Hamburg - WM-Finale, 51. Minute, die Spannung ist kaum noch zu überbieten: Argentinien hat den zweiten Durchgang furios begonnen, macht Druck, eben schickt Javier Mascherano einen Steilpass in den Strafraum, doch Lionel Messi steht im Abseits, der Ball kullert ins Toraus, Manuel Neuer will schnell abschlagen, schnappt sich den Ball und... - wer am Sonntagabend nicht selbst im Maracanã-Stadion saß, hat keine Ahnung, was sich danach auf dem Spielfeld ereignete.
Denn geschlagene 16 Sekunden lang bekamen die Fernsehzuschauer die Christus-Statue von Rio zu sehen, dahinter die untergehende Sonne. ( Zu sehen hier in der ARD-Mediathek ab 8:25 Minuten.) Gewiss ein zauberhaftes Bild, und man hätte es auch genießen können - etwa wenn sich gleichzeitig ein Spieler verletzt auf dem Boden gewälzt oder beim Wechsel getrödelt hätte. Oder wenn, wie später in diesem WM-Finale, das Spiel rund eine Minute lang unterbrochen war, weil ein Flitzer über den Rasen lief. Bei dieser Gelegenheit waren im Fernsehen allerdings stattdessen Zuschauer und Trainer zu sehen, erst spät zeigte die ARD Bilder des inzwischen von mehreren Ordnern weggetragenen Flitzers ( Hier zu sehen ab 40:14 Minuten).
Bilder der Christus-Erlöser-Statue statt Spielzüge; Bilder des Flitzers erst, als er nicht mehr flitzte - wer bestimmt eigentlich, was wir während Live-Spielen zu Gesicht bekommen?
Antworten auf die wichtigsten Fragen:
1. Wer führt Regie, wenn ARD und ZDF von Fußball-Turnieren übertragen?
Die TV-Produktion übernimmt eine von der Fifa beauftragte Firma, die Host Broadcast Service (HBS). HBS platziert nicht nur die laut Eigenaussage bis zu 32 Kameras im Stadion, die das Spielgeschehen aus jedem Blickwinkel aufnehmen, sondern produziert auch das sogenannte Weltbild - anders gesagt: Egal in welchem Land man zuschaltet, Regie führt immer HBS. Gegründet wurde HBS 1999, doch bereits bei der WM in Frankreich ein Jahr zuvor waren die maßgeblichen Personen für die TV-Produktion verantwortlich.
Pikant: HBS ist eine Tochter der Infront Sports & Media, eine Sportrechte-Firma. Infront-Chef ist Philippe Blatter, Neffe des Fifa-Chefs Sepp Blatter.
2. Welche Regeln gelten für die TV-Übertragung?
Die exakten Vorgaben des Auftraggebers Fifa an den TV-Produzenten HBS sind nicht bekannt - Aufschluss über mögliche Kriterien gibt aber ein Interview, dass der deutsche Regisseur Volker Weicker vor vier Jahren der "Süddeutschen Zeitung" gab: Demnach soll die Übertragung möglichst vielen Zuschauern weltweit gefallen, ob in China, Großbritannien oder Südafrika - eine Erklärung dafür, dass deutsche Fernsehzuschauer zuweilen irritiert sind.
Kritiker werfen HBS vor, die Welt bekomme nur zu sehen, was die Fifa wünsche. Flitzer gehören demnach nicht dazu, Sepp Blatter selbst übrigens auch nicht - er war kaum im Fernsehen zu sehen, obwohl er oft im Stadion war. Ebenso auf der Tabu-Liste stehen offenbar Pyro-Aktionen der Fans, politische Aussagen oder Aggressionen auf den Rängen.
3. Haben ARD und ZDF Einfluss auf die Regie?
Wie man es nimmt: Über die bis zu 32 eigenen Kameras im Stadion gebietet ausschließlich HBS, das aus dem Internationalen Übertragungs-Zentrum (IBC) in Rio de Janeiro sendet. Während der Partien wählt HBS die Kameraperspektiven aus, die auch so übernommen werden müssen. ARD und ZDF können also nicht selbst auf eine der HBS-Kameras schalten, haben so auch keinen Einfluss auf die entscheidenden Wiederholungen oder Einstellungen während des Spiels.
Allerdings haben ARD und ZDF zumindest bei Deutschland-Spielen auch eigene Kameras im Stadion. Diese Bilder können die Sender nutzen, wie sie wollen, Einschränkungen gibt es dafür nicht. Sie können also auch in die Live-Übertragung hineinschneiden. Daher war der Flitzer dann auch zumindest kurz zu sehen.
4. Senden ARD und ZDF gar keine eigenen Bilder?
ARD und ZDF senden mit jeweils acht Kameras von Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Diese sind aber vor allem für Spielanalysen, Interviews am Spielfeldrand sowie zum Abfilmen der eigenen Moderatoren und Kommentatoren vorgesehen. Sie fangen außerdem die Jubelbilder der DFB-Elf ein. Diese Kameras können ARD und ZDF aber auch dafür nutzen, um eigene Bilder aus dem Stadion zu senden. So konnte gestern auch der Flitzer aufgenommen werden, den das Fifa-Weltbild weggeschnitten hatte.
Allerdings ist es unüblich, dass ARD und ZDF auf die eigenen Kameras während der Spielübertragung zurückgreifen. Das Bild wirkt holprig, wenn es eingeschnitten wird. Es ist nur dafür gedacht, etwas ergänzend zu zeigen, wie den Jubel der Kanzlerin oder eben den Flitzer. Im Allgemeinen müssen ARD und ZDF also auf das von HBS ausgestrahlte Weltbild zurückgreifen.
5. Wer war für die Einblendung der Christus-Staue verantwortlich?
Ganz offensichtlich HBS, denn die malerische Szene war selbst auf den Bildschirmen im Maracanã-Stadion zu sehen, wie folgendes Foto beweist. Und daher wissen wir nun auch, wem Manuel Neuer den Ball zuspielte, als die ganze Welt nur den Sonnenuntergang hinter der Christus-Statue betrachten konnte: Philipp Lahm.
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