1 subscription and 1 subscriber
Article

Wie eine Tanzschule Geflüchteten helfen will

Als Kinder geflüchteter Eltern hatten es Scharajeg und Paco Veliu nicht leicht. Was gegen Alleinsein und Fremde half, war der Hip-Hop-Tanz. Nun eröffnen sie ihre eigene Tanzschule. Der Weg dahin war lang.


So richtig glauben können sie es nicht. Dass sie hier wirklich stehen, die Schlüssel zu ihrer eigenen Tanzschule in der Hand. „Fühlt sich an wie ein Traum", sagt Scharajeg Veliu. Mit ihrem Mann Paco geht sie durch die Räume der Dance Industry in der Überseestadt, streicht über Wände, staunt.

„Unser Schiff" nennt sie das auch. Weil es von außen so aussieht, sagt sie, aber auch, weil es Menschen über Wasser halten soll, die es schwer haben. Geflüchtete etwa sollen hier bald tanzen, sozial Benachteiligte. Zwei Jahre lang hat das Paar daran gearbeitet. Am Sonntag feiern sie Eröffnung. Der Weg zur eigenen Tanzschule war hart. Er beginnt mit dem Gefühl des Fremdseins.

Scharajeg und Paco Veliu haben eine bewegte Geschichte. Beide zusammen, seit zwölf Jahren sind sie ein Paar, seit einer Woche Eltern einer Tochter. Aber auch allein, jeder für sich. Paco Veliu, 31, floh 1992 mit den Eltern aus dem Kosovo. Ohne Sprachkenntnisse, ohne Geld und ohne Perspektive kamen sie in Deutschland an. „Am Anfang war mir alles so fremd", sagt Paco Veliu. Er war drei damals, ein kleines Kind.

Tanzen hält auch das Hirn fit

Scharajeg Veliu, 31, geborene Ehsasian, kam 1989 in einem deutschen Flüchtlingsheim zur Welt. Die Eltern waren kurz zuvor aus dem Iran geflüchtet. Sie haben den Krieg miterlebt, waren traumatisiert. „Damals stand alles im Vordergrund, nur nicht die Kinder", sagt Veliu. Sie meint das nicht vorwurfsvoll. „Es ging eben nicht anders, meine Eltern hatten mit sich selbst zu tun." In der Schule waren sie Außenseiter. Sie fingen beide an zu tanzen. Sie Hip-Hop in einer AG, er Breakdance in der Untergrund-Szene - in Gruppen, die sich überall treffen, auf der Straße, in Kellern, in verlassenen Gebäuden. "Das war mein Weg, mich mitzuteilen", sagt Paco Veliu, der mittlerweile Tanzlehrer ist.

Auch seiner Frau ging es so. Mit elf tanzte sie Meisterschaften, mit 15 war sie Background-Tänzerin der Bravo-Super-Show. „Das Tanzen hat uns gerettet", sagt sie und lacht dann, weil das pathetisch klingt. „Aber im Grunde war´s so. Bewegung war ein Anker, ist sie immer noch." Das Tanzen teilt ihr Leben in ein Früher und ein Heute. Früher, sagt Scharajeg Veliu, war sie das stille Kind, das die Lehrer für lernschwach hielten. Die junge Frau, der man riet, lieber Tischlerin zu werden, mit den Händen zu arbeiten, nicht mit dem Kopf. Dann kam der Hip-Hop-Tanz. Dort traf sie Menschen, die mehr in ihr sahen als nur das Flüchtlingskind, „den Problemfall".

Kunsttherapie für geflüchtete Frauen

Sie sahen das Kind, das sprach, noch nicht viel mit Worten, aber mit Armen und Beinen, Bewegungen. Heute ist sie eine selbstbewusste Frau. Eine, die irgendwann beschloss, sich nicht in Schubladen stecken zu lassen. Eine, die laut ist und spricht, so viel, das man zwischendurch kaum Fragen stellen kann. Heute ist sie Scharajeg Veliu, Politikmaster, fünf Sprachen, Referentin für Migratenförderung in der Bremer Bildungsbehörde. Eine Kämpferin.

Der Tanz ist auch der Ursprung ihrer Liebe. Sie war 18, er 19, als sie in Bremen die weibliche Hauptrolle in einem Musical bekam, er die männliche. Sie kannten sich schon davor, erinnern sie, fanden sich gut. „Aber damals hat es dann richtig geknallt", sagt sie. Für ihn ließ sie das Stipendium einer renommierten amerikanischen Uni sausen. „Seitdem kämpfen wir uns zusammen durch die Welt."

Ihre Erfahrungen wollen die Velius weitergeben. Nicht erst jetzt, mit der eigenen Tanzschule, auch vorher schon: In Bremen organisieren sie seit vielen Jahren Musicals und Sommercamps für sozial benachteiligte und geflüchtete Kinder, bringen auch Moslems und Juden zusammen auf eine Bühne. Religion, Geschlecht und Herkunft: den Velius ist das alles egal. „Beim Tanzen kannst du sein, wie du bist." Vor zwei Jahren beschlossen sie dann, etwas Eigenes zu machen.

Neben Vollzeitjobs die Tanzschule aufgebaut

Nicht mehr nur für andere zu arbeiten, eine eigene Tanzschule zu eröffnen. Sie nennen sie Dance Industry. „Wir wollen hier sozusagen die Künstler von morgen fabrizieren", sagt Paco Veliu. Sie heißt aber auch so, weil das Gebäude ein altes Zollamt im Industriegebiet der Überseestadt ist. Einen Großteil der Kosten für die Sanierung habe ein Investor übernommen. Beide haben Vollzeitjobs, planten die Tanzschule nebenbei. Sie sind ein Powerteam, sagt sie.

Er findet: „Ich habe die stärkste Frau der Welt." Als sie zum Interview empfangen, ist Scharajeg Veliu erst einen Tag zurück aus dem Krankenhaus. Wenige Tage zuvor ist sie Mutter geworden. Nun laufen schon die Vorbereitungen für die Eröffnung. Ob das nicht alles ein bisschen viel sei? Nein, findet sie. Eines sei ihnen besonders wichtig: „Die Türen sind immer offen".

Für Anfänger, Profis. Auch für die, die kein Geld haben. Das Angebot ist groß: es gibt etwa Rollstuhltanzen, Kurse für junge Mütter und Väter, Power-Fitness, Hip-Hop oder Yoga. Vormittags wollen sie soziale Projekte betreuen, Kitas, Schulklassen, junge Geflüchtete. Nachmittags gibt es dann Kurse gegen Geld. Um das gehe es beiden aber nicht, zumindest nicht nur. Zusammen wollen sie das für andere tun, was sie selbst einst brauchten: da sein. Hinschauen. Mut machen.

Weitere Informationen

Die Dance Industry, Hansator 1, eröffnet am Sonntag von 14 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei. Es gibt kostenlose Workshops. Freitag und Sonnabend sind über 500 Tänzer aus ganz Deutschland zu Gast, um an den Qualifikationen für den „Hip Hop World Battle" in Porto teilzunehmen. Tagesticket 13 Euro, beide Tage 20 Euro.

Original