Jessa Crispins Manifesto will eine
Revolution starten – verrät aber leider nicht, wie.
Von Hannah Schultes
Top Girls. Wenige Monate nach Erscheinen von Crispins Buch gab eine Podiumsveranstaltung in Berlin zumindest letzterer Kritik erneut recht. Auf einer in Anlehnung an die G20 „W20“ (Women20) genannte Berliner Konferenz bekannten sich Ende April ausgerechnet die IWF-Chefin Christine Lagarde, Ivanka Trump und weitere Top Girls zum Feminismus – auch die deutsche Bundeskanzlerin zog nach kurzem Rummerkeln nach („Na ja, dann“).
Allerdings dürften viele der von
Crispin formulierten Kritikpunkte Feministinnen bekannt vorkommen. Schon 2009 problematisierte
die Philosophin Nina Power in ihrem Essay „Die eindimensionale Frau“ die „Rhetorik
der Wahlmöglichkeit“ und den „Verbraucher-Feminismus“. Dass Frauen an ihrer
eigenen Unterdrückung teilhaben, dass einige den Gang der Welt mittlerweile
entscheidend mitbestimmen, dass es Klassenunterschiede zwischen Frauen immer
gegeben hat, sich in vielen westlichen Gesellschaften aber mittlerweile eine stärkere
soziale Polarisierung unter Frauen beobachten lässt – diese Einsichten sind nicht
neu. Und leider führen sie auch nicht automatisch zu einer besseren
feministischen Praxis.
Geben statt Nehmen. Hinzu kommt: Das Problem der staatlichen und kapitalistischen Vereinnahmung des Feminismus und von Werten wie Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung ist kein exklusives Problem von Feministinnen. Was aus den Ideen der 68er wurde und wie viel Verantwortung diese selbst dafür tragen, beschäftigt die westliche Linke seit Jahrzehnten. Für Crispin sind für die Fehlentwicklungen des Feminismus die Frauen verantwortlich, die „achtzig Stunden pro Woche“ in gut dotierten Jobs arbeiten. Und diese setzt sie implizit mit allen Feministinnen gleich, wenn sie fordert: „Wie können wir das Geben genauso wertschätzen wie das Nehmen? Wie beteiligen wir uns in, was tragen wir bei zu der Welt, jenseits der Jobs, die wir haben?“
Im letzten Kapitel wird dazu aufgerufen, „über die Strukturen hinauszublicken“. Doch die Frage danach, wie der Feminismus sich aus der Umarmung durch Staat und Kapital lösen kann, wird bei Crispin leider nur als eine des individuellen Wollens abgehandelt – jede muss für sich selbst aktiv werden. Debatten über feministische Theorie, Bewegungsgeschichte und Praxis scheinen sich dadurch von selbst zu erledigen. Einen Kommentar zum aktuellen Aufleben feministischer Mobilisierung sucht man auf den 151 Seiten vergebens.
Lifestyleanarchismus. Crispin
betont, dass es nicht reiche, die Familie abzuschaffen, sondern es auch
feministische Alternativen zu ihr brauche. Praktische Überlegungen finden sich
in Interviews mit ihr, beschränken sich allerdings auf eine Sympathie für das
Leben in Kommunen. Also Lifestyleanarchismus statt Lifestylefeminismus?
Kompromisslos ist auch die Kritik der ehemaligen Planned-Parenthood-Mitarbeiterin Crispin an Heterosexualität als Institution und ihrem Beharren auf echter Autonomie – ungebetene Ratschläge inklusive. Auf die Frage eines Interviewers, was jede Frau tun könne, um „sozialen Wandel“ zu schaffen, antwortete sie trocken: „Lass dich scheiden.“
Hannah Schultes ist Redakteurin bei der Zeitung ak – analyse und kritik.
Erschienen im September 2017 in: an.schlaege V / 2017