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Vierfache Mutter hat Uni-Abschluss in der Tasche

Bielefeld. Als Kalle gerade ein paar Monate alt war, schlief er zum ersten Mal inmitten eines Seminars. Der Dozent hatte nichts dagegen, also brachte Vanessa Reineke ihren Sohn öfter mit. Sie hat an der Uni Bielefeld studiert, parallel dazu vier Kinder bekommen, und jetzt ihren Abschluss gemacht. Die Kombination aus Studium und Kindererziehung nennt sie "machbar, aber gerade zum Ende hin eine echte Herausforderung". Spagat Mit dem Nachwuchs in den Hörsaal - einer Erhebung des Deutschen Studentenwerks zufolge haben derzeit fünf Prozent aller Studenten Kinder. Weil der Spagat zwischen Kind und Karriere zur Doppelbelastung werden kann, brechen Eltern ihr Studium viermal so häufig ab wie ihre kinderlosen Kommilitonen. Wer es trotz der Widrigkeiten durchzieht, braucht meist länger für sein Studium. Auch Vanessa Reineke hat ihre Regelstudienzeit um ein Vielfaches überschritten. Hauptsächlich, weil es nicht anders machbar war, sagt sie. Aber auch, weil sie Zeit für ihre Kinder haben wollte. Als sie zum ersten Mal schwanger wurde, studierten sie und ihr Mann bereits. Sie begannen, Pläne zu schmieden, ließen sich beraten. Kinderbetreuung, Studienorganisation und Finanzierung - all das sollte geklärt sein, noch bevor das erste Kind geboren war. Studienorganisation In Bielefeld tragen die Uni und die FH das Zertifikat "Familiengerechte Hochschule". Für Studenten bedeutet die Auszeichnung konkret, dass ihr Studienalltag durch viele praktische Angebote erleichtert werden soll (Wickel-, Ruhe- und Stillräume, ein Gratis-Kinderteller des Studierendenwerks in der Mensa). Um alle Fragen und Anliegen zum Studium mit Kind kümmern sich zentrale Beratungsstellen, die übergreifend und langfristig unterstützen können. An der Uni informiert die Beraterin im Familienservice, Ulrike Piplies, Eltern zum Beispiel darüber, dass sie bevorzugten Zugang zu bestimmten Veranstaltungen erhalten können. Außerdem haben sie Piplies zufolge die Möglichkeit, Abgabefristen für Abschlussarbeiten verlängern zu lassen oder bei unbenoteten Leistungen Kompensationsmöglichkeiten zu nutzen. Die FH hat die Unterstützung von Studenten mit Kindern sogar schriftlich festgehalten und den so genannten Nachteilsausgleich eingeführt. Jeder Einzelfall müsse geprüft werden, um Betroffene möglichst ohne Nachteile aus schwierigen Situationen herauszuhelfen, erklärt die Gleichstellungsbeauftragte Michaela Hoke. Finanzierung Auch die Finanzierung eines Studiums mit Kind ist regelmäßig Thema in den Beratungsstellen. Wer was in welchem Umfang beantragen könne, das sei pauschal nur schwer zu beantworten, sagt Ulrike Piplies. Reineke und ihr Mann erfuhren in einem Beratungsgespräch, dass sie neben Eltern- und Kindergeld auch einen Kinderbetreuungszuschlag beantragen konnten, weil sie Leistungen nach dem BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz) bezogen. Weil weitere Förderungsmöglichkeiten damals nicht in Frage kamen, und das Geld für die kleine Familie noch nicht ausreichte, mussten die beiden Elternteile nebenbei arbeiten gehen. Während ihr Mann weiter studierte, um möglichst schnell fertig zu werden, beantragte Vanessa Reineke für jedes ihrer Kinder Urlaubssemester. Dadurch konnte sie nach der Elternzeit länger zu Hause bleiben, sich um die Kinder kümmern und ein bisschen Geld dazuverdienen, ohne das die Zahl ihrer Fachsemester weiter voranschritt. Sobald es zurück an die Uni ging, erhielt sie Unterstützung durch ihre Eltern. Die kümmerten sich nun regelmäßig um die Enkel. Betreuungsangebote Dank der familiären Unterstützung und ihrer Urlaubssemester ist Vanessa Reineke anfangs ohne zusätzliche Betreuungsangebote ausgekommen. Für Studenten, die auf eine Kinderbetreuung angewiesen sind, hält das Studierendenwerk Bielefeld 150 Plätze in drei Kindertagesstätten bereit. Momentan sind jedoch alle Plätze belegt. Alternativ können sich Studenten über die Stadt für einen Kita-Platz bewerben oder sich um eine Tagespflege bemühen, die vom Jugendamt gefördert wird. Ungünstige Zeiten Obwohl die Hochschulen heute verstärkt auf Familien eingehen, und die Rahmenbedingungen sich trotz des eher verschulten Studiensystems grundlegend verbessert haben, bleiben einige Baustellen. Die Raumknappheit an der Uni zum Beispiel. Die führt Piplies zufolge dazu, dass viele Veranstaltungen nur zu ganz bestimmten Zeiten angeboten werden können. Eine Hürde für viele Eltern, denn die Vorlesungen seien mit den starren Öffnungszeiten der Kitas oft nur schwer vereinbar. Wunsch Auch Michaela Hoke sieht an einigen Stellen noch Verbesserungsbedarf. "Bei der Kinderbetreuung gibt es zum Beispiel einige Engpässe", sagt die Gleichstellungsbeauftragte. Um dieses Defizit ausgleichen zu können, wünscht sie sich neben der Randstundenbetreuung, die die FH-Kita abends anbietet, noch eine flexible Zusatzbetreuung während der Vorlesungszeiten. Noch sei das lediglich eine Vision. "Aber ich glaube, das könnte vielen Eltern grundlegend helfen."

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