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Mo-Magazin (3)

Er muss nicht in die Menükarte schauen, um zu wissen, was er trinken will. Er war so oft im Café Votiv, dass er die Karte praktisch auswendig kennt. Muhammed Numan ist einer jener Flüchtlinge, die Ende Dezember 2012 die Votivkirche besetzten, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Das Kaffeehaus nahe der Kirche diente als Treffpunkt, um den Flüchtlingsprotest zu koordinieren. Heute sitzt Muhammed hier, um über sein eigenes Leben zu sprechen und vergisst dabei den Kaffee, den er bestellt hat.

Viel wichtiger ist, seine Geschichte zu erzählen, die gleichzeitig die vieler anderer Menschen ist. Seit Anbeginn steht der 25-Jährige an vorderster Front des Protests. Die Frage nach dem Ursprung seines Engagements ist leicht beantwortet: Seine eigenen Erfahrungen haben ihn zum Kämpfer gemacht. Als Sohn pakistanischer Immigranten in den Vereinigten Arabischen Emiraten lernte er schon früh, was es bedeutet, Ausländer zu sein. Er konnte nur die Grundschule besuchen und begann mit zwölf Jahren als Kinderjockey bei Kamelrennen zu arbeiten – ein gefährlicher Job zwischen Leben und Tod, wie Muhammed heute sagt.

Irgendwann während dieser Zeit verlor er den Kontakt zu seiner Familie und war plötzlich auf sich allein gestellt. Sein Leben lang hatte er auf die Staatsbürgerschaft der Arabischen Emirate gehofft, alle zwei Jahre sein Visum verlängern lassen. „Meine Eltern sind aus Pakistan, ich selbst war aber nie dort. Darum stellte ich den Antrag auf Staatsbürgerschaft“, erklärt Muhammed den Wunsch, in der Gesellschaft zumindest formell dazuzugehören. 2010 wurden alle Hoffnungen zunichte gemacht, sein Antrag abgelehnt, er abgeschoben.

Die Zeit in Pakistan sollte Muhammed prägen. Als ihn seine Verwandten als Familienmitglied nicht anerkennen wollten, begann er, sich um Straßenkinder zu kümmern: „Ich wusste, wie es ist, auf der Straße überleben zu müssen.“ Doch der Wille, anderen zu helfen, brachte ihm Probleme mit der Polizei ein. Oft sind es Beamte, die die schutzlose Situation der Kinder ausnützen und Profit daraus schlagen. „Es gibt wahrscheinlich keine Polizeistation, die ich nicht kenne. Ich wurde gefoltert und musste Geld zahlen, um wieder frei zu kommen“, beschreibt Muhammed die Zeit in Pakistan. Nach einem Jahr fasste er den Beschluss, das Land Richtung Westen zu verlassen.

Europa hielt nicht, was es versprach: „Griechenland ist wie Pakistan. Wenn du dein Haus verlässt, weißt du nicht, ob du zurückkehren wirst. Vielleicht wirst du entführt, misshandelt oder umgebracht.“ Die Wut der Bevölkerung im krisengebeutelten Griechenland hatte sich jahrelang aufgestaut und richtet sich seit einigen Jahren gegen die, die nach Europa kommen, um hier eine bessere Zukunft zu finden. Ausländer werden zunehmends auf offener Straße attackiert, gejagt, geschlagen. Und die Polizei greift nicht oder erst spät ein. Im Jahr 2012, als die Rechten die Parlamentswahlen gewannen, packte Muhammed abermals seine Sachen.

Und wieder sollte er daran erinnert werden, dass er als Ausländer ein ungebetener Gast ist. „Während dem Asyl-Interview haben sich die Beamten und Dolmetscher über mich lustig gemacht. Sie legten die Füsse auf den Tisch und rauchten“, beschreibt er die Demütigungen, mit denen ihn Österreich begrüßte. „Ich wusste über die Migrationsgesetze kaum Bescheid“, erzählt er: „Aber wir sind Menschen. Wenn man uns nicht respektiert, haben auch wir keinen Respekt mehr.“ Dies war der Moment, in dem Muhammed einmal mehr die Entscheidung traf, für sich und andere zu kämpfen.

Seit die Flüchtlinge die Votivkirche verlassen haben, sind sie aus dem Licht der medialen Öffentlichkeit nahezu verschwunden. Muhammed hat, so wie ein Großteil derer, die im Protest aktiv waren, seinen letztinstanzlichen Negativ-Bescheid erhalten. Dies bedeutet, dass seine Abschiebung bevorsteht. Doch er ist siegessicher: „Ich werde zurückkommen und weiterkämpfen. Ich weiß nicht, ob ich noch 10 Jahre leben werde oder ob man mich vorher umbringt. Solange ich am Leben bin, werde ich kämpfen, ich habe nichts mehr zu verlieren.“

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