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Willkommen im Dschungel

Ob auf Blusen, Röcken oder an der Wand: Pflanzen sind momentan sehr angesagt.

Während Pflanzen und Tiere immer häufiger die Wohnzimmerwand schmücken, sind kreisrunde Formen ausgezogen. Unser Autor Henrik Rampe über die aktuellen Tapetentrends.


Affen und Flamingos sind längst auch hierzulande heimisch geworden. Oftmals verstecken sie sich hinter übergroßen Mangrovenblättern oder Lianen. Der Urban JungleLook zählt zu den beliebtesten Tapetenmotiven in deutschen Wohnzimmern. Viele Muster und Formen verschwinden genauso schnell wieder, wie sie gekommen sind, Blumen bleiben scheinbar immer bestehen.

„Pflanzen faszinieren. Und das Schöne ist, dass sie an der Tapetenwand so vielfältig zur Geltung kommen können", sagt Juliana von Gatterburg, Designexpertin für den Farben- und Tapetenspezialisten Farrow & Ball. Mag das klassische Rosenmotiv noch an Omas Wohnstube erinnern, verleiht der übergroße Dschungel-Fotoprint dem Zuhause einen Hauch von ungezähmter Wildnis und Abenteuer. Als Bordüre sorgen sie für einen verspielten Hingucker, im Kinderzimmer für eine farbenfrohe Oase.

Der Trend geht dabei immer mehr zur sogenannten Featurewall. Eine Wandfläche wird mit fotorealistischen oder gemäldeartigen Motiven zum optischen Blickfang, die übrigen drei werden einfarbig, schlicht oder gar nicht tapeziert. In die Welt der Pflanzen und Bäume ziehen zunehmend auch Tiere ein. „Kleine Äffchen, Kakadus oder Schmetterlinge sind zusätzliche Hingucker", sagt Karsten Brandt, Geschäftsführer beim Verband der Deutschen Tapetenindustrie (VDT). Auf den jüngsten Fachmessen habe er an 50 Ständen gefühlt 49 Mal ein Dschungelmotiv gesichtet. Mit Blick auf die Modewelt verwundert ihn das nicht: „Die Muster auf den Blusen und Röcken der Besucherinnen waren den aktuellen Tapetenkollektionen erstaunlich ähnlich."


Vom Laufsteg an die Wohnzimmerwand

Strömungen aus der Mode spiegeln sich seit jeher zeitversetzt auch in den aktuellen Tapetentrends wider. Karl Lagerfeld designte 1993 für den Tapetenhersteller A.S. Création eigene Motive, Konkurrent Lelièvre beschäftigt seit Jahren den französischen Modeschöpfer Jean Paul Gaultier. Naturverbunden präsentieren sich auch die Motive abseits des Dschungels. Die Marmor- und Steinoptik erfreute sich in den siebziger und achtziger Jahren großer Beliebtheit in deutschen Partykellern und feiert aktuell ihr Revival in Wohn- und Schlafzimmern. Es gibt die Ziegelsteinwand in Rot, Gelb und Braun, sämtliche Arten von Schiefer sowie die Tapete in Waschbeton-Anmutung, die das Zwei-Zimmer-Appartement in eine urbane Loft-Wohnung verwandeln soll. Oftmals sind solche Imitate geprägt oder haben eine Vinyloberfläche, so dass die Oberfläche mit haptischem Relief eine Tiefenwirkung entfaltet. „Anfassen ist für viele Kunden genauso wichtig wie angucken. Eine Tapete muss sich gut anfühlen, um gekauft zu werden", sagt VDT-Vertreter Brandt.

In der Mode gilt: Längsstreifen machen schlank. Bei der Tapetenwahl gibt der Streifenlook dem Zimmer eine Struktur, weswegen er zum Evergreen an der Wand zählt. Besonders beliebt ist gegenwärtig die Kombination zweier Trends - Streifen, unterbrochen durch eine Blumenranke. Aber auch andere grafische Muster wie Karos, dezente Dreiecke und Rechtecke erleben eine Renaissance. Gibt es auch Motive, die es auf keine Tapetenrolle schaffen? „Es gibt alles. Aber Kreise habe ich schon sehr lange nicht mehr gesehen", sagt Fachfrau von Gatterburg.

Bei der Wahl der Farbe hieß die Devise jahrelang: alles außer Braun. Die Generation der Millennials wuchs praktisch ohne braune Tapete auf. Der Farbton weckte Erinnerungen an großflächige psychodelische Formen in allen erdenklichen Braun-Gelb-Orange-Tönen wie sie in den siebziger Jahren ihre Blütezeit erlebten. Das ist heute überholt. Erd- und Sandtöne werden Jahr für Jahr beliebter und kreativ kombiniert. Der Verband der Deutschen Tapetenindustrie sieht Naturfarben weiter auf dem Vormarsch und kürte Korall zur Trendfarbe 2019. In den aktuellen Katalogen der Hersteller sind sämtliche Grün-Blau-Varianten zu finden: Classic Blue, Eisblau, Stonewashed-Indigo, Rauchblau, Petrol, Salbei-, Smaragd-Grün und Frozen Green dominieren. „Dieses Jahr haben sich die Trends langsamer weiterentwickelt. Wir sehen aber schon seit zehn Jahren, dass es den einen Hype oder die eine alles dominierende Farbe gar nicht mehr gibt", sagt Verbandsvertreter Brandt.

Zahlreiche Entwicklungen verlaufen parallel, so dass auch Vintage-Wandbeläge wieder eine Zielgruppe finden. Ihre erste eigene Wohnung tapezieren junge Käufer gerne in Metallfarben wie Roségold, Anthrazit oder Silber. Im eingerichteten Zimmer sollen die Farben dann die Anmutung von oxidiertem Eisen, geschliffenem Messing oder poliertem Kupfer annehmen. Wie findet man zu diesen ausgefallenen Wandfarben das passende Mobiliar? „Bett, Schrank und Co. dürfen aus der Farbreihe tanzen“, sagt von Gatterburg. Der deutsche Perfektionismus weiche zunehmend einem Laissez-faire-Einrichtungsstil: „Kontraste, gewagte Kombinationen und bewusste Widersprüche haben Hochkonjunktur.“

In Frankreich sei es üblich, eine komplette Wand spontan weinrot zu streichen, wenn es der Weihnachtsatmosphäre zuträglich ist. Briten würden sich seit jeher nicht an schrägen Kontrasten in den eigenen vier Wänden stoßen, beobachtet die Expertin. Auch in Deutschland nehmen die Farbkontraste zu, die Räume werden farbenfroher. Das hat vor allem damit zu tun, dass Naturpigmente einen stetig wachsenden Marktanteil erzielen, erklärt Marc Neise, Inhaber von Fausel Biskamp, einem Fachgeschäft für Tapeten im oberen Preissegment: „Anders als ein synthetischer Rotton werden natürliche Farben vom Auge als weit weniger aggressiv wahrgenommen.“

Bei der Materialfrage gerät die Papiertapete mehr und mehr ins Hintertreffen. Die Experimentierfreude mit Pflanzenfasern nimmt zu – Hanf, Bambus, Heu, Schilf, Bast oder das Palmengewächs Raphia. Es gibt kaum eine Pflanze, die noch nicht an den nackten Waschbeton geklebt wurde. Ihre natürlichen Strukturen machen jede Wand zum Unikat und können Schall sowie Wärme dämmen. Um die exotischen Materialien anzukleben ist beim Tapezieren allerdings tieferes Fachwissen vonnöten. Auch der Preis schreckt viele Kaufinteressenten bisher noch ab, weshalb sich der Marktanteil bei rund einem Prozent bewegt. Der Quadratmeterpreis für die traditionell in Handarbeit hergestellten Exoten liegt nicht selten bei 100 Euro und mehr.

„Vlies dominiert. Rund 80 Prozent der verkauften Tapeten sind aus der Kombination von Zellulose und Textilfaser gefertigt“, sagt VDT-Geschäftsführer Brandt. Der Vorteil: Anders als die klassische Papiertapete müssen die Vliesbahnen nicht vorher mit Kleister eingeweicht werden. Es reicht aus, die Wand mit Spezialkleber einzustreichen. Vlies gilt darüber hinaus als strapazierfähig und kann bahnenweise trocken abgezogen werden. „Günstig und wenig Tapezieraufwand – das sind zwei Argumente, die überzeugen“, meint Brandt. Die klassische Papiertapete ist zwar einen Tick günstiger, dafür weniger langlebig und gerät mehr und mehr ins Hintertreffen.

Neben Vlies hat sich auch Vinyl am Markt etabliert. Viele Hotels tapezieren die Vinyltapete mit ihrem markanten Relief aus Kunststoff, bei Privathaushalten hat die Tapete hingegen oft noch einen schweren Stand. „Wenn ich den Kunden zur Vinyltapete führe, drehen sich die meisten sofort wieder um“, sagt Interiorexperte Neise. Der strenge Geruch von PVC schrecke ab, auch wenn er sich verflüchtige, sobald die Tapete an der Wand angebracht ist.


Wie sieht die Tapete der Zukunft aus?

„Individualisierung ist ein großes Thema“, sagt Brandt, der Verbandsmann. „Wir schreiben unsere Namen in der Farbe der Nacht. Auf weiße Tapete, auf weiße Tapete“, rappt Prinz Pi, der Musiker. Tapeten mit der eigenen Signatur stellen zwar noch die Ausnahme dar. Doch auch wenn momentan noch mehr als neunzig der Muster aus dem Katalog stammen, finden schon jetzt romantische Sonnenuntergänge und Großaufnahmen vom eigenen Dackel den Weg vom persönlichen Fotoalbum auf die Wohnzimmerwand. Der Phantasie für persönliche Noten sind keine Grenzen gesetzt, sondern ihr wird zukünftig wohl noch mehr freie Fläche eingeräumt.


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