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Unterwassermuseum in Frankreich: Kunst gegen tote Gewässer

Ein Biotop aus Beton: Das erste Unterwassermuseum Europas

Verödung der Meeresgründe durch Massentourismus, steigende Wassertemperaturen und Überfischung ist ein großes Problem, auch der französischen Mittelmeerküste. Ein Unterwassermuseum sollen dagegen halten.


Die Verwüstung der Meeresgründe durch Massentourismus und steigende Wassertemperaturen nimmt zu. Ein Problem, das sich auch an der französischen Mittelmeerküste bemerkbar macht. Mit dem ersten Unterwassermuseum Europas startet Frankreich ein Experiment. Kann man diese Lebensräume mit Kunst naturnah wiederbeleben ?

Zwischen einem noch nicht fertiggestellten Luxus-Wohnkomplex und vergilbten Sozialwohnungsblöcken in Marseille liegt La Plage des Catalans - ein Sandstrand mitten im quirligen Stadtzentrum. Die Meerespromenade misst nicht einmal 200 Meter, aber hier trifft sich die ganze Stadt, für ein Schwätzchen, zum Sporteln oder Baden.

Es ist eine verheerende Popularität: So lebendig der Strand vom Land aus auch wirkt, unter Wasser gibt es nicht viel zu sehen. In der Hochsaison tummeln sich hier rund 5.000 Besucherïnnen täglich. Kein Wunder, dass Fische und Meeressäugetiere bei diesem Ansturm lieber das Weite suchen. Trotzdem steigen hier seit Ende 2020 immer öfter Menschen mit Taucherbrille und Schnorchel, zuweilen auch im Neoprenanzug ins Wasser.

Der „Strand der Katalanen" befindet sich mitten im Zentrum der Stadt und bietet einen schönen Blick auf die Insel Frioul, ein Nistparadies für Möwen.


Der Grund: Wer etwa 100 Meter hinausschwimmt und anschließend 5 Meter in die Tiefe taucht, kann eine Unterwassergalerie bewundern. Im November 2020 wurden die ersten Skulpturen versenkt, am 5. September 2022 wurde die Sammlung des ersten Museums dieser Art im Mittelmeer mit dem zehnten und letzten Kunstwerk fertiggestellt. Zu erkennen sind sie mittlerweile aber kaum mehr, haben sich doch neben dicht wachsenden Algen auch Seesterne, Krebse und andere Meeresbewohner auf ihnen gemütlich gemacht. Warum aber steht hier Kunst auf dem Meeresgrund?

Ein Wiederbelebungsversuch für tote Gewässer

Diese Kunst ist ein Experiment und eine Warnung: Es steht nicht gut um die französischen Küsten. Vor allem an den beliebten und belebten Küstenabschnitten der Côte d'Azur haben erhöhte Wassertemperaturen, Massentourismus und Überfischung dem einst blühenden Leben unter Wasser den Garaus gemacht: Korallen bleichen aus und sterben ab, übrig bleiben weiße Kalkskelette. Große und schmackhafte Fische landen im Vertrieb oder direkt auf dem Teller der Touristïnnen, die in Scharen an die bereits überfüllten Strände und Buchten fahren, auf der Jagd nach dem schönsten Foto für Instagram. Dabei belasten sie das Wasser zusätzlich mit Sonnencreme und anderen Schadstoffen. Weichtiere und kleinere Fische suchen währenddessen vergeblich nach Rückzugsmöglichkeiten, um sich fortzupflanzen.


So soll die Kunst helfen

Die Skulpturen haben Hohlräume und sollen wie künstlich angelegte Riffe funktionieren, also ein felsiges, verwinkeltes Milieu als Untergrund und Unterschlupf für Meeresfauna bieten. Ihr speziell angefertigter, ph-neutraler und inerter, also chemisch nicht reagierender Beton verfügt über eine angeraute Oberfläche, auf der Mikroorganismen und Korallen siedeln können. Die Nahrungskette soll dadurch wiederhergestellt werden: Fische und Seevögel folgen dem neu aufkeimenden Leben. Aus Beton wird ein neues Biotop.


Die Idee stammt vom britischen Künstler Jason de Caires Taylor, der sich im Laufe seiner Karriere umweltfreundlicher Kunst verschrieb. Er entwickelte das Konzept der Unterwasserstatuen im Jahr 2006. Zunächst versuchte er sich mit einigen Skulpturen vor der Küste der Inseln Grenada (Karibik) und Lanzarote (Kanaren), bis er seine Idee mit 500 Statuen im großen Stil in Cancùn, im Museo Subacuático de Arte de México umsetzte. Sie alle gelten als Erfolge: Nach Angaben des Museums von Lanzarote beispielsweise hat sich seit der Versenkung von insgesamt 35 Statuen im Jahr 2016 die Korallen-Population verdoppelt. Außerdem soll es nun 60 Prozent mehr Muscheln, Schnecken und Tintenfische und 20 Prozent mehr Fische geben als zuvor.



Oder doch nur eine Marketingmaßnahme für Marseille?

Und sie sind eine Inspiration: Antony Lacanaud, Restaurantbetreiber in Marseille, gründete nach einem Besuch der mexikanischen Anlage das Unterwassermuseums in Marseille, wo die Skulpturen nun vor dem populärsten und gerade im Sommer stark bevölkerten La Plage des Catalans versenkt sind. Wieso wurde gerade dieser Ort für den marinen Reanimierungsversuch gewählt? Für Museumsdirektor Antony Lacanaud liegt in der „Strandkultur" der Schlüssel: „Sie ist das soziale Bindeglied, durch das sich die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft mischen." An diesem Strand seien alle gleich. Er begreift es als Chance, viele unterschiedliche Menschen mit seiner Idee erreichen zu können: Die Kunst des kostenfreien Museums soll ihnen bewusst machen, dass die Küste geschützt werden muss. Es soll sie für die Auswirkungen der Umwelt- und Klimakrise sensibilisieren.


Aber immer wieder stellen Gegnerïnnen, oftmals Anwohnerïnnen und lokale Vereine, den ökologischen und pädagogischen Wert dieser Unterwassergalerie in Frage. Sie unterstellen der Stadt Marseille, die das Projekt mit Unterstützung der französischen Regierung mit 400.000 Euro kofinanzierte, Geldverschwendung, Greenwashing und das Verfolgen wirtschaftlicher Interessen, indem sie mit dem Unterwassermuseum noch mehr Touristen anlocken wollen. Sie behaupten auch, dass die Anlage dem Unterwasserleben mehr schaden als nützen würde.

Wissenschaftliche Begleitung tut also Not: Das Mediterranean Institute of Oceanography (MIO) im südfranzösischen Luminy ist für 15 Jahre mit der Überwachung des Unterwassermuseums beauftragt. Die Resultate, der Gesamtbestand aller Fische und Bodentiere, Besiedlung und Zustand der Statuen sowie das Wachstum von Neptungras, dessen Wachstum als Indikator für gute Wasserqualität gilt, werden einmal jährlich veröffentlicht.


Expertïnnen wie Sandrine Ruitton, Expertin für Meeresbiologie und Biodiversität am Institut in Luminy, versichern: Das Museum schadet der Umwelt nicht, im Gegenteil. Das Projekt sei erst nach einer Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt worden, so Ruitton. „Die Regierungsbehörden sind sehr vorsichtig, bevor sie eine Genehmigung erteilen und die Vorschriften sind sehr streng. Das Museum wird das fragile Ökosystem stützen und bestenfalls die Menschen für dessen Schutz sensibilisieren."

Klar ist aber auch: Innerhalb von zwei Jahren erholt sich eine menschengemachte Unterwassereinöde dank ein paar Statuen nicht, dafür braucht es mehr Zeit und weitere, vor allem politische Maßnahmen. Doch die Ergebnisse der letzten Untersuchung (Juni 2021) klingen zunächst gut: Fische kehren langsam zurück. Während man zuvor vergebens nach Leben vor der Küste Marseilles suchte, haben laut Bericht vor allem Geißbrassen-Schwärme in dem künstlichen und künstlerischen Riff einen neuen Lebensraum gefunden.



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