Wer in seine berufliche Zukunft schauen möchte, kann dies auf der Homepage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) machen. Das Orakel nennt sich „Job-Futuromat". In einer Maske lässt sich die eigene Profession auswählen und schon spuckt ein Algorithmus das eigene Schicksal in Form einer Prozentzahl aus. Je höher diese ist, desto wahrscheinlicher werden Roboter in Kürze das Berufsbild dominieren. Demnach sind Landwirte bereits zu 50 Prozent ersetzbar, Industriekaufmänner zu 56 Prozent, Bäcker zu 70 Prozent und Elektrotechniker gar zu 78 Prozent. Insgesamt kann laut IAB schon heute ein knappes Drittel aller Berufe entweder zur Hälfte oder komplett von Maschinen übernommen werden.
Diese Tendenz zur Umwälzung der Arbeitswelt durch künstliche Intelligenz wird sich kaum umkehren. Es ist ein Dilemma, das an den Stoff griechischer Tragödien erinnert: Weil der Mensch immer innovativer wird, hat er sich selbst als Erwerbstätiger überflüssig gemacht. Diese Erkenntnis der Überflüssigkeit macht vielen Angst. Doch das müsste sie nicht, denn diese Entwicklung könnte nicht weniger als das sein: einer der größten Fortschritte der Menschheitsgeschichte.
Die gesellschaftliche Debatte über die Arbeit entfacht sich ausgerechnet am Übergang vom Martin Luther-Jahr ins Karl-Marx-JahrDie gesellschaftliche Debatte entfacht sich ausgerechnet am Übergang vom Martin Luther-Jahr ins Karl-Marx-Jahr erneut. Sowohl vom Reformator und als auch vom Revolutionstheoretiker könnten die bald Überflüssigen viel über ihre Vorstellung von Arbeit lernen. Vor wenigen Wochen mahnte übrigens ein weiterer Marx, Kardinal Reinhard Marx, dass es zur „Grundkonstitution des Menschseins" gehöre, dass der Arbeitende für sich und seine Familie etwas schaffe, das von Wert sei. Reguläre Arbeitsverhältnisse seien darum ein wesentlicher Bestandteil einer funktionierenden Gesellschaftsordnung, andernfalls drohe „das Ende der Demokratie". Der Kardinal warnte ausdrücklich vor der politischen Gefahr, die daraus resultiere, wenn Menschen sich nicht mehr gebraucht fühlen. Auch die deutsche Politik scheint unbeirrt an ihrer Formel „Arbeitsplätze gleich Wählerstimmen" festzuhalten. Vom extrem rechten Flügel bis zur linksradikalen Splitterpartei stimmen alle in den einvernehmlichen Lobgesang ein, wie Wahlslogans der vergangenen Jahre veranschaulichen: „Sozial ist was Arbeit schafft" (CSU), „Für eine starke Wirtschaft und sichere Arbeit" (CDU), „Mehr Netto. Mehr Bildung. Mehr Arbeit" (FDP), „Arbeit. Familie. Vaterland" (NPD), „Arbeit sichern, neue schaffen" (Die Linke), „Brüder durch Sonne zu Arbeit" (Grüne), „Frieden, Arbeit, Solidarität" (DKP).
Unzweifelhaft ist, dass die Arbeit die materielle Basis jeder menschlichen Kultur und Zivilisation war. Doch was heute als Selbstverwirklichung verklärt wird, dürfte einst kaum individuelle Bedürfnisse und Neigungen befriedigt haben. Arbeit war den Menschen als mühselige und entbehrungsreiche Antwort auf die brutale Lebensnot auferlegt.
Arbeit war einmal ein Joch. Heute gilt sie als SelbstverwirklichungIn vielen Sprachen zeugt die Begriffsgeschichte vom schlechten Ruf, der der Arbeit einst anhaftete. So gehen Forscher davon aus, dass das deutsche Wort „Arbeit" einen indogermanischen Ursprung hat: „Arbejo" hieß ursprünglich „verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein". Das englische Wort „labour" ist lateinischen Ursprungs und verweist auf Mühe, Not und Leid. Das französische „travail" und das spanische „trabajo" gehen gar auf das frühmittelalterliche Folterinstrument Trepalium zurück. Es bestand aus drei Pfählen, auf die der Delinquent gebunden wurde, um dann wehrlos Höllenqualen über sich ergehen lassen zu müssen.
Wie also können Parteien heute Wahlen gewinnen in dem sie weiterhin Mühsal und Plackerei für das Volk versprechen? Das ist das Verdienst eines Mannes, der bereits 500 Jahre vor der Imagekampagne Sachsen-Anhalts das „Land der Frühaufsteher" herbeipredigte: Martin Luther.
Der Theologe bewirkte nicht nur eine revolutionäre Neuordnung der religiösen und politischen Verhältnisse in Europa, sondern auch eine Neubewertung der Arbeit. Mit ihm und nachfolgenden Reformatoren wie Johannes Calvin setzte sich ein Verständnis durch, das Arbeit als gottgewollt auffasste, nicht als lästige Mühsal. Luther legte dazu das theologische Fundament: Um Gott zu dienen, sei es fortan irdische Pflicht mit Fleiß zu schuften. Die Arbeit wurde zum Gottesdienst aufgewertet, die Werktage kurzerhand heilig gesprochen. Der Zorn des Herrn erwartet nach Luther hingegen den Faulenzer, denn „Gott will keine faulen Müßiggänger haben", schließlich sei „der Mensch zur Arbeit geboren, wie der Vogel zum Fliegen".
Wie hartnäckig das reformatorische Arbeitsethos in der Moderne fortlebt, erkannte bereits der Soziologe Max Weber Anfang des 20. Jahrhunderts, als er feststellte, „dass unser heutiger Begriff des Berufs religiös fundiert" sei. Und eine US-Studie ergab, dass in protestantischen Ländern noch immer mehr Menschen in Lohn und Brot stehen als in katholischen, islamischen oder hinduistischen. Der religiös fundierte Arbeitsfetisch lebt heute fort in der Anbetung der Sinnstiftung durch Arbeit, dem Mantra eines entsagungsvollen Lebens und der Verfolgung von jenen, die sich nicht unter das Joch der Lohnarbeit beugen wollen. Aus dem biblischen Vers „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen" wurde bei Ex-SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen."
Die Verehrung der Arbeit hat auch 500 Jahre nach Luther etwas ReligiösesDas religiöse Zwangskorsett ist weggebrochen, doch der einstige Gottesdienst lebt vom religiösen Gewand befreit als Götzendienst fort. Und so wurde um das goldene Kalb der Arbeit über alle Systemunterschiede der vergangenen Jahrhunderte hinweg getanzt: im Faschismus ebenso wie im Kommunismus, im Feudalismus wie im Kapitalismus. Dabei war schon dem alten Luther ein grundlegendes Problem aufgefallen: „Es passt sich aber nicht, dass einer auf des andern Arbeit hin müßig geht, reich ist und wohllebt, während es dem Arbeitenden übel geht, wie es jetzt die verkehrte Gewohnheit ist." Auch wenn für Karl Marx „die Kritik der Religion die Voraussetzung aller Kritik" war, hätte er diesen Satz des Reformators wohl unterschreiben können.
Zwar betrachtete auch er die Arbeit als „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen", doch er legte den Fokus seiner Analyse auf die konkrete Organisation der modernen Industriegesellschaft. Marx diagnostizierte, dass die Arbeitenden durch ihre Tätigkeit einen wachsenden Reichtum produzieren, der sich aber in Form von Privateigentum in den Händen Anderer anhäuft. Das Arbeitsprodukt selbst ist dem Arbeitenden entfremdet. Die eigene Tätigkeit ist nicht mehr unmittelbar auf die eigenen Bedürfnisse ausgelegt, sondern steht im Interesse der Firmeneigner. Lohnarbeit stellt somit keine freie und bewusste Tätigkeit des Einzelnen mehr da, sie ist vielmehr ein entfremdeter, gesellschaftlicher Zwang.