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FM4 Connected: Venezuelas Krise

Sonntag Früh, 9 Uhr 30. Milch, Zucker, Shampoo, Huhn, Mehl, Seife, Klopapier, Kaffee. Ich stehe in einer Menschenschlange in der Parkgarage des Abasto Bicentenario, eines staatlichen Supermarktes.


Café, Café, Café


Nur hier bekomme ich noch jene Basisprodukte, die in keinem privaten Supermarkt Venezuelas mehr zu finden sind. Die Lüftung dröhnt, Kinder schreien, es ist heiß und stickig. Am Aufgang zum Supermarkt stehen Militärs.


Geschrei


Jemand will sich vordrängen, die Menschen werden ungeduldig, beschweren sich. Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Dann bin auch ich endlich an der Reihe und darf den Supermarkt betreten.


Venezuela, eines der erdölreichsten Länder der Welt, befindet sich in einer tiefen Krise. Es scheint, als habe das Land den Tod von Präsident Hugo Chávez vor zwei Jahren nicht überwunden. Die Wirtschaft liegt nahezu brach und nirgendwo auf der Welt ist die Inflation höher als hier. Überbordende Korruption und niedrige Erdölpreise machen die Krise komplett.


Rafael Uzcartegui von der Menschenrechtsorganisation Provea versucht zu erklären, wie es in einem ressourcenreichen Land wie Venezuela so weit kommen konnte, dass es kaum noch Basisprodukte zu kaufen gibt und die Menschen dafür stundenlang Schlange stehen müssen:


Hugo Chávez hatte ausreichend Geld, um Sozialpolitik zu betreiben und die Armut zu bekämpfen, weil die Ölpreise hoch standen. Um den Zugang der Bevölkerung zu Lebensmitteln zu garantieren, führte die Regierung eine Politik der Preiskontrolle ein. Ziel war es, möglichst niedrige Preise zu erreichen, damit die Bevölkerung diese Produkte kaufen konnte. Das brachte in den Jahren 2005 bis 2008 positive Ergebnisse. Die Armut wurde verringert und die Kaufkapazität erhöht.

Das System, das unter Präsident Chávez noch funktionierte, weist unter seinem Nachfolger Nicolas Maduro Mängel auf.


Der Preis der regulierten Produkte wurde während all der Jahre nicht erhöht, obwohl die Inflation immer höher stand. Irgendwann machten die Hersteller Verluste. Sie durften die Preise aber nicht erhöhen und stoppten die Produktion. Darum gibt es immer weniger Waren auf dem Markt.


Produkte, die man in Venezuela noch bekommt, sind teuer und kosten manchmal ein Vielfaches des monatlichen Mindestlohns. Diese Situation ist der hohen Inflation geschuldet, die laut Experten mit Jahresende 100 Prozent erreichen wird. Die Konsequenzen hat die Bevölkerung zu tragen.


Bereits 2013 fielen 400.000 Familien unter die Armutsgrenze zurück. Bis Ende 2015 werden genausoviele Menschen in Armut leben, wie im Jahr 2000. Das bedeutet: alles, was Hugo Chavez getan hat, um die Armut zu bekämpfen, hat sich innerhalb von nur drei Jahren umgekehrt.


Wir werden richtiggehend durch den Supermarkt hindurch geschleußt. Militärs und Sicherheitspersonal weisen uns den Weg. Sie dirigieren uns an halbleeren Regalen und aufgerissenen Produktpaletten vorbei. Heute kann ich zwei Kilo Zucker, drei Liter Milch, zwei Packungen Mehl und Kaffee ergattern. Beim Bezahlen werde ich meine Personalausweisnummer nennen und Fingerabdrücke abgeben. Doch bis dahin ist noch Zeit, denn in der Schlange vor der Kassa stehe ich noch einmal: eine Stunde.