Biochemiker basteln im Labor ihre eigenen Lebewesen. Ihre Methoden und Forschungen sollen die großen Probleme der Gegenwart lösen. Muss sie die Welt deshalb fürchten?
Es sollte nicht nur eine wissenschaftliche Sensation werden, sondern auch ein Paukenschlag für die breite Öffentlichkeit. Als der amerikanische Biochemiker Craig Venter im Mai 2010 im Wissenschaftsmagazin Science verkündete, er habe ein Bakterium mit künstlich erzeugter Erbinformation hergestellt, wählte er den Titel des Artikels mit Bedacht. Statt von Klonierung zu sprechen, wie es eigentlich wissenschaftlich korrekt gewesen wäre, sprach er von "Creation". Und inszenierte sich damit als Schöpfer von Leben.
Doch selbst der Vatikan reagierte auf diese großspurige Provokation besonnen. Denn statt selbst Gott zu spielen, war es Venter nur gelungen, das Vorbild der Natur zu kopieren. Der Wissenschaftler hatte den kompletten genetischen Code eines einfachen Bakteriums mittels künstlicher DNA-Buchstaben ab- und umgeschrieben. Dieses synthetische Erbgut pflanzte er nun einem weiteren, seiner Gene zuvor beraubtem Bakterium ein - das die stressvolle Prozedur nicht nur überlebte, sondern sich auch weiter vermehrte. Ein großer technischer Fortschritt, doch kein neues Leben.
Die Methoden, die Venter und andere Biologen derzeit entwickeln, können dennoch unseren Umgang mit der Natur revolutionieren. Sie sollen die großen Probleme der Gegenwart lösen. Optimierte Nutzpflanzen könnten zum Beispiel Hunger und die globalen Energieprobleme bekämpfen, Schadstoffe abbauen und Medikamente herstellen, so die Hoffnung der Fans dieser sogenannten synthetischen Biologie. Die Gegner haben bei diesem Fachbegriff ganz andere Assoziationen. Für sie geht die Technik ähnlich wie die herkömmliche Gentechnik mit bedrohlichen Risiken einher. Beispielsweise wenn es einem der modifizierten Organismen gelingt, in die Umwelt zu entkommen und sich unter die natürlichen Arten zu mischen.
Im Jahr 2012 versetzten Wissenschaftler aus Rotterdam und den USA die Welt in Angst und Schrecken, als sie den potenziellen Erreger einer gefährlichen Grippepandemie bastelten - als natürliches Vogelgrippevirus hochgefährlich, als künstliches Laborprodukt gleichzeitig hochansteckend. Anfangs setzte sich der nationale Wissenschaftsrat für Biosicherheit der USA erfolgreich dafür ein, dass die brisanten Details unter Verschluss blieben. Die gefährlichen Baupläne, so die Sorge, könnten in die Hand von Terroristen gelangen. Zwischenzeitlich wurden sie doch noch der Allgemeinheit zugänglich gemacht - da Wissenschaftler in aller Welt so die Krankheitsmechanismen erforschen könnten, lautete die Begründung.
Ereignisse und Sorgen, die jetzt auch auf zwei Tagungen an der Albert-Ludwigs-Universität und der Akademie für politische Bildung am Starnberger See diskutiert wurden. Baupläne für gefährliche Organismen, so betonte Christoph Then in Freiburg, dürften in Zukunft nicht für jeden frei verfügbar, sondern nur Wissenschaftlern zugänglich sein. Gleichzeitig sollten, so forderte der Geschäftsführer des unabhängigen Vereins Testbiotech auf der Freiburger Tagung "Synthetische Biologie und Gesellschaft", synthetisch hergestellte Organismen nur unter bestimmten Bedingungen in der Umwelt eingesetzt werden dürfen: nämlich nur dann, wenn sichergestellt sei, dass sie rückholbar sind. "Firmen wie Craig Venters Firma Synthetic Genomics starten derzeit Feldversuche, bei denen sie modifizierte Algen in hektargroßen Anlagen einsetzen, um durch Photosynthese Biosprit zu gewinnen. Bei derart groß angelegten Projekten ist eine Freisetzung der synthetischen Bakterien nicht zu vermeiden", so Then auf der Veranstaltung, zu der das Exzellenzclusters Bioss und das Freiburger Institut für Ethik und Geschichte der Medizin geladen hatten.
Then wünscht sich die Einsetzung eines Forschungsrats, an dem zum Beispiel Umweltorganisationen beteiligt werden, als Kontrollgremium für die Wissenschaftler. Auch müssten die Risiken besser erforscht werden - "manche Folgen sind erst in Langzeitstudien abschätzbar".
Die Mikrobiologin Kirsten Jung schätzte hingegen auf der Tutzinger Tagung die Folgen von synthetischer Biologie für die Umwelt als "weitgehend unproblematisch" ein. Sowohl die Natur als auch der Mensch würden seit Urzeiten durch Kreuzung verschiedener Sorten Eigenschaften von Arten ändern.
Manchen Anwesenden plagte noch eine weitere Sorge: Durch sinkende Kosten kann synthetische Biologie zunehmend in kleinen, ungesicherten Laboren betrieben werden, so die Befürchtung. So richteten sich inzwischen auch interessierte Privatleute als "Biohacker" eigene Genlabore ein. Biologiestudent Rüdiger Trojok sieht dies allerdings positiv: "Je mehr Menschen die moderne Biotechnologie verstehen und sich ihre eigene Meinung bilden, desto ausgewogener wird die Diskussion."
Dennoch: Durch die zunehmende Anzahl an Privatlaboren wird das Geschehen in der synthetischen Biologie immer unkontrollierbarer. Während in Europa für den Bereich der Gentechnik umfassende gesetzliche Regelungen existieren, ist zum Beispiel die Erzeugung schädlicher DNA-Abschnitte bisher nur über eine Selbstkontrolle der Firmen geregelt. Diese kann relativ leicht umgangen werden, wie Journalisten des Magazins Spektrum der Wissenschaften im Juni aufdeckten. Ihnen gelang es problemlos, über das Internet DNA-Abschnitte des Stoffes Rizin zu bestellen. Da Rizin hochgiftig ist, ist es auf der Kriegswaffenliste aufgeführt - seine genetischen Baupläne jedoch nicht. "Eine Selbstverpflichtung der beteiligten Firmen reicht nicht aus. Hier sind gesetzliche Regeln dringend nötig", fordert Christoph Then.
Selbst die Industrie könnte sich auf solche Regeln einlassen, verriet Wolf-Michael Catenhusen, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats in Freiburg. Aufgrund der verhärteten Fronten in der Gentechnikdiskussion sei man in Deutschland sogar in den Führungsetagen der Unternehmen derzeit bereit, Kompromisse einzugehen. "Im Gegensatz zur Gen- oder Nanotechnik gibt es im Bereich der synthetischen Biologie erstmals die Chance, schon früh die Möglichkeiten einer neuen Technologie kritisch zu hinterfragen." Wenn die EU sich zusammen mit den USA auf eine gemeinsame Richtlinie verständige, könnte sie Weltstandards setzen.
Tatsächlich diskutiert die indische Regierung derzeit, den Einsatz von gentechnisch veränderten Lebensmittelpflanzen für die kommenden zehn Jahre zu verbieten, wodurch gleichfalls die Verwendung synthetischer Organismen eingeschränkt würde. Ein Schritt, der in China und vielen anderen Ländern noch undenkbar ist. Angesichts der weltweit zunehmenden Nahrungs- und Energieprobleme werden die Versprechen der synthetischen Biologie aber verlockend bleiben.
Während die Gentechnik nur einzelne Gene verändert, plant die synthetische Biologie, aus vorgefertigten, standardisierten Bausteinen neue Lebewesen aufzubauen. Vorstellbar sind dabei momentan zwei Wege. Möglichkeit Nummer eins: Vorbilder aus der Natur werden kopiert und in andere Organismen übertragen. So können zum Beispiel in Algen oder Bakterien genetische Module hineingebastelt werden, durch die diese in die Lage versetzt werden, Ölteppiche abzubauen oder Schwermetalle zu binden. Möglichkeit Nummer zwei: Genetische Module für neuartige Eigenschaften, für die es in der Natur noch keine direkten Vorlagen gibt (zum Beispiel der natürliche Abbau von Kunststoffen), werden selbst konstruiert. Ein weiteres Ziel der synthetischen Biologie ist es, einen Minimalorganismus zu erstellen. Derzeit arbeitet das Team von Craig Venter daran, die Gene zu bestimmen, welche für das normale Leben eines Bakteriums verzichtbar sind. Als nächster Schritt sollen diese aus dem Keim-Genom entfernt werden. Der entstehende Minimalorganismus hätte einen dreifachen Nutzen: Einerseits erlaubt er aufgrund seines einfachen Aufbaus, die grundlegenden Vorgänge einer Zelle besser zu verstehen. Andererseits würde er weniger Energie verbrauchen und könnte daher effizienter industriell eingesetzt werden. Und drittens wären derartige Minimalorganismen als reine Spezialisten und Laborbewohner nicht für alle Notsituationen gerüstet. Daher hätten sie kaum Überlebenschancen, wenn sie aus Instituten oder Industrieanlagen entwischen würden.
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