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Das geht - Braumeisters Anti-Cola

Aus der Not geboren, vom Werber geschätzt: Ein bayerischer Familienbetrieb erobert mit der Szene-Brause "Bionade" den Markt

(erschienen in brand eins, Ausgabe 07/2003)


Ostheim vor der Rhön ist einer dieser Orte, die von überall her schlecht zu erreichen sind. Ex-Zonenrandgebiet, im Dreiländereck Thüringen-Hessen-Bayern. Landschaftlich ein Traum, immerhin. Kirchenburg. Fachwerk. Orgelbau-Museum. Zum Erfinder, sagt der Braumeister Dieter Leipold, 66, wird man hier aus Verzweiflung: "Die Möglichkeiten, seine Freizeit zu gestalten, sind nicht sehr groß." Erfunden hat er Bionade, das erste alkoholfreie Erfrischungsgetränk, das durch Gärung entsteht. Die Brause in den Geschmacksrichtungen Litschi, Holunder oder Kräuter schmeckt schon wegen der Aromen völlig anders als die üblichen Limonaden aus Konzentrat, vor allem ist sie weit weniger süß.

Wie das so ist bei Neuem: Kaum jemand glaubte, dass die Familienbrauerei Peter lange durchhalten würde, als sie 1995 die Bionade GmbH gründete. Nach acht harten Jahren sorgte schließlich ein Überraschungserfolg in Hamburger Kneipen für den Durchbruch. 2,5 Millionen verkaufte Flaschen weltweit im vergangenen Jahr, in diesem sollen es doppelt so viele werden. Die Firma vertreibt ihre Öko-Limo mittlerweile auch in Österreich, in der Schweiz und in Großbritannien. Fünf Millionen Flaschen will die belgische Brauerei Alken-Maes in Lizenz herstellen.

In Ostheim bleibt man bescheiden. Drei Bionade-Fahnen auf dem Brauereihof, mehr weist nicht auf den erfolgreichen Ableger hin. Als Leipold in den Achtzigern mit der Entwicklung begann, litt der Betrieb seiner Frau unter der sinkenden Nachfrage nach Bier und der Konkurrenz großer Marken. So kam er auf die Idee, die Kapazitäten mit einem neuen Erfrischungsgetränk auszulasten. " Meine Überlegung war: Wir stellen auf natürlichem Weg selbst ein alkoholfreies Getränk her und machen den herkömmlichen Mischgetränken Konkurrenz", sagt Leipold. Ihm schwebte ein Lizenzmodell vor. Jeder Betrieb sollte seine eigene Limo brauen.

Leipold funktionierte seine Wohnung zum Labor um. In langen Versuchsreihen isolierte er aus dem asiatischen Getränk Kombucha Bakterien, die den Zucker im Braumalz nicht zu Alkohol vergären, sondern zu Gluconsäure: die Grundlage der Bionade. Sie kommt auch in Honig vor, konserviert das Getränk und bindet Mineralstoffe in einer Form, die der Körper gut aufnimmt. Gefördert vom Bundesforschungsministerium, entwickelte Leipold ein Herstellungsverfahren und baute eine Brauanlage.

1995 kam die Bionade auf den Markt - Jahre vor der Flut neuer Trend- und Wellness-Getränke. Auch juristisch betraten die Limo-Erfinder aus der Provinz Neuland: Im Lebensmittelrecht gibt es keine Gärung alkoholfreier Erfrischungsgetränke. "Sobald Bionade irgendwo im Laden war, kamen die Herren vom Landratsamt und sagten: ,Das geht nicht!'", erinnert sich Geschäftsführer und Inhabersohn Peter Kowalsky. Erst nach drei Jahren waren sich alle einig, inklusive der offiziellen Stellen, was Bionade ist und was auf dem Etikett stehen soll und darf: "Biologisches Erfrischungsgetränk. Mit Calcium und Magnesium. Nach Originalrezept hergestellt durch Fermentation natürlicher Rohstoffe."

Dem Absatz half das vorerst nicht. Kaum ein regionaler Händler interessierte sich für das Getränk. Und an eine bundesweite Expansion war ohne Außendienst, Fuhrpark und Marketing-Etat ohnehin nicht zu denken. Schon deshalb nicht, weil die Gebühren, mit denen sich Handelsketten in der Regel die Aufnahme neuer Produkte in ihre Regale bezahlen lassen, die Möglichkeiten des Kleinbetriebs weit überstiegen. Die meisten Bio-Händler wiederum lehnten die Natur-Brause ab, weil sie auch im konventionellen Handel zu haben war. Die branchenübliche Lösung wäre, dem Naturkosthandel dasselbe Produkt unter einer eigenen Marke zu liefern, aber das war den Brauern zu teuer. Gut lief Bionade in Sportzentren, Kurkliniken und Osteoporose-Selbsthilfegruppen, wo man sich über die Alternative zum Mineralwasser freute.

Die Wende kam, als Hamburgs größter Getränkehändler Göttsche 1997 das Potenzial der Bionade erkannte und Kneipen damit versorgte. Und ein Zufall für Multiplikatoren sorgte: Eine Charge mit ungarischen Etiketten aus einem geplatzten Auslandsgeschäft hatte sich nach Hamburg verirrt und wurde von der Werbeszene entdeckt. Die Nachfrage stieg, und mehr Händler nahmen die Bionade in ihr Sortiment auf. Auch die norddeutsche Drogeriekette Budnikowsky. "Wir haben erst gar nicht verstanden, was da oben abgeht", sagt Kowalsky. Aber seit 2000 hat sich der Absatz in Hamburg jedes Jahr verdoppelt.

Der Erfolg öffnete neue Türen, zum ersten Mal gibt es einen kleinen Werbeetat und dank der Kooperation mit dem Mineralbrunnen Rhönsprudel auch eine bundesweite Logistik. Bionade bringt im Familienbetrieb inzwischen 65 Prozent des Umsatzes von zwei Millionen Euro ein. " Wie viel wir mit unseren 20 Leuten dafür arbeiten, ist aber nicht mehr menschenwürdig", sagt Sigrid Peter-Leipold, die 56-jährige Chefin der Brauerei. Immerhin: Mit der Langeweile in Ostheim ist's jedenfalls vorbei.



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