- Eine Reportage zum ersten Wahlsieg von Barack Obama, kongenial unterstützt von Markus Ziener (Washington), 5.11.2008 -
Barack Obama hat mit einem fast perfekten Wahlkampf das Rennen gegen Hillary Clinton und John McCain entschieden - und erlaubt Einblicke, wie er Amerika führen wird.
WASHINGTON/CHICAGO. Barack Obama nimmt den Sieg an, wie er seinen Wahlkampf geführt hat. Die Rede im Grant Park von Chicago ist konzentriert, die Tonlage ernst. Von Siegestaumel keine Spur. Die Botschaft klingt bekannt und simpel und sagt doch alles: "Yes we can." Dieser Stil ist sein Markenzeichen geworden, seine Ruhe und Überlegtheit hat ihn zum Sieg über John McCain geführt - und lässt schon jetzt erkennen, wie dieser erste Afroamerikaner im Weißen Haus Amerika führen wird.
Fast scheint es, als habe sich Barack Obama in den 20 harten Wahlkampfmonaten überhaupt nicht verändert. Genauso wie jetzt beim Auftritt vor der Skyline von Chicago kam der schlacksige Schwarze seit der Ankündigung seiner ehrgeizigen Bewerbung vor gut 20 Monaten immer daher. Elegant im schwarzen Anzug, ausgesprochen lässig. Und mit wohlklingenden Worten, deren Anspruch, wenn nicht gar Anmaßung, erst später deutlich wird.
Von Anfang an war sich der Junior-Senator seiner selbst gewiss, doch er ist im Wahlkampf gereift, wohl auch gehärtet. Aber noch mehr hat sich das Bild geändert, das die Öffentlichkeit von ihm hat. Galt er zunächst als Träumer und Schönredner, ein Nichts ohne seinen Teleprompter, so konnte er im Kampf gegen John McCain und noch mehr gegen Hillary Clinton beweisen, dass er das Zeug zum Präsidenten hat. Gerade weil die Amerikaner glauben, dass er sie besser aus der so bedrohlichen Finanz- und Wirtschaftskrise herausführen kann, gaben sie ihm ein so starkes Mandat.
Doch was wird Barack Obama mit diesem Auftrag machen, wie wird er regieren, wie wird er sein Kabinett führen? Da der 47-Jährige nie in der Exekutive war, nie Gouverneur oder Bürgermeister, gibt es nur Anhaltspunkte. Der beste davon ist seine Kampagne: Die hat der Senator aus Illinois präzise geführt wie ein Uhrwerk. Geholfen hat ihm dabei zwar sein Alter Ego David Axelrod, der als Wahlkampfmanager den Kurs bestimmte. Doch ohne den disziplinierten Obama hätte auch die beste Strategie nichts genützt. Obama, der über Monate mit gedämpftem Broccoli, Erdnussriegeln, und Shrimps auskommen kann, verkörpert, was für die ganze Kampagne steht: Konzentration, Authentizität, Coolness.
Doch das war nicht immer so. Als er seinen Hut in den Ring um die Präsidentschaft warf, da war an der Person Obama noch mehr der fleißige junge Sozialarbeiter aus Chicago und der Musterstudent aus Harvard zu erkennen. Obama gehörte die Naivität der Jugend, was ihm viel Charme verschaffte, aber eben auch angreifbar machte.
Das zuweilen Luftige, das Ungenaue und Unbestimmte hat sich mehr und mehr abgeschliffen. Als schließlich die Finanzkrise hereinbrach, sah auf einmal der 47-jährige Obama nüchtern und besonnen aus, während der 72-Jährige McCain orientierungslos wirkte. Augenfälliger hätte die Metamorphose des Barack Hussein Obama nicht werden können.
Zum diesem gereiften Obama passt, dass er einen ähnlich strukturierten Politiker zum Chef seines Übergangsteams gemacht hat: John Podesta. Der asketische ehemalige Stabschef von Bill Clinton leistet sich keine Extravaganzen. Er ist seit Monaten damit beschäftigt, eine Blaupause für die Zeit des Regierens vorzubereiten. Als durchsickerte, dass Obama schon kurz nach dem Ende der Vorwahlen Podesta für das Weiße Haus planen ließ, musste sich der Senator den Vorwurf gefallen lassen, voreilig mit dem Sieg zu kalkulieren. Er nehme schon mal für die Vorhänge im Oval Office Maß, hieß es süffisant aus dem McCain-Lager.
Das stimmte zwar vordergründig. Doch vielmehr ist es eine Aussage darüber, dass Planung schlichtweg ein Kernelement des "Systems Obama" ist. Mit akribischer Planung hat er gegen Hillary Clinton die Vorwahlen für sich entschieden, mit genauester Planung den Wahlkampf gegen John McCain geführt und exakt geplant will Obama am 20. Januar 2009 mit der Arbeit im Weißen Haus beginnen.
Als Podesta vergangene Woche bei einer Veranstaltung in Washington auftrat, öffnet er die Tür einen Spalt zu dem Drehbuch, das Obama bald in den Händen hält. Dabei zwang ihn die Finanzkrise mehrfach dazu, die rund 50 Kapitel umzuschreiben. Denn die Kernschmelze an der Wallstreet macht die Handlungsspielräume für den neuen Präsidenten mehr als eng.
"Der Präsident muss mutige Entscheidungen treffen", sagt der 59-Jährige Podesta. Und diese möglichst zu Beginn seiner Amtszeit. So groß das Defizit - 2009 könnte der Fehlbetrag am Ende eine Billion Dollar ausmachen - deshalb auch sein mag: Im Zweifel wird Obama noch mehr Defizit in Kauf nehmen, um die Kernpunkte seiner Agenda durchzusetzen: Gesundheitsreform, Steuerpolitik und vor allem: die Wende auf dem Energiesektor.
"Wenn wir das jetzt nicht machen, dann zahlen wir dafür in der Zukunft" sagt Podesta bitterernst. Das Team Obama will nichts weniger als die Führungsrolle der USA erneuern - und zwar nicht nur in der Außenpolitik, sondern im Inneren genauso wie bei der Klimapolitik. Denn auch wenn Obama im Wahlkampf nicht viel darüber gesprochen hat: Seine Mannschaft ist zutiefst davon überzeugt, dass die USA ökonomisch weiter abrutschen, wenn der Anschluss an bestimmte Entwicklungen nicht bald gelingt.
Dazu müssen die Kosten für Krankenbehandlungen sinken, die einseitige Abhängigkeit vom Öl muss abgebaut werden und die Mittelklasse muss wieder zur tragenden Säule der Gesellschaft werden. Darin sehen die Obama-Ökonomen um Austan Goolsbee und Jason Fuhrman das Rezept für stabiles Wachstum - und mittelfristig damit auch die Chance auf eine wieder solide Fiskalpolitik.
Doch zunächst muss die neue Mannschaft sich auf akutes Krisenmanagement vorbereiten. Die Weltöffentlichkeit wird von dem künftigen Präsidenten rasch Aussagen verlangen, wie er mit der Finanz- und Wirtschaftkrise umgehen wird. Schon am 14. November findet in Washington der Weltfinanzgipfel statt, zu dem Obama mit Sicherheit nicht selbst erscheinen wird - sondern einen prominenten Repräsentanten schicken wird.
"Ich gehe davon aus, dass er sehr schnell eine Person benennt, der als sein Emissär in der Krise agiert", sagt Richard Thaler, ein renommierter Ökonom der Chicago Business School, der eng mit Obamas Wirtschaftsberatern zusammen arbeitet. Ein solcher Emissär, so Thaler, könnte zum Beispiel Ex-Finanzminister Lawrence Summers oder Robert Rubin sein, der ebenfalls unter Bill Clinton Finanzminister war. Als weiterer Kandidat auf dieses Amt, der dann ab dem 20. Januar in das Finanzministerium einziehen könnte, gilt Timothey Geithner, der junge Notenbankchef von New York.
Wie Obama in der Finanzkrise bislang agiert habe, sei ein gutes Indiz, wie er die Regierung managen wird, argumentiert Thaler, der sich in der Verhaltensökononie einen Namen gemacht hat. "Er hat keine Reden geschwungen, keine Aktionen verkündet sondern versucht herauszufinden, was eigentlich los ist", sagt Thaler. Dabei lege Obama immer großen Wert darauf, sich ein breites Bild zu machen, auch die entgegen gesetzten Meinungen zu hören. "Ich habe selten jemanden getroffen, der weniger ideologisch ist als Obama", sagt Thaler.
Diese geistige Offenheit kann der designierte Präsident gut gebrauchen. Denn die Agenda, die von der Finanzkrise bis zu den Kriegen in Irak und Afghanistan auf ihn wartet, ist so groß, wie für einen amerikanischen Präsidenten seit Jahrzehnten nicht mehr. Richard Haass, einst enger Berater von Colin Powell im US-Außenministerium, glaubt daher, dass der neue Präsident "jeden einzelnen der 76 Tage zwischen der Wahl und der Vereidigung braucht, um auf die Welt vorbereitet zu sein, die er erbt". Aber auch dafür hat Obama schon lange im Voraus geplant.
Bei derart drängenden Problemen gerät der historische Aspekt, den die Wahl des ersten Schwarzen ins Weiße Haus hat, ziemlich schnell aus dem Sichtfeld. "Für jemanden wie mich, der Martin Luther King und den Kukluxklan noch erlebt hat, ist dies ein sehr emotionaler Tag - aber ich mache mir keine Illusionen", sagt der 65-jährige Billy Buttler, der in Altgeldgardens an der Southside am Dienstag als Wahlhelfer eingesetzt ist. Genau hier hatte Obama in seinen ersten Chicagoer Jahren als Sozialarbeiter gearbeitet. Doch die Gegend ist mit ihren verbarrikadierten Häusern immer noch so trostlos wie damals.
Obama, so argumentiert Buttler, knüpfe zwar an die schwarze Bürgerrechtsbewegung an, habe sich aber von dem Schwarz-Weiß-Schema gelöst: "Obama wird ein Präsident für alle Amerikaner sein, nicht nur für uns Schwarze." Daher werde sich das Leben in Altgeldgardens auch nicht verändern - solange wir die Verantwortung dafür nicht selbst in die Hand nehmen. "Wir Schwarzen konnten das Elend hier über die letzten 50 Jahre bequem auf die Diskriminierung schieben - damit es mit Obamas Wahl endgültig vorbei."
Original