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"Hinter Gittern": Mario Mengedoth wacht über Häftlinge der JVA Detmold

Detmold. Ein Arbeitstag im Leben des Mario Mengedoth beginnt morgens um sechs mit einer Durchsage. Leicht verzerrt schallt seine Stimme durch die Lautsprecher und verkündet den ersten „Aufschluss". So heißt das Öffnen der Hafträume im Gefängnisjargon. Mario Mengedoth ist Justizvollzugsbeamter in der JVA Detmold. An seine Arbeit im Gefängnis habe er sich gewöhnt, sagt der 36-Jährige. Doch es gibt Tage, da verfolgt sie ihn bis in den Schlaf.


Neuer Job 13 Jahre arbeitet Mengedoth jetzt in der JVA. Vorher war der gelernte Industriemechaniker bei einem großen Unternehmen in OWL angestellt. Im Zuge einer Kündigungswelle verlor er seinen Job und schulte um. Spannend sollte die neue Anstellung sein, und wenn möglich sicherer als der alte. In der JVA Detmold erhielt Mengedoth die größtmögliche Sicherheit samt Spannungsfaktor - allerdings mit Einschränkungen. Sein neuer Arbeitsplatz ist rundum verschlossen, die Türen sind aus Stahl, die Schlüssel dafür so riesig, dass sie kaum in seine Tasche passen. Ein Netz aus dicken Drahtgeflechten verzerrt das Blickfeld, Strukturen und Regeln straffen den Tag. Die Welt, wie er sie kenne, werde im Gefängnis gefühlt ein Stückchen kleiner, sagt Mengedoth. Überraschungen gebe es selten. Aber das sei eine gute Nachricht, weil Überraschungen im Gefängnis selten gute seien.


Die JVA Detmold ist ein vergleichsweise kleines Gefängnis. Während Haftanstalten in Köln oder Werl Platz für 800 bis 1.100 Häftlinge bieten, betreuen Mengedoth und seine Kollegen in Detmold rund 160 Gefangene. 65 davon kann er beim Namen nennen und kennt ihre Biografien. Vom Dieb bis zum Massenmörder ist alles dabei. Anfangs habe er sich unter einem Mörder auch äußerlich ein Monster vorgestellt, sagt Mengedoth. Doch das sei oft nicht mit der Realität vereinbar. In Wirklichkeit treffe er in solchen Fällen oft auf Menschen, die sehr normal aussehen und sich freundlich geben. Für Mengedoth eine Herausforderung. Er mag es harmonisch, muss jedoch rund um die Uhr vorsichtig sein. Ein unbedachter Moment, und er hätte den Weg für eine Gefahrensituation geschaffen. Ein weiteres Dilemma entsteht für Mengedoth, wenn in Detmold echte Härtefälle ankommen. Gefangene also, bei denen die abscheuliche Tat und Persönlichkeit zusammenzupassen scheinen. Als JVA-Beamter muss er auch mit diesen Gefangenen arbeiten. Doch es fällt ihm schwer, objektiv zu bleiben. „Ich bin keine Maschine", sagt er. Um trotzdem zu funktionieren, bleibt ihm nur, die Gräueltaten auszublenden. Mal gelingt es. Und mal nimmt der Beamte die Geschichten mit nach Hause, weil sie sich hartnäckig geben und nicht verschwinden wollen. Bis auf wenige Ausnahmen leben die Insassen in Detmold Tag für Tag denselben Rhythmus. Dem ersten Aufschluss folgt das Frühstück. Wer in der JVA frühstücken will, muss fertig angezogen an der Zellentür warten. Es folgen Freizeitmaßnahmen, Arbeitsmaßnahmen, ein Umschluss, bei dem Gefangene andere Gefangene auf ihren Zellen besuchen dürfen. Gegessen wird morgens, mittags und abends allein in den Hafträumen. Während die Gefangenen beschäftigt sind, geht Mario Mengedoth von Zelle zu Zelle. Er kontrolliert die Räume und kümmert sich um Krankmeldungen und Anträge der Häftlinge. „Manchmal wirkt es, als würde ich in einem Hotel arbeiten", sagt er. Nur die Rahmenbedingungen seien andere. Dass der Unterschied doch gravierend ist und Mengedoths Bemerkung eher scherzhafter Natur, zeigt sich im Detail. Statt die Post der Gefangenen nur zu sortieren, muss er sie öffnen, lesen und bewerten. Der JVA-Beamte dringt in die Privatsphäre fremder Menschen ein. „Das hat sich beim ersten Mal komisch und auch falsch angefühlt", sagt er. Doch der Gesetzgeber schreibt ihm die Postkontrolle vor. Würde Mengedoth die Briefe nicht lesen, könnte es unerlaubt Absprachen, Schmuggelaktionen oder sogar Befreiungsversuche geben. Um das Miteinander im Gefängnis möglichst friedlich zu gestalten, erstellen die JVA-Beamten Belegungspläne. Drei bis vier Häftlinge wohnen zusammen in einer Kammer. Doch bei unterschiedlichen Nationalitäten, Kulturen und Religionen sind Streitigkeiten zwischen Gefangenen an der Tagesordnung. „Wir überlegen vorab, wer wohin passt und wer allein bleiben kann", sagt Mengedoth. Doch die JVA ist ausgelastet. Fast alle Haftplätze sind belegt und die Beamten haben kaum eine Wahl bei der Zuteilung. Sie können nur noch vereinzelt tauschen. Das erhöht die Zahl der Konflikte. Mario Mengedoth gefällt seine Arbeit im Gefängnis trotz aller Widrigkeiten. Nur an eine Sache hat er sich noch nicht gewöhnt. Ihm fehlen sichtbare Erfolge am Ende des Tages. Wenn Gefangene die JVA verlassen, sind sie weg, lassen nichts mehr von sich hören. Erst wenn sie erneut verurteilt werden und zurück in den Knast müssen, sieht Mengedoth sie wieder. „Dann denke ich immer: Super, wieder eingefahren." Dieses Gefühl könne mitunter zermürbend sein, sagt er. Ob jemand lebenslang im Gefängnis arbeiten könne, hänge demnach stark davon ab, wie sehr sich die Person über den Erfolg im Job definiere.

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