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Hans Timmler - ein Leben zwischen Kitsch, Kunst und Kuriositäten

Wer wohnt dahinter ...?

Hans Timmler... ein Sammler, ein Bastler, ein kreativ Schaffender, der sich selbst nicht als Künstler sieht. Er ist auf jeden Fall einer, der vieles gebrauchen kann und der angesichts dessen, was er in den Händen hält nie ohne Ideen ist. Er verbaut, dekoriert und kombiniert Dinge zu merkwürdigen Arrangements , er schafft bunt-schaurige Seltsamkeiten. Klunkerverzierte Lampen, freakiger Schmuck, Möbel mit Geweihen, Ketten und Kreuzen, beleuchtete Totenschädel mit Soldatenhelm, Motorrad fahrende Babypuppen mit Punkfrisur ... Alles irgendwo zwischen morbidem Kitsch, Kirmesnippes und Kuriositätenkabinett.Nicht jedermanns Sache und möglicherweise fühlt sich manch einer gar in seinem Stilempfinden schauerlich berührt. Immerhin zog es im September letzten Jahres beim Hildesheimer Nordstadtfest „Hinten im Hof" so viele Besucher dort hin, dass Timmler sie in drei Schichten durch Haus und Sammlung führen musste. Auch ich war neugierig geworden und beschloss auf jeden Fall wiederzukommen, weil ich genau wissen wollte, wer dieser Typ ist, der sich nach eigenen Aussagen bei der Schöpfung seiner Werke „nichts Besonderes" denkt.

Mittlerweile ist es Frühjahr geworden, als ich Hans Timmler besuche. Von der Straße aus ist sein Haus nicht zu sehen und man würde es hinter den lückenlos nebeneinander stehenden Gründerzeitfassaden aus rotem Klinker in der Hermannstraße nicht einmal vermuten. Nur hier und da hat es einen schmalen Durchgang zu den Hinterhöfen in denen sich zumeist Fahrradständer, Wäschespinnen oder Garagen befinden - vereinzelt auch mal einen größerer Garten und Nebengebäude, wie das von Hans Timmler.

Das Haus war bis vor zwanzig Jahren eine Backstube, die zu der Bäckerei an der Straßenecke gehörte. Ließe sich von der Eingangspforte auf den Bewohner schließen, dann könnte man meinen, hier wohne einer, der deutlich anders tickt als andere. Ich klingle, Schritte nähern sich und Hans Timmler, ein Mann in mit schneeweißem, mittellangem Haar und sehr lebendig blickenden Augen öffnet die Tür. Zwischen den Frühblühern im Garten entdecke ich Dämonenfratzen an bunten Zwergen und Windmühlen. Eine leuchtend rote Metallkonstruktion, augenscheinlich ein Benzintank, ist in dem Garten nicht zu übersehen. Drei dicke Metallspinnen krabbeln über den abgeschrappten Lack. Eine Funktion hat das Ding nicht. „Die steht einfach nur so da...", schmunzelt Timmler „...mein Garten-Alien".

In der Laube hat sich ein Gewirr alter Laternen, perlenverzierter Kruzifixe und zweckentfremdeter Gebrauchsgegenstände angesammelt, dazwischen ein paar schäbige Totenköpfe, bunte Glasflaschen und Pflanzenarrangements.

Etwas skurril, die Babypuppe mit den bunten Haaren, hinter einem Skelett auf dem Motorrad und seltsam berührend ist auch der Kopf einer weiteren Puppe, die aus dem ausgesägten Astloch eines Baumes lugt. Drei kleine Vögel posieren davor. Was hat sich Timmler dabei wohl gedacht? „Nichts weiter" erklärt er mir „Die Puppen finde ich meistens im Sperrmüll." Er kann nicht verstehen, dass man sie einfach wegwirft, statt sie weiter zu verschenken. „Ich baue sie in eine Szene ein, wenn ich meine, dass sie da rein passen." Das ist alles.

Im Eingangsbereich des kleinen Hauses dringt durch die obenliegenden Fenster nur spärlich Licht und zeichnet harte Schattenkontraste in die Gegenstände. Alles ist auf den ersten Blick mehr zu erahnen, als zu erkennen. Man muss schon nähertreten, sich Zeit nehmen, um die Details an Kontur gewinnen, zur Einheit zusammenwachsen zu lassen. Helles Licht würde hier stören, denn im Halbdunkel scheinen sich die Dinge den Ideen, aus denen sie hervorgingen, wieder anzunähern. An den Wänden hängen unterschiedlichste Objekte. Mitten im Raum steht eine Art Thron aus dunklem Holz, geziert von Geweihen, Totenköpfen, Kreuzen und bunten Ketten und in der Ecke sind die schemenhaften Umrisse einer Schaufensterpuppe zu erkennen. Nicht alles baut Timmler zusammen, einiges dekoriert oder gruppiert er nur mit anderen Dingen und lässt etliche der gesammelten Fundstücke einfach nur so wie sie sind.

Von oben her duftet es nach Kaffee. Eine schmale Holzstiege führt in die Wohnküche hinauf. Möbel, Skulpturen und Dekoration stehen dicht an dicht. Ziemlich beengt hier, aber gemütlich. Auf dem Tisch stehen zwei Kaffeegedecke aus altem Goldrandporzellan bereit, Hans Timmler schenkt ein. Es läuft Musik von Pink Floyd ... Shine on you crazy diamond... „Viele Leute sind verstört, wenn sie mich besuchen und können nicht verstehen, dass ich so leben kann" erzählt Timmler, der fertige Arbeiten mit dem Abdruck seines Daumens signiert „manchmal ist es mir sogar selbst zu voll, deswegen muss ich mich auch vom einen oder anderen Objekt trennen." Einiges hat er schon verkauft. In Deutschland, Europa und sogar in den USA stehen seine Schöpfungen.

Mit Kreativität gegen Leere und Alkohol

Mit seinen Kreationen, erzählt er mir der Sechzigjährige, hat er während der langen Zeit seiner Arbeitslosigkeit begonnen. Das „Nichtstun" hat er nicht ausgehalten. Lange Jahre litt er unter Alkoholsucht. Das Sammeln von Material und die Arbeit an den Kunstwerken waren seine Entziehungskur. Allein, ohne Einrichtung und Medikamente hat er sie bekämpft. Hilfe von außen wollte er sich nicht holen.

Das Rauchen gewöhnte er sich ganz nebenbei mit ab. Heute ist er trocken. In der Nähe von Seesen im Harz ist er aufgewachsen, war der Mittlere von neun Geschwistern. Die Eltern waren Flüchtlinge aus Oberschlesien, heute Polen. Die Dorfbewohner lehnten die „Fremden aus dem Osten" ab. Seine Mutter trank, der Vater war tablettensüchtig. Zwischen elterlichem Behüten und Loslassen, war bei ihm eine große Leerstelle, und in dem brüchigen Bezugssystem entwickelte er seinen eigenen Begriff von Freiheit. Er bekam Ärger, weil er zu oft in der Schule fehlte. Der Druck und die Lautstärke dort waren ihm unerträglich. „Ich habe die Einsamkeit gesucht und im Wald, da habe ich mich wirklich wohl und sicher gefühlt" Dort spielte er , ging spazieren und träumte ... Nach der siebten Klasse ging er zum Arbeiten in die Fabrik. Arbeiten bedeutete Geld und Geld bedeutete Unabhängigkeit. An den Wochenenden reiste er zu Festivals, traf dort auf Gleichgesinnte. Sein Leben bewegte sich zwischen Arbeit und Party, und die Alkoholsucht stahl sich unmerklich da hinein, bis ihm schlagartig bewusst wurde, dass er damit nicht mehr so einfach würde aufhören können. Unaufgeregt berichtet er aus seinem Leben, ohne jegliche Rührseligkeit, ohne Bitterkeit. Er hat lange gebraucht um herauszufinden, was ihn erfüllt. Mit den Händen etwas tun, etwas entstehen lassen und den Dingen ein neues Leben schenken. Das ist es auch, was er seit acht Jahren beruflich für den Verein „Arbeit und Dritte Welt" macht, wenn er dort Rollatoren, Rollstühle oder Fahrräder repariert und aufarbeitet, damit sie gebrauchsfähig in Entwicklungsländer transportiert werden können.

„Wenn ich anfange ist alles noch offen. Zum Schluss ist es dann eine Lampe oder ein Briefkasten mit Klingel"

Seine Schöpfungen entstehen ohne Konzept nur aus dem Gefühl heraus, er lässt sie sich entwickeln, aus dem unmittelbaren Tun. Wenn seine Arbeit vollbracht ist, dann sind Objekte entstanden, wie sie überall in Haus und Garten zu entdecken sind. Die „Zutaten" findet er auf Trödelmärkten, dem Schrottplatz oder im Sperrmüll. Zuhause baut er die Fundstücke zusammen. Nach Behandlung mit Heißklebepistole, Nagel Schraube und Lack entstehen Bilder, Skulpturen, Mobiles, Lampen, Möbel und Schmuck. Alles Dinge, deren fertigen Zustand er nur selten vor seinem inneren Auge hat.

Aus Aquarien baut er Leuchtobjekte mit fantastischen Unterwasserwelten. Darin schweben große und kleine Fische aus Glas über einem Meeresboden aus durchsichtigen Steinen und Perlen.

Gibt es denn auch Themen die ihn so stark bewegen, dass sie zu einer bewussten Arbeit an einem Stück inspirieren? „Ja, die gibt es immer wieder und die ganz heftigen lassen mich auch nicht zur Ruhe kommen." erzählt er. Diffuse Bilder und schwer greifbare Gedanken fluten dann sein Gehirn und stürmen seine Gedanken. „Mitten in der Nacht stehe ich auf und werke solange herum, bis ich fertig bin, bis alles raus ist aus dem Kopf. Dann ist Ruhe."

„Ich sehe mich nicht als Künstler"

Timmler, gestaltet seine Objekte ohne die Absicht etwas aufzeigen zu wollen, er ist keiner, der durch eine Mission angetrieben wird und sieht sich selbst bar jeglichen Sendungsbewusstseins. Das Dunkle, Vergängliche, manchmal sogar Abgründige gewinnt durch kitschig bunte, Einsprengsel an Komik, die urplötzlich ins Tragische kippen kann.

Seine Werke sind schrill, überspannt, mysteriös und widersprüchlich. Persönliche Schönheitsbegriffe und der gängige Kunstbegriff geraten möglicherweise an ihre Grenzen, werden erschüttert. Aber dann guckt man doch hin, weil seine Arbeiten so symbolgeladen und mehrdeutig sind, man unwillkürlich nach einem tieferen Sinn dahinter forschen möchte. Alles ist ein wenig aufdringlich, eindringlich sowieso, aber es bleibt genügend Raum für das Kino im eigenen Kopf. Film ab.

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