Die wahren Väter des Webs hatten, entgegen der weit verbreiteten Version der Web-Geschichte, kein "nuklearraketensicheres Computernetzwerk" im Sinn. Der Grundgedanke des Internet ist der Link. Leute wie Ted Nelson, der 1960 das Konzept des Hypertextes publik machte (von dem Bibliothekare schon 40 Jahre vorher träumten), versuchten eine Struktur zu schaffen, die Wissen erschließen sollte, indem sie Inhalte aufs Engste miteinander verband.
Verbunden ist im World Wide Web heute vor allem die Welt des Aktuellen, des Flüchtigen, des Trivialen. "Das Web", sagt Ted Nelson heute, "ist Hypertext. Aber in seiner trivialsten Form." Denn zum einen ist es "unintelligent", weil es immer nur von A nach B zeigt und nicht zurück und keine Kontexte erfasst.
Zum anderen findet sich schlicht viel zu wenig vom Wissen der Welt im World Wide Web: Ernsthafte, seriöse Informationen warten zwischen Buchdeckeln darauf, irgendwann einmal überall verfügbar zu sein. Von der breiten (Web-)Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet wird genau daran an vielen Orten der Welt gearbeitet.
Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen.
Nicht allein die Tatsache, dass man am heimischen PC bebilderte Rundgänge etwa durch die Königliche Bibliothek in Stockholm, die British Library oder die Gemeindebibliothek Zerbst genießen kann, macht die Faszination des weltumspannenden Infonetzes aus. Das eigentlich Beeindruckende ist die Möglichkeit, schon jetzt unter mehr als hundert Millionen Buchtiteln genau das heraussuchen zu lassen, was einen gerade interessiert.
In der Hauptsache nutzen bislang Studierende und Wissenschaftler die Möglichkeit, mehrere hundert Kataloge und Datenbanken in einem Vorgang zu durchforsten. Sie aber suchen normalerweise nicht auf gut Glück im Fundus der hundert Millionen Titel, sondern greifen auf eine Vielzahl von spezialisierten Fachadressen zurück, in denen online-verfügbares Schrifttum aufgespürt werden kann.
Nicht immer, aber immer öfter kann man dabei Fachaufsätze oder sogar ganze Werke am PC durchblättern - sofern die lizenzrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. In vielen Ländern der Welt ist man mittlerweile dabei, spezielle Sammlungen von Veröffentlichungen zu digitalisieren.
Wissensinhalte in Form von Büchern, Zeitschriften und anderen Medien für den Leser zugänglich zu machen und anhand bestimmter Systematiken bereitzustellen ist seit je her Aufgabe der Bibliothekare. Schon lange bevor es das Internet gab, existierten unter den Hochschul- und Fachbibliotheken, Spezialarchiven und Sondersammelgebiets-Bibliotheken Netzwerke, die beispielsweise die Fernleihe erst ermöglichten.
Darauf lässt sich bauen, wenn es um die Schaffung "digitaler Bibliotheken" geht. So muss sich der Nutzer auch nicht jedes Mal mit einer völlig neues Such-Systematik auseinander setzen. Mit ihrer einheitlichen Benutzeroberfläche bietet die Digitale Bibliothek NRW (www.digibib-nrw.de) beispielsweise eine sehr einfache, aber dennoch effektive Suchfunktion.
Man kann hier parallel große Bibliothekskataloge und Literaturdatenbanken aus NRW und dem Rest der Welt durchsuchen. Mehr noch: Sind Literaturnachweise ermittelt, kann in wenigen Augenblicken festgestellt werden,
in welcher Form sie verfügbar sind - ob online im Direktzugriff, per Dokumentlieferung nach einer Online-Bestellung oder in einer Bibliothek. Und wer die Literatur direkt kaufen will, kann sich dazu in einen Online-Bookshop weiterklicken.
Dieses Angebot, das bislang auf den wissenschaftlichen Bereich ausgerichtet war, wird in NRW nun auf die Interessen der breiten Bevölkerung abgestimmt. Eine "Digitale Öffentliche Bibliothek" ist derzeit im Aufbaustadium. Zunächst sind an das bestehende "Digibib"-Angebot die Stadtbibliotheken von Köln, Dortmund und Düsseldorf angekoppelt worden. Hier können Leser schon jetzt Dutzende von Katalogen und Datenbanken durchkämmen.
Für Frank Daniel, Projektkoordinator bei der Kölner Stadtbibliothek, ist dies ein logischer Schritt: "Bereits jetzt nutzen viele Leser unser Angebot, entliehene Bücher per E-Mail zu verlängern." Eine Bibliothek, die den Anschluss an das digitale Informations-Angebot verpasse, verkomme schnell zu einem "Büchermuseum".
Träger des im Oktober 2000 begonnenen Projektes ist das Hochschulbibliothekszentrum Nordrhein-Westfalen, das seinen Sitz in Köln hat. Bis Ende 2002 sollen alle erforderlichen Schritte zur Umsetzung abgeschlossen sein, inklusive eines Konzeptes zur Ausweitung des Angebotes auf weitere Stadtbibliotheken. 560.000 Mark lässt sich das Land Nordrhein-Westfalen seine digitale Öffentliche Bibliothek kosten. Ob es jedoch in Zukunft weitere Landeszuschüsse für Bibliotheken gibt, ist fraglich. Kürzlich wurde der Etat-Ansatz auf "Null" gesetzt.
Innovation und Service kosten Geld, doch wer zahlt die Zeche? Wir fragten nach...