Wie funktioniert Politik in einer Studentenstadt? Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer im Gespräch über gestresste Studierende, Facebook-Pannen - und fehlende Nachtclubs.Original
Der radfahrende Oberbürgermeister gehört ins Tübinger Stadtbild wie die Verbindungshäuser auf dem Österberg. Gerade wurde der Grüne Boris Palmer mit 61,7 Prozent der Stimmen für eine zweite Amtszeit gewählt. Vielleicht versteht der heute 42-Jährige die Studentenstadt Tübingen so gut, weil er selbst hier studiert hat: Geschichte und Mathematik.
Herr Palmer, erinnern Sie sich noch an Ihren ersten Tag als Student in Tübingen?
Ich kann mich an den Umzug erinnern. Ich habe 60 Kilometer entfernt, im Remstal, gewohnt und den Umzug mit dem Lastwagen meiner Eltern bewerkstelligt. Dabei habe ich einen Blechschaden an einem geparkten Auto produziert - vor der neuen Wohnung. Kein guter Start!
Sie haben sich während Ihrer Studienzeit sehr engagiert, kämpften zum Beispiel für die Einführung von Nachtbussen. Heute beschäftigt sich kaum noch ein Student mit Hochschulpolitik.
Das achtjährige Gymnasium und der Bologna-Prozess führen dazu, dass man heute mit 22 Jahren mit der Universität fertig ist. Da war ich gerade noch im Grundstudium. Und die Studierenden sind nicht nur jünger, sondern sie sind auch gestresster. Das hat die Politik mit verschuldet, also kann man sich in der Politik kaum darüber beklagen, dass die Studierenden zu wenig nach rechts und links schauen. Ich würde das aber allen raten. Ich glaube, dass man sich einen Gefallen tut, vielleicht sogar ein Semester länger zu studieren und mehr von der Wissenschaft, der Welt und der Stadt zu sehen, statt alles strikt durchzuziehen.
Der Stadt Tübingen wird nachgesagt, eine "grüne Hölle" zu sein. Sind Ihre Wähler intellektuelle Öko-Spießer?
Wenn es so wäre, würde es mich nicht stören. Ich habe auch kein Problem damit, dass mich Leute als Öko-Spießer bezeichnen. Wenn dazu gehört, dass man die Umwelt schützen möchte, Fahrräder besser findet als Autos, aber auf dem Spielplatz auch nicht durch Glasscherben gehen möchte und in der Altstadt morgens nicht durch Pisse und Kotze - dann bin ich eben ein Öko-Spießer.
In einem Stadtviertel haben Sie knapp 84 Prozent erreicht - das sind Werte, wie sie die CSU in Bayern bekommt. Tickt denn tatsächlich die Mehrzahl der Einwohner und Studenten so "grün"?
Nein, das tut sie nicht. Es gibt hier Juristen und Wirtschaftswissenschaftler, da haben auch die Junge Union und die CDU ihr Nachwuchsreservoir. Außerdem gehen die Studierenden wenig wählen. Wir haben da ein schönes Beispiel: Es gibt ein studentisches Wahllokal in Waldhäuser Ost, dort lag die Wahlbeteiligung knapp über 30 Prozent - in der Gesamtstadt waren es 55 Prozent. Das heißt, tatsächlich ist der Einfluss der Studierenden auf das Wahlergebnis viel geringer, als es die Einwohnerzahlen auf den ersten Blick vermuten lassen. Die Wählerschaft ist eher geprägt durch die Universität und ihr Umfeld, als durch die Studierenden selbst.
Hanna Spanhel
Kairo / Cairo
Interview