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Alle vier Tage macht ein Schwimmbad dicht

Fehlende Bademeister, marode Becken, Investitionsstau. Die DLRG warnt: Deutschland soll nicht zum Land der Nichtschwimmer werden.


Die Sitzung begann mit einer Provokation. So zumindest bezeichnet es Achim Haag, Präsident der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG), als er die Frage „Deutschland - ein Land der Nichtschwimmer?" in den Raum wirft. Um ihn herum saßen Politiker neben Vertretern von Sportverbänden und Vereinen. Sie waren auf Einladung des Bundestags-Sportausschusses nach Berlin gekommen, um über die Situation der Schwimmbäderinfrastruktur und die Personalausstattung mit Fachkräften zu sprechen. Denn die ist, da waren sich alle Teilnehmer einig, ziemlich dramatisch.

Das belegen auch die Zahlen. Etwa alle vier Tage macht in Deutschland ein Hallen- oder Freibad dicht, pro Jahr sind es durchschnittlich 80. Dem Bäderatlas zufolge, einer Übersicht der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, gab es in Deutschland 2018 rund 6.400 Bäder - darunter 502 Naturbäder, 1.000 Lehrschwimmbecken, 2.233 Hallenbäder und 2.686 Freibäder. Im Vergleich zum Jahr 2000 entspricht das einem Rückgang um 11,4 Prozent. Davon betroffen sind vor allem Freibäder, hier beträgt der Rückgang rund 17 Prozent. Bei den Hallenbädern sind es knapp sieben Prozent.

Wie groß der Rückgang in Sachsen ausgefallen ist, dafür gibt es keine Zahlen. Momentan gibt es laut Bäderatlas im Freistaat 320 Bäder, davon die meisten Frei- (194) und Hallenbäder (95). Die übrigen sind Kombi- und Naturbäder. Insgesamt sei die Schwimmbad-Situation in Sachsen gut, so Sebastian Knabe, Chef des DLRG-Landesverbands. „Im bundesweiten Vergleich können wir uns nicht beklagen." Aber auch hier gebe es im ländlichen Raum Orte, von denen man 20, 30 Kilometer zum nächsten Schwimmbad fahren muss.

© Roland Weihrauch/dpa

Die AfD in Sachsen hat am Montag mehr Schwimmunterricht für Schüler gefordert und das mit einer wachsenden Zahl an Nichtschwimmern begründet. Das sächsische Kultusministerium wies die Kritik der Partei zurück. Der Anteil der Schüler, die die Anforderungen der Einsteigerprüfung "Seepferdchen" erfüllten, sei weiter auf hohem Niveau, teilte das Ministerium am Dienstag mit. Bei den Zweitklässlern habe die Quote im vergangenen Schuljahr bei 91 Prozent gelegen, im Schuljahr 2016/2017 waren es noch 86,5 Prozent.

"Die Verantwortung, Kindern das Schwimmen frühzeitig beizubringen und auf die Gefahren vorzubereiten, liegt aber nicht allein in der Verantwortung der Schule, sondern ist ebenso eine Aufgabe der Eltern", so Referentin Susann Meerheim. Wie beim Sprechen und Lesen lernen komme es auch beim Schwimmen auf das nötige Training an: "Wer in seiner Freizeit schwimmen geht, gewinnt die nötige Sicherheit und kann die Fähigkeiten im Schwimmen, Springen und Tauchen weiter stärken."

Fachpersonal fehlt

Warum müssen in Deutschland überhaupt so viele Schwimmbäder schließen? Die Kommunen leiden unter dem Investitionsstau. Zwar können die meisten ihre laufenden Haushaltskosten finanzieren. Für sogenannte freiwillige Aufgaben jedoch - dazu gehört die Instandhaltung von Schwimmhallen - bleibe meist kein Geld, sagt Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund.

Marode Schwimmbäder, Sicherheitsmängel und die Schließungen führen zudem dazu, dass immer mehr Schulen den Schwimmunterricht nicht mehr anbieten können, sagt Manuel Kopitz vom Netzwerk Schwimmunterricht. Schätzungen der DLRG zufolge verlassen mittlerweile rund 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Schule, ohne richtig schwimmen zu können.

DLRG-Präsident Haag wählt drastische Worte: Das Bädersterben führe dazu, dass immer mehr Menschen, vor allem Kinder, ertrinken. Um auf die Lage kommunaler Hallen- und Schwimmbäder aufmerksam zu machen, hatte er im vergangenen Jahr eine Petition gestartet. Rund 120.000 Unterschriften hatte er zusammenbekommen. Die Forderung: Investitionen vom Bund müssten her, um die Kommunen finanziell zu entlasten.

Die Internationale Vereinigung Sport- und Freizeiteinrichtungen (IAKS) schätzt, dass in Deutschland jedes zweite Bad sanierungsbedürftig ist. Rund 4,5 Milliarden Euro müssten investiert werden. Und es fehlt Geld für den Bau neuer Bäder. Dabei müsse dann auch für Barrierefreiheit gesorgt werden, fordert Katrin Kunert vom Deutschen Behindertensportverein.

Das Bädersterben führe dazu, dass immer mehr Menschen, vor allem Kinder, ertrinken, so der DLRG-Präsident. © Patrick Pleul/dpa

Eines darf laut Wolfgang Hein vom Deutschen Schwimmverband nicht vergessen werden: Investitionen in mehr Fachpersonal. Nicht nur marode Schwimmhallen, sondern auch der Mangel an Fachpersonal sei ein Grund dafür, dass viele Hallen schließen müssten. War der Bademeister früher Respektsperson, werde er heute zunehmend beschimpft und bedroht, heißt es. Ausbildungsberufe werden zunehmend unattraktiv, im Vergleich zum Jahr 2000 ging die Zahl der Auszubildenden um 21,8 Prozent zurück.

Klaus Hebborn vom Deutschen Städtetag fordert eine bessere Zusammenarbeit von Kommunen, Ländern und Vereinen. Zudem müsse man dringend für eine bessere Datenlage sorgen. Zwar biete der Bäderatlas eine generelle Übersicht über die Anzahl der Schwimmbäder. Valide seien diese Zahlen jedoch nicht, vor allem werde darin nur nach der Anzahl der Bäder gewertet, nicht aber nach der Wasserfläche. „Mancherorts werden zwar zwei Bäder geschlossen, dafür aber ein großes, neues gebaut. Die Wasserfläche wird dadurch womöglich sogar größer", sagt er. Nur mit exakten Zahlen könne ordentlich geplant und gebaut werden.

Schon in den 1960er-Jahren hatte es einen Masterplan gegeben. Damals wurden Milliarden in die Errichtung neuer Sportstätten investiert. Doch Instandhaltungskosten waren kein zentraler Bestandteil des Plans. Das soll sich nun ändern. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte dem deutschen Sport im vergangenen Jahr ein Modernisierungsprogramm in Milliardenhöhe in Aussicht gestellt. Für das laufende Haushaltsjahr wurden 200 Millionen Euro für die Sanierung oder den Bau kommunaler Sportstätten genehmigt. (mit AL)

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