- Eine Analyse vom 29.8.2008 -
Die Republikaner können sich warm anziehen. In seiner Nominierungsrede hat Barack Obama einen kämpferischen Ton angeschlagen und den Finger in viele Wunden der Regierungspartei gelegt. Vor allem aber outet er sich als konservativer Patriot, dessen Botschaft des Wandels einen schon fast reaktionären Charakter hat.
DENVER. Obama will dafür sorgen, dass Amerikas traditionellen Werte neu entdeckt und das Land zur alten inneren und äußeren Stärke zurückfindet. Eine Botschaft, die weit über seine traditionellen Wähler hinausgeht und auch vielen Konservativen zu denken geben wird.
Bislang war Kritik gerechtfertigt, dass Barack Obama bei all seiner rhetorischen und persönlichen Überzeugskraft bei konkreten Inhalten schwach blieb. Doch damit räumt seine Rede im Football-Stadium von Denver auf. Er definiert, was er unter Wandel, unter "Change" versteht. Er gibt konkrete Versprechen - und fordert Mitarbeit ein, damit Amerika wieder das wird, was es einmal war: "Die beste Hoffnung für alle in dieser Welt, die für Freiheit kämpfen, die sich nach Frieden und nach einer besseren Zukunft sehnen."
Der Demokrat benennt, was es eigentlich ist, dieses amerikanische Versprechen: Es sei die Überzeugung, dass jeder Einzelne durch harte und aufopfernde Arbeit seine individuellen Träume verwirklichen kann, dass aber alle am Schluss an einem Strang ziehen und sicher stellen, dass auch die kommende Generation diesen Traum umsetzen kann. Dieses Verständnis von Staat und Individuum zieht sich wie ein roter Faden durch Obamas Rede, und wohl auch durch seine Philosophie.
Beide Teile des amerikanischen Versprechens, so Obama, hätten in den vergangenen acht Jahren schwer gelitten. Große Teile der Bevölkerung seien durch Reallohnverlust, Arbeitslosigkeit, steigende Energiepreise und Immobilienkrise in eine Lage geraten, in der sie noch nicht einmal eine vernünftige Ausbildung ihrer Kinder finanzieren können. Schlimmer aber noch sei, dass übersteigerter Individualismus an die Stelle des Gemeinschaftsdenkens getreten sei.
Dafür sei nicht die Regierung allein verantwortlich. Aber sie habe es versäumt, angemessen zu reagieren. Obama geißelt George W. Bush für seine Fehler, von den einseitigen Steuersenkungen bis hin zum Irakkrieg. Er kratzt auch kräftig am Mythos Ronald Reagan. Zwar nennt er nicht dessen Namen, wohl aber die seit zwei Jahrzehnten herrschende Philosophie der Republikaner - wonach man den Reichen nur genug geben müsse, damit der Wohlstand von oben nach unten durch die Gesellschaft tröpfelt. Was die Republikaner eine Eigentümer-Gesellschaft nennen, sei in Wirklichkeit die Weigerung, für Arme und Schwache Verantwortung zu übernehmen.
Obama verteidigt das Recht des Einzelnen, aus seinem Leben das Beste zu machen. Aber er verbindet es mit der Pflicht, den Anderen mit Würde und Respekt zu behandeln. Für die Wirtschaft heißt das, dass der Markt Initiative und Innovation belohnt, dass die Unternehmer aber Verantwortung für ihre Arbeitnehmer übernehmen - etwa, indem sie ihre Arbeitsplätze nicht alle ins Ausland verlagern. Wir würden das soziale Marktwirtschaft nennen, wenn auch mit einem eindeutig amerikanischen, patriotischen Einschlag.
Ähnlich differenziert definiert Obama die Rolle des Staates: Natürlich kann und soll er den Bürgern nicht alle Probleme abnehmen, aber er sollte all das übernehmen, was die einzelnen allein nicht können. Für äußere Sicherheit und sauberes Wasser sorgen, den Kindern eine Ausbildung anbieten und eine anständige Infrastruktur errichten. Jeder sei für sich selbst verantwortlich; aber nur wenn sich ein jeder auch für seinen Nächsten mitverantwortlich fühle, könne die Nation wieder groß werden.
Ganz konkret benennt Obama, was er als Präsident seinen Bürgern bieten wolle: Er verspricht Steuersenkungen für Arbeiter, Mittelschicht, kleine Unternehmen und all diejenigen, die in Amerika für Arbeitsplätze sorgen. Er setzt das Ziel, innerhalb von zehn Jahren die Abhängigkeit vom Öl aus dem Mittleren Osten zu beenden, durch die Förderung von erneuerbarer Energie, Erdgas und saubere Kohle, durch sichere Atomkraft und sparsamere Autos. Jedes Kind soll eine Ausbildung erhalten, die es fit für den globalen Wettbewerb macht. Und jeder Student, der sich sozial engagiert, erhält dafür die Finanzierung seiner College-Ausbildung garantiert. Jeder Amerikaner soll Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Frauen sollen für gleiche Arbeit gleich entlohnt werden.
Das Ganze, räumt Obama ein, kommt nicht kostenlos. Weder für den Staat noch für das Individuum. Rein fiskalisch will der Kandidat alle Ausgaben gegenfinanzieren, damit das Defizit nicht noch größer wird. Etwa durch Steuererhöhungen für die Reichen und durch die Streichung überflüssiger Regierungsprogramme.
Aber auch der einzelne müsse seinen Beitrag bringen, Verantwortung übernehmen. Der Staat, so Obama, könne ein gutes Bildungswesen bereitstellen, "aber er kann nicht den Fernseher abstellen und die Kinder zwingen, ihre Hausarbeiten zu machen". Das hätte Ursula von der Leyen nicht schöner sagen können und es hört sich harmlos an. In Wahrheit will Barack Obama damit den Trend zum rücksichtslosen Individualismus umkehren und dem Staat sowie der Gesellschaft wieder eine weit größere Rolle geben.
Wenn ihn die Amerikaner denn wählen. Die Wahrscheinlichkeit spricht nach der Rede in Denver dafür, denn diese konservativ patriotischen Töne bringen die Seele der Amerikaner in Schwingung. Auf beiden Seiten des Parteispektrums.
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