StockholmSchweden im Ausnahmezustand: Schon mindestens zwei Wochen vor dem längsten Tag des Jahres haben die Geschäfte des Landes aufgerüstet. Überall blau-gelbe Fähnchen in den Auslagen. Blau-gelbe Pappteller, blau-gelbe Becher. Nur der eingelegte Hering, die frischen Kartoffeln, der Dill und der Schnaps müssen ohne die Nationalfarben auskommen.
Es steht das Mitsommerfest an, der nach Weihnachten mit Abstand wichtigste Feiertag in Schweden. Am Freitag wird er begangen. Damit man richtig feiern kann, hat man im Zuge einer Kalenderreform 1952 beschlossen, das Mittsommerfest stets auf das am nächsten liegende Wochenende vor oder nach dem 21. Juni zu legen.
Der Tag beginnt wie ein Astrid Lindgren-Film es nicht besser hätte zeigen können: Während die Frauen mit den Kindern Blumen pflücken und kleine Kränze flechten, machen sich die Männer auf, um im Wald einen geeigneten Stamm für den Mittsommerbaum zu finden.
Denn er gehört zur Feier dazu: Ob auf dem kommunalen Festplatz oder im privaten Garten - der mit Laubästen und Blumengebinden zu einem prächtigen Symbol der Fruchtbarkeit herausgeputzter Stamm darf ganz einfach nicht fehlen.
Und die Feiernden haben sich ebenfalls ordentlich mit landestypischen Trachten herausgeputzt. Dann wird der Mittsommerbaum unter dem Jubel der Anwesenden aufgerichtet. Oft spielt eine Musikgruppe Volkslieder. Groß und Klein tanzen um den Baum. Junge Mädchen, die nach altem Brauch unter absolutem Schweigen sieben oder neun verschiedene Blumen auf ebenso vielen Wiesen gepflückt haben, stecken diese Blumen am Abend unters Kopfkissen, um vom künftigen Bräutigam zu träumen. Wer ihn schon gefunden hat, widmet sich der Liebe: An wohl keinem anderen Tag im Jahr wird für soviel Nachwuchs gesorgt.
So oder so ähnlich stellt sich der Besucher ein typisches schwedisches Mittsommerfest vor. Doch der Idylle, die auch die staatliche Fremdenverkehrszentrale mit Filmchen und Fotos von Blumenkränzchen tragenden jungen Mädchen, von tanzenden und singenden Eltern in Trachten in ihrer Schweden-Werbung zu vermitteln versucht, steht jedes Jahr wieder die Bilanz der Polizei entgegen: Besäufnisse, Schlägereien, Messerstechereien, Vergewaltigungen und sogar Morde verdunkeln das Bild des idyllischen Festes.
„Midsommar" ist zwar seit Urzeiten der Tag der Familie, der Tag des Traditionsbewusstseins, aber auch des großen Nationalbesäufnisses. In der Donnerstagsausgabe der schwedischen Tageszeitung „Svenska Dagbladet" findet der geneigte Leser auf insgesamt 40 Seiten stolze neun Anzeigen für Weine - die meisten davon ganzzeitig. Dazu kommt noch eine Sonderbeilage über den Rebensaft. Und das in einem Land, in dem Alkohol nur in den staatlichen Monopolläden Systembolaget verkauft werden darf.