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Insolvente Kunsthochschule: Hilfe, wir sind pleite

FH Kunst, FH Krimi: Die Fachhochschule Arnstadt-Balingen ist insolvent. Fünf Jahre nach ihrer Gründung wurden die finanziellen Probleme zu groß. Die Studenten fühlen sich hinters Licht geführt - sie stehen ohne Abschluss da.

Leere Bilderrahmen an den Wänden, verlassene Werkstätten, ein paar einsame Stühle: Wie schlecht es wirklich um ihre Hochschule steht, wird Miriam Keis erst klar, als sie den Insolvenzverwalter durch die ausgestorbenen Gänge gehen sieht - auf der Suche nach etwas, das noch versetzt werden könnte. Fünf Semester hat die 24-Jährige in den Räumen der Fachhochschule Arnstadt-Balingen Kunsttherapie studiert - und dafür pro Jahr fast 3000 Euro an Studiengebühren bezahlt.

Doch wie viele private Bildungseinrichtungen kämpft die Hochschule seit Jahren mit finanziellen Problemen. Jetzt ist die FH pleite. Am 1. März wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, der Lehrbetrieb ist eingestellt. Studentensprecherin Miriam Keis steht ohne Abschluss da - und mit ihr 104 Kommilitonen. Sie alle fragen sich: Wie konnte es soweit kommen?

Als die Hochschule 2008 unter dem Namen FH Kunst gegründet wurde, begeisterte das Projekt Studenten und Politiker gleichermaßen. Idyllisch gelegen im kleinen Arnstadt in Thüringen, sollte die anthroposophisch orientierte Schule in drei Studiengängen ausbilden: Kunsttherapie, Freie Bildende Kunst, und Kommunikationsdesign. Besonders der Nischenstudiengang Kunsttherapie, der neben Arnstadt nur an zwei anderen privaten Hochschulen angeboten wird, lockte Studenten aus ganz Deutschland nach Thüringen.

Finanzielle Turbulenzen

Das Konzept der FH Kunst war gut - der Finanzplan nicht.Nach nur einem Jahr stand die Hochschule vor dem Aus. Der Gründerverein löste sich auf, stattdessen wollte ein neuer Träger - die FH Kunst gGmbH - das Projekt retten. Doch die finanziellen Probleme blieben. Als 2011 noch immer kein Investor in Sicht war, verlangte Rektor Michael Kohr eine Erklärung. Daraufhin habe man ihn "aus dem Amt gedrängt", sagt der Professor.

Die Stimmung an der Hochschule wurde immer angespannter. Kurse fielen aus, Dozenten wurden nur noch unregelmäßig bezahlt. Kohr und seine Frau Margaretha Küwen, ebenfalls Professorin an der FH, zogen mehrfach vor Gericht und klagten ihr Gehalt ein. Trotzdem ging der Lehrbetrieb weiter, zum Wintersemester 2012 nahm die Hochschule erneut Studenten auf.

Selbst als Geschäftsführer Manfred Füchsel am 14. Januar dieses Jahres Antrag auf Insolvenz stellen musste, sprach er gegenüber der "Thüringer Allgemeinen" noch von einer "Chance für einen Neuanfang". Ein Schweizer Investor werde die Krise mit einer "mehrere Millionen Euro umfassenden Investsumme" abwenden. Bis zuletzt hielt er an dieser Aussage fest - gegenüber Dozenten, Studenten und Insolvenzverwaltern. Doch die zuständige Kanzlei Westhelle und Partner in Erfurt bestätigt: Von dem mysteriösen Sponsor ist noch immer kein Cent auf dem Konto der Hochschule eingegangen.

Bitte die Ateliers räumen - besenrein!

Die Studenten fühlen sich von Füchsel hinters Licht geführt. Nur nach und nach erhielten sie Informationen über den finanziellen Stand der Hochschule. Im Februar wurden sie per E-Mail aufgefordert, die Ateliers zu räumen und besenrein zu hinterlassen. Doch die Verwaltung fügte hinzu: "Mit viel Glück könnt ihr evtl. auch alles in 2 Wochen wieder einräumen". Der Satz endete mit einem Smiley.

Füchsel habe ihnen immer wieder Hoffnungen gemacht und sie hingehalten, kritisiert Kunsttherapiestudentin Annika Kaufmann, 23. Das Ausmaß der Insolvenz sei bewusst verschleiert worden. Erst seit dem 6. März haben es die Studenten vom Insolvenzverwalter schwarz auf weiß: "Ein Lehrbetrieb ab dem 01.04.2013 kann nicht mehr stattfinden."

700.000 Euro Schulden hat die FH nach ersten Ermittlungen der Insolvenzverwalter angehäuft. Wie es soweit kommen konnte - darauf gibt die Hochschule keine Antworten. Geschäftsführer Füchsel ließ mehrere Anfragen von SPIEGEL ONLINE unbeantwortet. Der letzte verbliebene Gesellschafter der gGmbH, Friedhelm Kranz, sieht sich nicht in der Verantwortung. Es habe feste Zusagen von Sponsoren gegeben, die jedoch ihr Wort nicht gehalten hätten. "Wir waren vielleicht zu euphorisch und optimistisch", sagt Kranz. "Aber jeder hat versucht, das Beste daraus zu machen."

Ministerium drückte bei Anerkennung beide Augen zu

Für Studenten und Dozenten steht fest: Den Träger trifft die Hauptschuld an der Insolvenz. Doch auch das Thüringer Kultusministerium habe seinen Beitrag geleistet. Die wirtschaftlichen Probleme der Hochschule waren von Anfang an bekannt. Trotzdem wurde die FH Kunst genehmigt. Das "innovative Projekt" sei damals eben "politisch gewollt" gewesen, so Gerd Schwinger, Pressesprecher des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur.

Eigentlich hätte der Träger Sicherheiten in Höhe von 600.000 Euro nachweisen müssen, um die Studenten im Falle einer Insolvenz zu schützen. Nach der Erweiterung mit dem Standort Balingen in Baden-Württemberg im Jahr 2010 erhöhte sich der Betrag sogar auf eine Million Euro.

Obwohl der Träger die entsprechenden Mittel zu keinem Zeitpunkt nachweisen konnte, erhielt die Schule die staatliche Anerkennung. "Man wollte dem Projekt eine Chance geben", sagt Schwinger. Dem neuen Träger, der FH Kunst gGmbH, habe man die Rettung der Schule zugetraut. Diese Einschätzung sei aus heutiger Sicht "sicher nicht richtig" gewesen, räumt Schwinger ein.

Keine Lösung für Kunsttherapiestudenten

Mit den Folgen müssen jetzt die Studenten leben. Für einige von ihnen hat das Ministerium eine Lösung gefunden: Die Bauhaus-Universität in Weimar hat sich bereit erklärt, Studenten aus den Fachrichtungen Freie Bildende Kunst und Kommunikationsdesign bei sich aufzunehmen.

Die angehenden Kunsttherapeuten - die größte Gruppe an der FH - werden Thüringen dagegen verlassen müssen. Die nächste Hochschule, die den seltenen Studiengang anbietet, liegt im knapp 400 Kilometer entfernten Ottersberg in Niedersachsen. Umzugskosten, höhere Studiengebühren und Mieten - viele wissen nicht, wie sie den erzwungenen Neuanfang finanziell stemmen sollen. Andere können gar nicht umziehen, weil sie Kinder oder Partner in Arnstadt haben.

Mit einer finanziellen Entschädigung dürfen die Betroffenen nicht rechnen. Zwar prüft das Ministerium derzeit eine Härtefallregelung. Auch könnten die Studenten als Gläubiger im Insolvenzverfahren auftreten. In beiden Fällen stehen ihre Chancen aber schlecht. Nur ein Versprechen gibt das Kultusministerium: In Zukunft sollen die Zulassungsbedingungen für private Hochschulen deutlich schärfer gefasst werden.

"Keinen Glauben und keine Kraft mehr"

Den Studenten in Arnstadt hilft das nicht mehr. Sie haben für die FH Kunst gekämpft, haben Demonstrationen organisiert, offene Briefe geschrieben und mit Politikern gesprochen. Sie wollten an der kleinen, familiären Schule, die sie so lieb gewonnen haben, weiter studieren. Und nun ist doch alles vorbei.

Miriam Keis kann immer noch nicht glauben, wie blauäugig sie war. "Ich habe einfach den falschen Leuten geglaubt", sagt die Studentensprecherin. Nach wochenlangem Hin und Her hat sie "keinen Glauben und keine Kraft mehr", um für die FH Kunst zu kämpfen. Sie hat sich in Ottersberg beworben.


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