Ein kleiner Punkt wuselt über den Boden. "Turn, turn, turn", ruft ein Mann, also: "Drehen, drehen, drehen". Immer wieder unterbricht ein kurzes elektrisches Summen die Anfeuerung. Auf den ersten Blick wirkt es so, als prüfe eine Gruppe von Hobbybastlern ihr neuestes Spielzeug.
Was sich aber dort bewegt, ist kein Modellauto. Es ist eine Küchenschabe, die ferngesteuert wird. Forscher der Texas A&M University haben die Insekten mit Elektroden, einer Leiterplatine und einer Batterie ausgestattet, um sie mit Strompulsen steuern zu können.
Was die Versuche des Teams um die Ingenieurin Hong Liang besonders macht, ist nicht so sehr die Idee, Schaben zu Cyborgs umzubauen, sondern ihre Vorgehensweise.
Die Forscher haben Knoten von Nerven gereizt, die sogenannten Ganglien. Bei diesem Teil des Körpers handelt es sich um so etwas wie das "Bauchgehirn" einer Schabe. Es koordiniert die Bewegung der Tiere.
Geplante Kurve
Indem die Forscher dort Pulse setzen, steuerten sie direkt die Beine der Insekten, und ließen sie je nach Wunsch nach links oder nach rechts drehen. Selbst den Kurvenradius konnten die Wissenschaftler einstellen: Je höher die Spannung oder die Frequenz der Stromstöße war, desto schärfer bogen die Schaben um die Ecke, berichten die Forscher im Fachblatt "Royal Society Interface".
"Durch diesen Ansatz haben wir es geschafft, dass wir in 60 Prozent der Fälle die Schaben genau dort hingelenkt haben, wo wir sie haben wollten", erklärt Liang. Das klinge zwar erst einmal nicht nach viel, gibt die Forscherin zu. Bei anderen Methoden seien jedoch nur in zehn bis zwanzig Prozent der Fälle die Schaben ans vorgegebene Ziel gekommen. Außerdem hätten sich die Schaben oft schon nach kurzer Zeit an den Reiz gewöhnt und waren damit nicht mehr zu steuern.
Die Forscher Hong Liang und Jorge M. González betonen, dass für sie die Roboschaben nicht nur eine Spielerei sind. "Küchenschaben sind tolle Tiere, um den Bewegungsapparat von Insekten besser zu verstehen", erklärt Gonzalez den Sinn der Versuche. Ultimativ ist das Ziel der Gruppe jedoch ein wesentlich Größeres. Sie wollen aus den Kakerlaken eine vielbeinige "Search and Rescue"-Truppe machen.
Leiden die Tiere?
Cyborg-Kakerlaken könnten dann nach einem Erdbeben beispielsweise nach Vermissten suchen, weil sie in Lücken kommen, in die ein menschlicher Helfer nicht vordringen kann. "Außerdem wollen die Schaben von Natur aus in warme Hohlräume, sie würden also dorthin gehen, wo vielleicht Verschüttete sind und wir müssten sie nur noch ein wenig feinsteuern", erklärt Gonzalez.
Claus Zebitz, Insektenforscher an der Universität Hohenheim, war nicht an der Studie beteiligt und findet diese Anwendungsidee "plausibel". Allerdings weist er darauf hin, dass es bis zu solch einer Anwendung ein weiter Weg sei. Und wenn das richtige Essen in der Nähe herumliege, könnte der tierische Helfer schonmal schnell seine Aufmerksamkeit ganz anderen Dingen zuwenden als der Rettung von Menschen.
Leiden die Tiere bei der Fernsteuerung? Der deutsche Wissenschaftler gibt Entwarnung. "Kakerlaken sind zwar komplexe Tiere, aber sie spüren nach allem was wir wissen höchstens ein leichtes Kribbeln bei solchen Stromstößen", sagt Zebitz. Ähnlich sieht es auch der Biologe Robert Elwood von der Queen's University in Belfast, der als einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Schmerzforschung bei Tieren gilt: "Wir gehen nicht davon aus, dass sie in der Lage sind Schmerz wie wir Menschen zu empfinden."
Dass die Kakerlaken wohl nach den Elektroschocks wirklich unter keinem Trauma leiden, kann Jorge González bestätigen. Er erklärt, dass die Roboschaben nach dem Einsatz ganz normal mit anderen Kakerlaken ihr Futter fraßen.