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Experiment: Forscher schaffen kiemenlose Kaulquappen - WELT

Früh übt sich, was ein Grasfrosch werden will. Die ersten Wochen lebt die Kaulquappe unter Wasser

Können Tiere den benötigten Sauerstoff im Gehirn produzieren? Biologen in München haben einen Versuch unternommen. Sie injizierten Kaulquappen Algen - den Rest erledigte die Fotosynthese. Die Tiere nahmen eine bestimmte Farbe an.

Fast alle Tiere nutzen ihre Lungen, um Sauerstoff durch den Körper zu pumpen. Bei Fischen übernehmen das die Kiemen: Sie filtern Sauerstoff aus dem Wasser. Biologen konnten nun bei Kaulquappen die Kiemenfunktionen abstellen. Den nötigen Sauerstoff erhielten die Tiere dann per Fotosynthese - aus implantierten Algen.

Kaulquappen verbringen die ersten Wochen ihres Lebens im Süßwasser, in Seen oder in Flüssen. Bevor aus ihnen Frösche werden, die mithilfe der Lunge atmen, sind es ihre Kiemen, die den zum Leben notwendigen Sauerstoff aus dem Wasser filtern.

„Das müsste doch eigentlich schneller gehen", dachte sich ein Forscherteam um den Neurobiologen Hans Straka von der Ludwig-Maximilians-Universität München. „Und schneller geht's dann, wenn man den Sauerstoff vor Ort produziert - also im Gehirn." Denn dann könnten die Nervenzellen im Gehirn diesen Sauerstoff sofort verwenden, um energiereiche Moleküle und damit neuronale Aktivität zu generieren.

„Man müsste dem Tier beibringen, seinen Sauerstoff selbst herzustellen", erklärt Straka. So ließe sich der Umweg über Lungen oder Kiemen künftig vermeiden. Nur wie?

Sauerstoff wird von Pflanzen produziert. „Allerdings ist es natürlich nicht praktikabel, einen Baum ins Gehirn einer Kaulquappe zu pflanzen", schränkt Straka ein. Aber es gebe eine ganze Reihe anderer grünen Zellen, die bei Belichtung ebenfalls Sauerstoff produzieren würden - zum Beispiel Algen, die klein genug seien, um dieser Aufgabe im Gehirn nachzugehen. Wie alle anderen Pflanzen betreiben auch die Wassergewächse Fotosynthese: Sie entnehmen Kohlendioxid aus der Atmosphäre und spalten ihn auf in Sauerstoff und Zucker. Dazu brauchen sie Licht und Luft.

„Auch kleine Algen können das leisten", sagt der Biologe Jörg Nickelsen, ebenfalls von der Universität München, der mit einzelligen Grünalgen von etwa zehn Mikrometer Größe experimentiert hat.

Hinzu kamen Versuche mit Cyanobakterien. Diese sind noch fünfmal kleiner, messen also nur zwei Mikrometer. „Wir haben festgestellt, dass diese Cyanobakterien sich ausgesprochen gut im Gefäßsystem verteilen, eben weil sie so winzig sind", sagt Nickelsen. Genau das ist der Ansatz: Die Algen sollen mit dem Blut der Kaulquappe überall im Tier verteilt werden - und somit auch ins Gehirn gelangen. Das Gehirn ist das Organ, das den höchsten Sauerstoffverbrauch hat.

Die Forscher injizierten den Tieren die Algen mitten ins Herz. Mit jedem Herzschlag verteilten sich die mikroskopisch kleinen Gewächse überall im Körper. „Wir konnten mit bloßen Auge sehen, wie das Tier langsam ergrünte", erinnert sich Nickelsen. Weil Kaulquappen fast durchsichtig sind, sind sie für diesen Versuch geradezu prädestiniert.

Als die Biologen die Tiere in eine Flüssigkeit setzten, die fast keinen Sauerstoff enthielt, hing die gesamte Hirnaktivität der Lurche von der Fotosynthese der Algen ab. Und tatsächlich: Die Kaulquappen waren dank der injizierten Pflanzen in der Lage, Sauerstoff im eigenen Gewebe zu produzieren und so die Nervenaktivität aufrechtzuerhalten - zumindest so lange das Licht brannte. Kaum gingen die Lichter aus, versiegte auch der Sauerstoffnachschub.

Das Verfahren der Münchner Forscher mag kurios klingen, doch tatsächlich beruht es auf einer Kombination mehrerer biologischer Grundprinzipien: Pflanzliche Zellen produzieren Sauerstoff, tierische Zellen verbrauchen ihn. Die Natur macht es vor - Korallen beispielsweise funktionieren als Symbiose von Nesseltieren und Algen. Doch es ist das erste Mal, dass Menschen solch eine Zusammenarbeit aus tierischem und pflanzlichem Leben gezielt herbeigeführt haben.

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