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Feature

Eine Seidenstraße für den Balkan

China kauft sich in Südosteuropa ein. Nirgendwo sonst zeigt sich das so stark wie in Serbien. Peking stellt Milliarden für den Bau von Brücken, Autobahnen und Kraftwerken zur Verfügung. Welche politischen Folgen hat das?

Im achten Stock eines altsozialistischen Plattenbaus der serbischen Hauptstadt Belgrad sitzt der 69-jährige Imre Kern und erzählt von der Zukunft. Genauer gesagt: Er erzählt von seiner letzten Dienstreise nach Peking. «Die Hochgeschwindigkeitszüge sind phantastisch», schwärmt Kern, «es fühlt sich an, als würden Sie fliegen!» Er öffnet eine Fotogalerie auf seinem Laptop. «Schauen Sie, dieser Bahnsteig!», ruft er begeistert, «so sauber wie ein Spiegel.» Kern klickt sich durch Fotos von chinesischen Teppichen, Teigtaschen und Wolkenkratzern. Für einen Moment wirkt er wie ein Tourist, der gerade aus den Ferien zurückgekommen ist.
Kern ist Staatssekretär im serbischen Infrastrukturministerium. Ein in die Jahre gekommener Beamter, der im Jugoslawien der siebziger Jahre Chemietechnik studierte und später in der Sowjetunion ausgebildet wurde. Heute verhandelt Kern für die serbische Regierung Bauverträge in Milliardenhöhe. Es geht um Brücken, Autobahnen, Kraftwerke. Und um das «grösste Projekt in der Geschichte Serbiens», wie Kern es nennt: eine Hochgeschwindigkeitsbahn zwischen Belgrad und Budapest. «Gut, dass die Chinesen uns für die Verhandlungen Übersetzer zur Verfügung stellen», sagt der Staatssekretär beiläufig, «denn die könnten wir uns gar nicht leisten.»

Einfallstor der Seidenstrasse

China hat den Balkan für sich entdeckt – eine Region, die seit dem Zerfall Jugoslawiens versucht, zum Rest Europas aufzuholen. Mehr als zwanzig Jahre nach dem Krieg fehlt es den Ländern immer noch an Mitteln, um die marode Infrastruktur voranzubringen. Das macht den Balkan zum idealen Einfallstor nach Europa für Chinas aussenpolitisches Prestigeprojekt: die neue Seidenstrasse. Mit diesem Infrastrukturprogramm will Staatspräsident Xi Jinping neue Handelsrouten zwischen Asien, Afrika und Europa erschliessen. Den Ländern, die entlang der Seidenstrasse liegen, stellen chinesische Banken Kredite zur Verfügung. In einer Zeit, in der die EU vor allem mit sich selbst beschäftigt ist, kommt Pekings Jahrhundertprojekt den Ländern Südosteuropas gerade recht. Im griechischen Piräus-Hafen entsteht mit chinesischer Hilfe der am schnellsten wachsende Containerterminal Europas. In Bosnien werden mit chinesischen Krediten Kraftwerke gebaut und in Montenegro Autobahnen. In Albanien haben chinesische Firmen eine Konzession für den Flughafen von Tirana erworben und Ölfelder im Wert von 450 Millionen Euro gekauft. Mazedonien soll zu einem Brückenkopf ausgebaut werden, der den Piräus-Hafen ans europäische Schienennetz anbinden soll. Und dann ist da noch die Hochgeschwindigkeitsbahn, die uns zurück in das Büro von Imre Kern führt.

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