Aschebücher warten noch 500 Tausend Blatt auf ihre Restaurierung. Trotz der großzügigen Unterstützung durch private Spender, aus öffentlichen Töpfen und nicht zuletzt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz sind die Weimarer weiterhin auf finanzielle Hilfe angewiesen.
Laube 4
"Wir brauchen für den Unterhalt der Restaurierungsaktivitäten 500.000 Euro pro Jahr. Die Eckpfeiler der Finanzierung sind gesichert, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass es uns gelingt, noch Einzelföderungen zu bekommen."
Autorin
Auch wenn der Brand ein unauslöschlicher Teil der Geschichte der Herzogin Anna Amalia Bibliothek geworden ist, die Spuren, die er hinterlassen hat, werden immer weniger.
Original