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Herdecke knüpft Verbindung zu jüdischen Opfern

Am Volkstrauertag wurde in Herdecke der Holocaust-Opfer gedacht. Foto: Hanna Voß

Herdecke. Es war wohl der Moment, als Eva und Ralph Lee vor dem enthüllten Ehrenmal auf dem alten jüdischen Friedhof an der Bahnhofstraße das hebräische Gebet Kaddisch sprachen. Einträchtig standen sie beieinander, blickten auf die Namen ihrer Vorfahren und die der anderen Juden, die in Herdecke entweder geboren wurden oder aber da gelebt, gearbeitet und in irgendeiner Weise ihre Spuren in der Ruhrstadt hinterlassen haben. Und die schließlich auch Opfer der Shoah, der systematischen Ermordung der Juden in Europa durch die Nationalsozialisten, wurden.

Da zog die erste der trauernden Gäste ein Taschentuch hervor - es war Bürgermeisterin Katja Strauss-Köster. Auch in den Augen der übrigen Umherstehenden glitzerten jetzt Tränen, als neben Eva und Ralph Lee auch die anderen jüdischen Nachfahren in das Gebet einstimmten. „Ich kann jetzt nicht sprechen", sagte die Bürgermeisterin und legte stattdessen einen Stein nieder. Andere taten es ihr nach.

Persönliche Momente

Überall in Deutschland wurde am gestrigen Volkstrauertag der Opfer von Krieg und Gewaltverbrechen gedacht, an den Ehrenmalen in Wetter und Ende. Einige Herdecker trauerten gemeinsam mit den Angehörigen der Holocaust-Opfer ihrer Stadt auf dem Friedhof.

Eva und Ralph Lee leben eigentlich in New Jersey in der Nähe von New York; Eve ist die Cousine von Heinz Grünewald, der mit seinen Eltern Paula und Sally in der Hauptstraße lebte. Auch ihre Namen stehen auf dem neuen Ehrenmal an der Bahnhofstraße. Beide wurden 1941 nach Riga deportiert und ermordet.

„Die Welt ist damals ärmer geworden", sagte Barbara Samuel, die fast ihre ganze Familie durch die Nazis verlor. Ihre Großmutter Johanna Samuel wurde als Johanna Baum in Herdecke geboren und starb schließlich ebenfalls in Riga. „Wir müssen uns dieser Vergangenheit annehmen und sie wachhalten, damit wir wach bleiben", sagte Katja-Strauss-Köster, nachdem sie ihre Stimme wiedergefunden hatte. „So etwas darf nie wieder passieren."

Dass es aber sehr wohl passiert sei und das gerade in einer Kleinstadt wie Herdecke, in der jeder jeden kannte, mache ihn bis heute fassungslos, sagte Historiker Willi Creutzenberg, der durch seine jahrelange Recherche diesen Tag erst möglich gemacht hatte. Er hat auch die nächste Generation, seine ehemaligen Schüler der FHS, mit ins Boot geholt. Bei der Gedenkfeier in der Robert-Bonnermann-Aula lasen sie die Schicksale der Herdecker Juden vor, die Angehörigen der Opfer ergänzten sie mit sehr persönlichen Momenten.

Eva Lee, die in Meinerzhagen geboren wurde, erzählte von ihrer Trauer, als sie aufhören musste, mit ihren deutschen Freunden zu spielen und ihnen nur noch vom Fenster aus zusehen durfte. Barbara Samuel las aus dem Brief an ihren Vater vor, der aus dem KZ Theresienstadt entkommen konnte und den sie erst viele Jahre nach seinem Tod verfasst hat. Warum er nie über sein schlimmes Schicksal geredet habe, fragt sie und gibt dann selbst die Antwort: „Weil er es nicht konnte."

Es sind Geschichten und Erinnerungen, die an diesem Volkstrauertag durch die Anwesenheit der Angehörigen der Holocaust-Opfer lebendig werden. Als hätte man sie zurück nach Herdecke geholt; dorthin, wo sie einst durch die Straßen gegangen sind, wo sie als Mitbürger respektiert und schließlich ausgegrenzt wurden. Als hätte man sie durch das Ehrenmal und das gemeinsame Erinnern zurück nach Hause geholt.

Hanna Voß

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