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"Hinter Gittern": Sabine F. liebt einen Mann, der im Gefängnis sitzt

Rehburg-Loccum. Sabine F. (Name geändert) sagt, sie lüge nicht. Sie sage nur einfach nicht die ganze Wahrheit. Die 59-Jährige aus Münster schämt sich. „Dabei sollte mir mein Partner doch nicht peinlich sein." Sie ist mit einem Mann zusammen, der im Gefängnis sitzt. Ein verurteilter Betrüger. Keiner, der seine Steuererklärung nicht gemacht hat, sagt sie und senkt den Kopf. „Er hat seine Opfer regelrecht abgezogen." Das Umfeld von Sabine F. weiß von alledem nichts. Seit knapp zwei Jahre sind die Beiden ein Paar. Dass mit ihrem Freund etwas nicht stimmte, merkte die 59-Jährige schon nach wenigen Tagen. Er ging nicht regelmäßig zur Arbeit, hatte keine Tagesstruktur und keine eigene Wohnung. Verliebt hat sie sich trotzdem. "Damit es besser hält" Nach zwei Wochen Beziehung gestand ihr der Partner, dass er wahrscheinlich ins Gefängnis komme. „Ich hätte ihn ohrfeigen können, als ich gehört habe, was er getan hat. Aber überrascht war ich nicht", sagt Sabine F. Was genau er getan hat, will sie nicht verraten. Aber immerhin, betont sie, habe er niemanden körperlich verletzt. Zur Verhandlung kam die 59-Jährige trotzdem nicht. Sie wollte keine Details hören. Dann kam der Abschied. Sechs Monate später steht Sabine F. am Fenster eines Gruppenraums in Rehburg-Loccum bei Porta Westfalica. Seminarpause, in einer Stunde wird sich der Raum wieder füllen. Acht Frauen und Männer sind dabei. Der Titel des Seminars: „Damit es besser hält". Das will auch Sabine F. Sie hat sich zusammen mit ihrem inhaftierten Partner angemeldet. Er wurde für das Seminar freigestellt. Sozialarbeiter Thomas Peckelsen von der Bielefelder Diakonie leitet das Seminar. Die Beziehung zu einem Strafgefangenen, sagt er, sei „alles andere als gewöhnlich und mitunter sehr belastend". Um an einer solchen Beziehungskonstellation festzuhalten, bekämen Paare in Seminaren wie diesen die Gelegenheit, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Es fühle sich an, als würde sie mit bestraft In Rehburg-Loccum ist Sabine F. jetzt gezwungen, zum ersten Mal ehrlich zu sein. Sie muss erzählen, dass ihr Partner in Haft ist und dass sie nur schlecht damit zurechtkommt. Es fühle sich an, als würde sie mit bestraft, sagt sie. Seit sie diese Beziehung führe, würden Lügen ihr Leben bestimmen. Wenn Freunde nach ihrem Partner fragen, hält Sabine F. Ausreden parat. Mal ist ihr Freund verabredet, mal bei seinen Kindern oder spät noch arbeiten. Zu groß ist ihre Angst vor Ablehnung und Unverständnis. „Was sollen die Leute denken, wenn sie hören, dass ich mit einem Knasti zusammen bin?" Dieses Schamgefühl hätten die meisten Menschen, die mit Straftätern zusammen sind, sagt Thomas Peckelsen. „Das ist ein gesellschaftliches Problem." Die Angst vor der Stigmatisierung sei so groß, da falle es oft leichter, das Privatleben schlicht geheim zu halten. Nach der Arbeitswoche kommt für Sabine F. der Samstag. Das andere Leben. Da setzt sie sich in ihr Auto und holt ihren Partner ab, einen Häftling im offenen Vollzug. Von Samstagmorgen bis Sonntagabend hat er Ausgang. In dieser Zeit sorgt die 59-Jährige für ihn. Sie fährt ihn, kocht das Essen, kauft ihm Kleidung, wenn er welche benötigt, und lässt ihn bei sich wohnen. „Das Schlimmste ist, dass uns der gemeinsame Alltag fehlt" Wenn sie abends in eine Kneipe gehen, zahlt Sabine F. die Getränke, sogar seine Zigaretten. „Er ist abhängig von mir, natürlich ist das ein beschissenes Gefühl", sagt sie. Aber sie wolle, dass sie es schön zusammen haben. Am Sonntagabend fährt sie ihren Partner dann zurück. Diese Wochenenden kosten die 59-Jährige monatlich etwa 400 Euro. Geld, das sie eigentlich nicht übrig hat. Um die Beziehung mit ihm zu finanzieren, geht Sabine F. zusätzlich zu ihrem 40-Stunden-Job mehrmals die Woche abends arbeiten. Sie putzt, hilft im Haushalt. „Ich weiß, dass das bescheuert klingt, und irgendwie auch blind." Aber sie hat lange darüber nachgedacht und beschlossen: Dieser Mann ist der Richtige für mich. Jetzt versuche sie, mit den Konsequenzen zu leben. „Das Schlimmste ist, dass uns der gemeinsame Alltag fehlt", sagt Sabine F. Sie fühle sich im Stich gelassen, weil sie alles regeln müsse. Mit ihren Ängsten und Zweifeln bleibe sie allein. So, als sei sie Single und hätte gar keinen Partner. Der kommt im Februar 2017 frei. Bis dahin will sie versuchen, durchzuhalten. Dann, so hat der Partner es ihr versprochen, wolle er ein richtiges Leben mit ihr führen, sich einen Job suchen. Aber sie sei zu lebenserfahren, um das zu glauben, sagt Sabine F. Er müsse zeigen, dass er etwas ändern wolle. „Nur dann hat diese Beziehung wirklich eine Chance."

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