* Washington, D.C., 601 E Street, etwa auf halbem Weg zwischen Union Station und Weißem Haus. Die Zentrale der American Association of Retired People (AARP) befindet sich in einem gewaltigen rostrotbraunen Koloss, der sich über einen Straßenblock erstreckt. Zehn Stockwerke. 82.000 Quadratmeter Bürofläche. Eigene Postleitzahl. Später, nachdem der Versuch, tiefere Einblicke zu gewinnen, gescheitert ist, wird man sich erinnern, dass die Jalousien im Erdgeschoss geschlossen waren.
So also sieht sie aus, die erste Begegnung mit einer ebenso mächtigen wie mysteriösen Organisation. Rund 40 Millionen Mitglieder. Der größte Seniorenverband der Welt. Die zweitgrößte Organisation Amerikas nach der Katholischen Kirche. Jeder in den USA kennt ihr leuchtend rotes Logo mit den vier Buchstaben.
Hinter dem Eingang ein imposantes Atrium. An Boden und Wänden Marmor. Über einen großen Flachbildschirm flimmern Werbe-Clips. Exquisite, kühle Leere. Keine Tische. Keine Stühle. Keine Rezeption. Hinter einem Durchgang ein Tresen. Hinter dem Tresen ein Mann, der in einer Mischung aus Desinteresse und militärischer Strenge den Besucher empfängt. Er greift zum Telefon. Gibt den Namen durch, sagt: "Warten Sie hier, Mister Schurman holt Sie ab."
Einige Minuten später. Bradley Schurman, 34, dunkelblaues Jackett, helles Hemd, braune Brille. Seriöse Erscheinung, reserviertes Auftreten. Auf seiner Visitenkarte steht: Senior Advisor. Keine Abteilung, kein Hinweis auf Zuständigkeiten. Und doch war es Schurman, der sich telefonisch meldete auf eine E-Mail-Anfrage in der Presseabteilung. Er versicherte jovial, dass AARP sich über das Interesse aus Germany freue, stellte jedoch gleich kategorisch fest: "Ich werde Sie in maximal einem halben Tag abfertigen, so mache ich das in solchen Fällen immer." Jetzt, hier in Washington, sagt Schurman zur Begrüßung, man könne ein wenig plaudern und danach Cheryl Matheis, Ressort Politische Strategie und Internationale Angelegenheiten, treffen.
Angefragt waren das Management wie auch Berater, die auf der Website Fragen zu allen Lebenslagen beantworten, von Kreuzfahrten bis Kreuzworträtseln. Pepper Schwartz etwa weiß offenbar alles über Dating, Sex und die zehn erfolgreichsten Schlafzimmertechniken für ältere Menschen. Angefragt war ein Vertreter der AARP Foundation, ein Lobbyist, ein Mitarbeiter des "AARP Magazine", dessen Auflage 24,4 Millionen beträgt. Muss man nicht sprechen mit diesen Leuten, um diese Organisation zu verstehen, die in jede Faser des amerikanischen Lebens dringt? "Die Kommunikationsabteilung ist überzeugt, dass Cheryl und ich Ihnen einen hinreichenden Überblick geben können", sagt Schurman. "Wollen wir in die Kantine gehen?"
Jeder Amerikaner bekommt einmal im Leben Post von dem Seniorenverband. "Ich weiß genau", sagte Barack Obama an seinem 50. Geburtstag, "was ich morgen früh in meinem Briefkasten finden werde." Eine Einladung, der AARP beizutreten.
50 - The Big Five-Oh, wie sie es salopp nennen - ist das Mindesteintrittsalter in diese Hybridorganisation. Einerseits ist sie gemeinnützig und politisch aktiv, andererseits ist sie ein kommerzielles Unternehmen. Über ihre Stiftung werden Informationen angeboten, juristischer Beistand sowie Lebensberatung inklusive Fahrkurse und Ausbildungsprogramme für arbeitslose oder schlecht verdienende ältere Arbeitnehmer. Daneben setzt sich der Verband massiv für den Erhalt der staatlichen Rente und Medicare, der bundesstaatlichen Krankenversicherung für Amerikaner ab 65, ein.
Wenn sich die AARP zu Wort meldet, macht sich auf Capitol Hill Unruhe breit. 2009 unterzeichneten 1,1 Millionen AARP-Mitglieder Petitionen an den Kongress. Im vergangenen Jahr lief ein Werbespot. Ein älterer Mann sagte: "Ich bin keine Nummer, ich bin kein Posten in einem Haushaltsplan, und ich bin bestimmt kein Schwächling, aber ich bin ein Wähler." Das war weniger Botschaft als Drohung. Jeder zweite Wähler in den USA ist 50 und älter. Masse ist Macht. Und die ermöglicht direkte Zugänge zur Politik: Früher hatte die AARP sogar einen Telefondienst eingerichtet, der Anrufer nach Postleitzahl zum Büro des zuständigen Kongressabgeordneten oder Senators durchstellte. Das "Fortune Magazine" nannte 1998 den damaligen Vorstandsvorsitzenden der Seniorenorganisation, Horace Deets, den "zweitwichtigsten Mann in Washington". Nach dem Präsidenten. Dass die Organisation auch damals schon als geheimnisvoll galt, unterstreichen die seinerzeit kursierenden Gerüchte, Deets existiere nicht. Es gab kaum jemanden, der ihn jemals gesehen hatte.
Der kommerzielle Arm der Organisation vermittelt Produkte und Dienstleistungen, denen sie ihr Label leiht und dafür Lizenzgebühren erhält. Angeboten werden neben Versicherungen und Geldanlagen Verträge für mobiles Telefonieren, verbilligter Einkauf bei Elektrogeräten, in Supermärkten, Sportgeschäften und Drogerien, Rabatte für Hotels, Mietwagen und Urlaubsreisen. Es gibt Preisnachlässe für Abschleppdienste, Blumen und Cerealien von Kellogg's.
AARP ist Schaufenster und Bauchladen für Corporate America. Flankiert werden ihre Offerten mit einem Tsunami an Postwurfsendungen und einer vor Informationen, Tipps und Produktanalysen überbordenden Website. In hauseigenen Studios werden Fernseh- und Rundfunkbeiträge produziert - in Englisch und Spanisch. Dazu erscheint ein monatliches, im Stil eines Boulevardmagazins aufgemachtes Bulletin sowie zweimonatlich das "AARP Magazine", die auflagenstärkste Zeitschrift der Welt.
All das sorgt für 1,3 Milliarden US-Dollar Umsatz. 704 Millionen allein aus Lizenzgebühren. 129 Millionen aus dem Anzeigengeschäft. Dazu Einnahmen aus Investments, öffentlichen Zuschüssen und Mitgliederbeiträgen. Der Anteil der Mitgliederbeiträge am Umsatz geht allerdings stetig zurück. Sie sind mit 16 US-Dollar jährlich überraschend niedrig; das Dreijahresabo kostet 43 US-Dollar, das Fünfjahresabo 63 US-Dollar.
Die Macht der Old EconomyWie geht das: Lobbyist und Geldmaschine in einem? Frederick Lynch muss erst mal ausholen. Seine Eltern waren Mitglied, er, 66, ist Mitglied. "Fast jeder über 50, den ich kenne, ist Mitglied." Lynch, der an einem College in Claremont, Kalifornien, Politik unterrichtet, hat das Buch "One Nation Under AARP" geschrieben. Er sagt: "Keine Organisation in den USA ist so relevant für das Denken und die Bedürfnisse der Menschen quer durch alle sozialen Schichten. AARP verbindet alle Religionen und Ethnien, vor allem, wenn es um die Generation der Baby Boomer geht."
Wie überall in der westlichen, industrialisierten Welt stellen die Alten auch in den USA die Bevölkerungspyramide auf den Kopf. 100 Millionen US-Amerikaner sind 50 und älter. 77 Millionen gehören zu den sogenannten Baby Boomers, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden und die im vergangenen Jahr erstmals das Rentenalter von 65 erreichen. US-Amerikaner von 50 und älter verfügen über 70 Prozent des Privatvermögens, ihr Anteil an den Konsumausgaben beträgt 50 Prozent. Sie repräsentieren die Generation, die mit Optimismus und Wohlstand groß geworden ist und deren Lebensgefühl untrennbar mit Konsum verbunden ist. Sie kaufen 62 Prozent aller Autos, buchen jährlich Reisen im Wert von 26 Milliarden US-Dollar und gehen 13 Millionen Mal täglich essen. Als die Restaurantkette Denny's für AARP-Mitglieder 20 Prozent Rabatt und Kaffee für einen US-Dollar rund um die Uhr einführte, registrierte sie in den ersten acht Monaten zwei Millionen Kunden mehr.
"AARP", sagt Lynch, "ist eine Marke, die ihre Glaubwürdigkeit aus ihrer politischen Arbeit schöpft und diese konsequent kommerziell ausspielt. Das Problem ist nur, dass sie damit so groß geworden ist, dass sie nicht mehr weiß, was wichtiger ist: Prinzipien oder Profit. Beides geht nicht. Sie ist nicht mehr die AARP meiner Eltern."
Bradley Schurman erzählt in der Kantine der AARP-Zentrale, in der hintersten Ecke, bei Kaffee aus Pappbechern, wie alles angefangen hat. 1947 gründet die pensionierte Lehrerin Ethel Percy Andrus einen Verein, der pensionierten Lehrern zu einer Krankenversicherung verhilft. Damals gibt es keine Medicare (die erst 1965 eingeführt wird), Versicherer weigern sich, Rentner zu versorgen. Zu alt, zu krank, zu arm. 1958 geht aus Andrus' Verein die American Association of Retired Persons hervor, aus dessen Namen sich das heutige Akronym ableitet. 1975 hat sie zehn Millionen Mitglieder. Was Schurman verschweigt: Das Startkapital für AARP von 50000 US-Dollar kommt von einem Versicherungsagenten, der ausschließlich Policen eines einzigen Unternehmens anbietet, mit dem er eine exklusive Vereinbarung hat. Später gründet er eine eigene Versicherungsfirma, die wiederum exklusiv für AARP Verträge anbietet und 1975 immerhin 445 Millionen US-Dollar Umsatz macht.
Seither gehen die Meinungen über AARP weit auseinander. Einerseits entspricht die Glaubwürdigkeit der Marke AARP nicht nur unter älteren Menschen in den USA in etwa der des Roten Kreuzes oder der Consumers Union (einer US-Version von Stiftung Warentest), auch sind die Mitglieder angetan von den zahlreichen Rabatten. Die Versicherungen, die sie vermittelt, finden reißenden Absatz. Doch die Zahl der Kritiker nimmt zu. Moniert werden Interessenkonflikte und Irreführung der Mitglieder. Auch weil die Qualität der Versicherungen umstritten ist. Schon 1994 kam es zu einer Untersuchung durch die Steuerbehörde, weil AARPs Status der Gemeinnützigkeit angezweifelt wurde. Die Organisation zahlte daraufhin etwa 135 Millionen US-Dollar Strafe für nicht versteuerte Einnahmen aus kommerziellen Aktivitäten; auch der US Postal Service bekam 2,8 Millionen Dollar zugesprochen, weil kommerzielle Briefe und Anschreiben zu gemeinnützig reduziertem Porto verschickt wurden.
Man spricht Schurman darauf an. "Ich habe nie eine Nacht schlecht geschlafen", sagt er, "weil ich weiß, dass wir Gutes tun." Wie alle gemeinnützigen Organisationen. "Die Menschen glauben, gemeinnützige Unternehmen retten die Welt." Und die Welt, so Schurman, genauer das alternde Amerika, brauche Retter. Die Globalisierung habe den Menschen ihre Jobs, die Finanzkrise ihnen ihre Häuser genommen und ihren Kindern die beruflichen Perspektiven. Insgesamt sei das Leben komplizierter und unübersichtlicher geworden: "Früher war eine Frau um 50 Hausfrau mit erwachsenen Kindern und versorgt, heute ist eine verheiratet und berufstätig, eine geschieden mit Kindern im College, eine Single und arbeitslos, und nur AARP vertritt die Interessen dieser drei Frauen." Wodurch? Pause. Schurman: "Wir sind für sie da."
Ein Konferenzraum ein paar Stockwerke höher. Cheryl Matheis stellt sich vor. Eine resolute Dame um die 50 in einem klassisch geschnittenen Tweedkostüm. Sie hat im Justizministerium gearbeitet, danach in einer Kanzlei. Schon 1986, als noch junge Frau, wechselte sie zu AARP, "weil Geld verdienen nie meine Priorität war, ich wollte etwas für Menschen tun". Und dann referiert sie ausführlich, wie ihr Arbeitgeber die US-Bevölkerung nach Altersgruppen, Ethnie, Religion, Einkommen, Bildungsniveau und Wohnort analysiere. Matheis: "Egal, wer du bist und wo du lebst, wir wissen, was du in fünf Jahren tun wirst." Und weil sie jährlich zwei Millionen Mitglieder durch Kündigungen und Tod verlieren, kümmern sie sich schon heute um die Klientel von übermorgen. "LifeTuner" nennt sich ein Programm für 25- bis 34-Jährige, denen verantwortlicher Umgang mit Geld und privater Altersvorsorge nahegebracht werden soll. Fast jeder wird irgendwann 50. Schurman bringt den Besucher zum Ausgang und sagt: "Schön, dass Sie kommen konnten, kommen Sie gut nach Hause."
Man ruft die gebührenfreie Inlands-Telefonnummer 8886872277 an, AARPs einzige, ständig erreichbare Verbindung nach draußen. Eine Frauenstimme. "Hallo, ich bin Laticia, was darf ich heute für Sie tun?" Gute Frage. Eine Lebensversicherung? Hat Laticia über New York Life. Autoversicherung? Über The Hartford. Kreditkarte? Visa. Bei Krankenversicherungen wird es kurzfristig unübersichtlich. Im Angebot sind Policen für Krankenhaus und Arztkosten, verschreibungspflichtige Medikamente, Altenpflege, Zahnersatz, Sehhilfen, Hörgeräte - alle über den Branchenführer United Healthcare. "Soll ich", fragt Laticia, "Sie zu den freundlichen Kollegen des Anbieters durchstellen?" Der Anrufer, der seine E-Mail-Adresse hinterließ, findet wenig später in seiner Mailbox Angebote für Lebensversicherungen, Küchengeräte, Zellregeneration, Viagra und die Behandlung von Tränensäcken.
Man kann das für ein geniales Geschäftsmodell halten. Anrufe entgegennehmen, auf Produkte verweisen, weiterleiten, abkassieren. AARP, so Schurman, sei stolz, in allen US-Bundesstaaten Geschäftsstellen zu unterhalten. Für die Menschen da zu sein, wie er und seine Kollegen nicht müde werden zu behaupten. Der District of Columbia, D.C., verzeichnet als Geschäftsstelle die Adresse der Zentrale. Gibt es dort Mitglieder- oder Kundenbetreuung? Telefonansage. Bitte wählen Sie 8886872277. Laticia sagt einem dann, auch wenn man sich für kein Produkt interessiere, solle man unbedingt in der Leitung bleiben, ein freundlicher Kollege werde sich gleich anhören, welche Ansichten der Anrufer zur Fragen bezüglich Social Security und Medicare habe. AARP beschäftigt 2280 Mitarbeiter landesweit, die Hälfte davon in der Zentrale in Washington, 200 sind dort in der Kommunikationsabteilung tätig, 74 im vergangenen Jahr als Lobbyisten im Regierungsviertel.
Wenn man Frederick Lynch fragt, warum AARP nicht mehr die AARP seiner Eltern ist, antwortet er mit einem Namen: Bill Novelli. Der Mitgründer der weltweit operierenden PR-Agentur Porter Novelli, der für das US Peace Corps arbeitete und Kampagnen kreierte wie Tobacco-Free Kids, wurde 2001 Vorstandsvorsitzender von AARP. Novelli forcierte den Ausbau des kommerziellen Arms der Organisation, er strukturierte das Board of Directors um, besetzte es mit Vertretern von Minderheiten und mit Frauen. Und er ging politisch neue Wege. AARP galt traditionell als Sympathisant der Demokratischen Partei. Novelli suchte die Nähe zu den Republikanern. Als er 2009 zurücktrat, war der Mitgliedsbeitrag in seiner Ägide um 52 Prozent gestiegen und der Umsatz um 515 Prozent. Schon vor Novelli existierte das Verb "to aarp", was als Umschreibung gilt für einen älteren Menschen, der sich ständig über alles beschwert. Seit Novelli gilt AARP als "greedy geezer", gieriger alter Kauz. Novellis Nachfolger ist Barry Rand, der vorher in leitender Position bei Konzernen wie Avis und Xerox tätig war.
Zielgruppe Baby BoomerPrinzipien oder Profite? Worum geht es AARP wirklich? Wie lässt sich deuten, dass sie 2003 ein erweiterndes Gesetz zu Medicare unterstützte, das der republikanische Präsident George W. Bush verabschiedete? Es begünstigte Pharmaunternehmen und private Versicherer, Letztere hat AARP im Portfolio. Wieso machte sich AARP 2009 für den Affordable Health Care Act des demokratischen Präsidenten Barack Obama stark? Obamacare, wie die umstrittene Reform im Volksmund genannt wird, soll mit Kürzungen von einer halben Milliarde US-Dollar aus dem Etat von Medicare finanziert werden. Wieder werden private Zusatzversicherungen nötig, die - Überraschung - über AARP erhältlich sind. Geschätzte Mehreinnahmen der Organisation, "die traditionell als Advokat der Senioren auftritt", so jedenfalls behauptet es der republikanische Kongressabgeordnete Dave Reichert: eine Milliarde US-Dollar in den kommenden zehn Jahren.
Kümmert sich AARP um die Interessen der Menschen, die sie vorgibt zu vertreten? Social Security und Medicare verschlingen bereits heute 40 Prozent des Staatshaushalts. In 20 Jahren, prognostizieren Experten, werden die Ausgaben bei mehr als zwei Billionen US-Dollar liegen. Das entspräche den gesamten US-amerikanischen Steuereinnahmen. Warum, so Lynch, widerspreche AARP kategorisch einer überfälligen Umstrukturierung des Systems? Warum setze sie sich nicht gegen die explodierenden Gesundheitskosten ein, die vor allem von älteren Menschen und Senioren getragen werden müssten? Warum engagiere sie sich nicht für die stark wachsende Gruppe der verarmten US-Bürger? Die durchschnittliche Rente eines Amerikaners liegt bei 14.000 US-Dollar jährlich. Jeder dritte private Bankrott trifft inzwischen einen Menschen über 50. Entspricht das dem von Ethel Percy Andrus formulierten Credo: "Was wir tun, tun wir für alle"?
Worum sich AARP kümmert, kann man in Lynchs "One Nation Under AARP" nachlesen. Das Buch beginnt mit der Beschreibung einer "Life@50+ Megaconference", die von der Organisation seit 2001 jährlich veranstaltet wird und primär für Baby Boomer konzipiert ist. Lynch berichtet über die Konferenz von 2006 in Anaheim, Kalifornien. Drei Tage, 25.000 Besucher. Die Schauspielerin Raquel Welsh, damals 65, spricht über die Geheimnisse ewiger Jugend. Die renommierten TV-Moderatoren Dan Rather und Connie Chung, auch nicht mehr jung, kommentieren aktuelle politische Ereignisse, gesellschaftliche Entwicklungen. Es gibt Lesungen. Referate über Bürgerrechte. Bill Cosby, José Feliciano und Elton John sorgen für Unterhaltung. Zu den Sponsoren zählen Amerikas größte Brauerei, Anheuser-Busch, der Bürogroßhändler Home Depot und die Drogeriekette Walgreens. 400 Organisationen und Unternehmen aus dem Gesundheitssektor informieren über Alzheimer, Herz- und Augenerkrankungen, komplettiert von einer begehbaren Plastikreplika eines Dickdarms inklusive Tumoren.
Only in America. Hinter jeder Show steckt Kommerz. Und auch bei AARP geht es in erster Linie ums Geschäft. Warum das so sein muss, erklären einem weder Schurman noch Matheis. Nachfragen per E-Mail, was die Organisation mit ihren Profiten mache, über welches Vermögen sie verfüge, werden von Schurman ignoriert. Aus der Steuererklärung 2010 jedenfalls geht hervor, dass AARP fast 290 Millionen US-Dollar an Gehältern und sonstigen Vergütungen an Angestellte bezahlt; ihre Immobilien werden mit 480 Millionen US-Dollar bewertet, ihre Investments mit 820 Millionen US-Dollar, insgesamt verfügt sie über Anlagewerte von mehr als 1,5 Milliarden US-Dollar.
Wie war das noch mal in der Kantine? Bradley Schurman sagte: "Wir profitieren vom demografischen Wandel - aber wir sind nicht die Einzigen." Und was antwortete Cheryl Matheis auf die Frage, welche Rolle AARP spielen solle bei der Lösung der Probleme der Sozialversicherungen? "AARP glaubt, der Kongress sollte auf andere Wege schauen, wie man die Kosten im Gesundheitsbereich senken und das System der staatlichen Rente verbessern kann." Nicht ihre Aufgabe. Das Ziel liegt woanders. Bis 2015 soll der Umsatz auf zwei Milliarden US-Dollar gesteigert werden.