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Mo-Magazin (2)

„Sehen Sie“, sagt Urieme Iwagwu*, und holt einen Fotoapparat aus der Tasche. Er hat ihn extra zum Interviewtermin mitgebracht. Er zeigt Fotos, auf denen er am Klavier sitzt und musiziert. Um ihn herum andere Menschen, er wirkt glücklich. Die Aufnahmen stammen aus der Kirche einer niederösterreichischen Stadt, in der der Mann aus Nigeria inzwischen eine neue Heimat gefunden hat. Seit drei Jahren ist der Mittdreißiger nun in Österreich und wartet auf einen neuerlichen Entscheid in seinem Asylverfahren. Die ersten Anträge wurden abgelehnt, was aus seinem letzten wurde, das weiß er immer noch nicht. Ein Jahr ist es her, dass er von den Behörden zuletzt gehört hat. Seither lebt er in Ungewissheit.

Anfang Juni reiste Außenminister Michael Spindelegger mit einer Delegation in das westafrikanische Land. Es war das erste Mal in der Geschichte der österreichisch-nigerianischen Beziehungen, dass ein österreichischer Spitzenpolitiker Nigeria einen Staatsbesuch abstattete. Mit im Gepäck hatte er neben wirtschaftlichen Anliegen auch ein Papier, das in der nigerianischen Community in Österreich für Unruhe sorgt: ein Rückführungsabkommen.

Das Abkommen regelt auf zwischenstaatlicher Ebene die Abschiebung von Personen, die über keine gültige Aufenthaltserlaubnis verfügen, oder, wenn ihnen diese entzogen wird. Geregelt werden darin auch die Verfahren zur Feststellung der Nationalität einer Person und die Kostenübernahme der Abschiebung. Zusätzlich forciert es eine engere Zusammenarbeit zwischen den nigerianischen und österreichischen Behörden. Wie das Außenministerium betont, sei es Österreich dabei wichtig gewesen, Datenschutz und Menschenrechte in dem Abkommen zu verankern.


Regierung ist unfähig“

Unklar sind sich NigerianerInnen in Österreich, aber auch NGOs darüber, was sich mit dem Abkommen genau ändern wird. Bislang ist nur wenig über dessen konkreten Inhalt bekannt. Das nährt Spekulationen und Sorgen, immerhin sind Abschiebungen nicht erst seit dem Tod von Marcus Omofuma im Jahr 1999 ein emotionales Thema. Durch das Abkommen, so wird befürchtet, könnten Abschiebungen schneller durchgeführt werden. Urieme versteht nicht, warum Österreich überhaupt ein solches Abkommen mit Nigeria abschließt. ”Was gibt es in Nigeria, das gut ist? Jeden Tag wird jemand umgebracht! Die Regierung ist einfach unfähig, die Sicherheit der Leute zu gewährleisten. In Wahrheit gibt es gar keine Regierung.” Aus Nigeria ist Urieme geflohen, nachdem ihn eine Bande überfallen und misshandelt hatte. Er war den Leuten bei einer ihrer kriminellen Machenschaften in die Quere gekommen. Zwar wurden die Männer, die ihn misshandelt hatten, verhaftet, kurz darauf waren sie aber schon wieder frei. Geblieben sind Urieme die Spuren der Gewalt an seinem Körper. “Ich hatte Glück, dass ich das überlebt habe.”, sagt er. Man merkt ihm an, dass ihn die Nachricht über das Abkommen aufwühlt. Immerhin ist seine Lage jetzt schon unklar genug.

Für Aufregung sorgt zudem eine Zahl, die in den Medien kolportiert und von einer APA-Journalistin, die mit dem Flugzeug mitgereist war, bestätigt wird. Außenminister Spindelegger sprach von einem Rückstau von rund 1000 abgelehnter Asylanträge, die möglichst rasch aufgearbeitet werden sollen. Unter NigerianerInnen in Österreich macht diese Zahl die Runde, Akono Karimo* nennt die Zahl immer wieder. Dem Dementi der Botschaft will er nicht recht Glauben schenken. Dazu misstraut er der nigerianischen Regierung zu sehr. „Wir kennen sie, deshalb haben wir Angst“, erklärt er. Akono verließ Nigeria aus religiösen Gründen. Seine Asylanträge wurden bislang abgelehnt, nun hofft er auf seinen letzten Einspruch. Wie Urieme hängt auch der Anfang 20-Jährige in der Luft.

Es ist nun schon mehr als zehn Jahre her, dass er Nigeria verlassen hat. Sein Fluchtweg führte ihn durch unterschiedliche afrikanische Länder, bis er die gefährliche Reise übers Mittelmeer Richtung Europa antrat. Vor drei Jahren kam er in Österreich an. “Was soll ich in Nigeria? Ich kenne dort niemanden mehr.” Während er seine Geschichte erzählt, sitzt Akono zusammengesunken auf seinem Stuhl. Er wirkt deprimiert, die meiste Zeit schaut er auf den Boden. Doch als das Gespräch auf das Abkommen kommt, blickt er auf einmal wütend auf: „Und die sitzen in ihren klimatisierten Büros und unterschreiben solche Abkommen!“


Reiner Zufall

In der Tat ist das Büro der nigerianischen Botschafterin in Wien, Maria Laose, klimatisiert. Die Aufregung über das Rückführungsabkommen ist auch zu ihr vorgedrungen. Sie hat sich extra Zeit für ein Interview genommen, es ist ihr ganz offensichtig ein großes Anliegen, den Inhalt des Abkommens persönlich zu erklären. “Das Abkommen ist nicht neu, darüber wird schon seit mehr als zehn Jahren verhandelt.”, betont sie. Offenbar will sie das Gerücht aus der Welt schaffen, dass es der Abtausch für ein Handelsabkommen wäre. Vor allem aber wehrt sie sich gegen den Vorwurf, der nigerianische Staat hätte bei dem Abkommen nicht genügend auf den Schutz seiner BürgerInnen geachtet. “Ich habe gesehen, wie die Regierung immer wieder dafür gekämpft hat, dass die Nigerianer nicht zu kurz kommen.”, sagt sie. “Nigeria unterzeichnete dieses Abkommen einzig und allein in der Absicht, seine Staatsbürger zu schützen. Dass es gleichzeitig mit dem Handelsabkommen unterzeichnet wurde, ist reiner Zufall.”, so Laose.

Genau dieses Motiv sieht aber Joana Adesuwa Reiterer hinter dem Abkommen. “Ich glaube, dass wirtschaftliche Interessen dahinter stecken. Nigeria versucht momentan, internationale Firmen ins Land zu holen. Und was wollte Österreich im Gegenzug? Dass sich Nigeria zur Rücknahme von Flüchtlingen verpflichtet”, argumentiert sie. 2006 hat Adesuwa Reiterer den Verein EXIT gegründet, der sich der Bekämpfung von Frauenhandel und Zwangsprostitution widmet. Bis jetzt, sagt sie, hätte es immer wieder Probleme zwischen den österreichischen Behörden und der nigerianischen Botschaft gegeben. Auf der Botschaft hatte man sich immer wieder geweigert, Reisedokumente auszustellen. Diese braucht die Republik Österreich aber, um Menschen nach Nigeria rückzuführen. “Jetzt versucht man eben, einen offiziellen Weg zu gehen.”, glaubt Reiterer.


Neue Informationspflicht

Auch der Blogger Uzoma Ahamefule lässt an dem Abkommen kein gutes Haar. Der 42-jährige Nigerianer lebt seit mehr als zehn Jahren in Österreich. Die nigerianische Community ist aufgebracht, wir sind sehr verbittert.”, sagt er. Auch wenn er mehr Abschiebungen nicht befürchtet, wäre es ihm doch wichtig, dass sich die Botschaft lieber in anderen Bereichen für ihre StaatsbürgerInnen einsetzt. „Die Nigerianer wären sehr glücklich zu hören, dass ihre Bildungsabschlüsse in Österreich anerkannt werden. Dann könnten sie in dem Beruf arbeiten, in dem sie auch ausgebildet wurden.” Ahamefule selbst ist pharmazeutisch-kaufmännischer Assistent, kann diesen Beruf hier aber nicht ausüben. Verbesserungen bringe das Abkommen jedenfalls keine: “Ich sehe das Interesse Nigerias nicht.”

Anders sieht dies naturgemäß Botschafterin Maria Laose, sie erhofft sich einige postive Effekte. Waren die österreichischen Behörden bislang nicht verpflichtet, die Botschaft zu informieren, wenn ein nigerianischer Staatsbürger verhaftet wurde, soll sich das nun ändern. “Ich habe davon oft nur erfahren, wenn mich die Person angerufen oder mir jemand davon berichtet hat”, erklärt sie. Auch im Fall von Abschiebungen sollte sich die Gebahrung anders gestalten “Die ausgewiesenen Nigerianer müssen ihr Geld holen und sich, falls vorhanden, von ihren Kindern verabschieden können. Dass die Personen einfach auf der Straße verhaftet und direkt abgeschoben werden, ist nun nicht mehr möglich.” Verärgert ist Laose über die zitierten 1000 NigerianerInnen, die nun abgeschoben werden könnten. Sie habe das österreichische Außenministerium um Aufklärung gebeten, dort habe man die Zahl aber dementiert. Ein öffentliches Dementi folgte bislang allerdings nicht. Auch gegenüber MO wollte das Außenministerium zur Aussage der Botschafterin nicht Stellung nehmen. Wie viele NigerianerInnen sich aktuell tatsächlich ohne Aufenthaltserlaubnis in Österreich befänden, weiß auch Botschafterin Laose nicht. Nur: „1000 in keinem Fall, es sind weitaus weniger.”, ist sie überzeugt.


Datenaustausch mit Fluchtland

Kritisch steht die Grüne Nationalratsabgeordnete Alev Korun dem Abkommen gegenüber. Zwar äußert sie sich positiv darüber, dass im Abkommen die Einhaltung der Menschenrechte verankert ist. Doch Österreich hatte auch angekündigt, abgeschobene NigerianerInnen bei der Wiedereingliederung in Nigeria zu unterstützen. Außenminister Spindelegger habe das im Parlament sogar als Kernstück des Abkommens dargestellt. “Davon ist im Vertragstext nicht mehr viel übrig geblieben”, kritisiert sie. “Nur an einer einzigen Stelle im Vertrag – abgesehen von der rechtlich nicht bindenden Präambel – ist diese Unterstützung verankert. Sie beschränkt sich auf freiwillige Rückkehrer.” Für problematisch hält Korun außerdem die Bestimmungen, auf welche Weise die nigerianische Staatsbürgerschaft nachgewiesen werden kann. Das ist ihr zu weit gefasst, sie spricht gar von einem Freibrief: “Es ist so ziemlich alles möglich, um die mutmaßliche Staatsbürgerschaft nachzuweisen.” Das sei vor allem deshalb problematisch, weil Nigeria im Zuge der Verhandlungen von Österreich einen Anreiz bekommen habe, möglichst viele Menschen als Nigerianer anzuerkennen. Besonders problematisch erachtet sie das Kapitel Datenschutz, das dem Außenministerium so wichtig war. Korun: “Es bedeutet, dass im Grunde alle Daten ausgetauscht werden können. Das ist besonders problematisch bei Asylwerbern, die aus berechtigten Gründen Informationen nicht mit Nigeria teilen wollen bzw. nicht möchten, dass Nigeria weiß, dass sie Asyl beantragt haben.” Darüber hinaus würden im Abkommen alle Vorkehrungen für ein Berufungsverfahren oder andere Möglichkeiten der Betroffenen fehlen, die Rückführung bzw. den Staatsbürgerschaftsnachweis anzufechten.

Ins gleiche Horn stößt Joana Adesuwa Reiterer: “Wir haben in Nigeria die erste Regierung, die die Tatsache, dass es Menschenhandel gibt, anerkennt. Im Kampf gegen Zwangsprostitution ist es wichtig, dass die Frauen den Behörden vertrauen können, damit sie überhaupt erst gegen ihre Peiniger aussagen.” Nun befürchtet sie negative Konsequenzen des Abkommens: “Wenn die Frauen sehen, dass sie abgeschoben werden, nachdem sie ausgesagt haben, schweigen sie lieber.”, erklärt sie. Darum sollte die Möglichkeit bestehen, die Frauen auf eine Sperrliste zu setzen, die sie vor einer möglichen Abschiebung schützt.


Arbeiten dürfen

Die Kamera mit den Fotos aus der Kirche ist nicht das einzige, das Asylwerber Urieme zum Gespräch mitgebracht hat. Immer wieder kramt er in seiner Tasche. Er holt Sprachzertifikate hervor, Bestätigungen über gemeinnützige Arbeiten, die er für die niederösterreichische Gemeide verrichtet hat und ein Empfehlungsschreiben des dortigen Bürgermeisters. “So etwas hat nicht jeder”, ist er überzeugt. Bei allem, was Urieme mitgemacht hat, ist er doch froh, in Österreich zu sein. Es ist ihm gelungen, in Niederösterreich Fuß zu fassen. Seine Tage verbringt er damit, Deutsch zu lernen. Und er versucht, ein bisschen zusätzliches Geld zur staatlichen Grundversorgung dazu zu verdienen. Im Winter schaufelt er Schnee, im Sommer verrichtet er Gartenarbeiten oder eine der anderen wenigen Tätigkeiten, die ihm als Asylwerber erlaubt sind. Außerdem verkauft er eine Straßenzeitung. Die kleine Gemeinde, in der er sich länger aufgehalten hat, bezeichnet er inzwischen als seine zweite Heimat: “Wenn ich dort hinkomme, fühle ich mich wie zu Hause.” Nur einen Wunsch hat er neben der Erteilung des Asyls noch: Arbeiten zu dürfen und für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen. Dies ist auch Akonos größter Wunsch. Der sonst so geschlagen wirkende junge Mann lebt bei der Frage, was er gerne machen möchte, geradezu auf: “Ich würde alles machen, wo ich von Nutzen sein kann.”


*Name von der Redaktion geändert


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mit Sonja Fercher
Original