18.11.2021, von Franziska Horn
Schwindende Gletscher, weicher Permafrost, bedrohte Tier- und Plfanzenarten: Für sein neues Buchprojekt "Unsere Alpen" traf der Ex-Skirennfahrer Glaziologen, Lawinenforscher und Biologen.
Das Projekt in Ehren – aber sind die Alpen überhaupt noch zu retten?
Neureuther: Die aktuelle Entwicklung in den Alpen ist schon extrem. Auch hinsichtlich Permafrost. Und die Gletscher sind im Grunde nicht mehr zu retten. Aber man sollte so lange wie möglich versuchen, sie zu erhalten, denn sie sind ein extrem wichtiges Wasserreservoir für die Täler und Speicher unserer Flüsse.
Wie lange dauerte die Arbeit am neuen Buch-Projekt?
Neureuther: Wir haben zirka ein Jahr am Buch und am Film gearbeitet, und es ist einiges im Buch, was in der Doku passiert, und umgekehrt. Im Buch hast du natürlich viel mehr Raum für weitere spannende Geschichten.
Von wem stammt die Tourenauswahl für die einzelnen Regionen?
Neureuther: Die Touren und Routen haben wir gemeinsam ausgesucht, zusammen mit dem Verlag National Geographic, das heißt mit Autor Michael Ruhland und mit Fotograf Bernd Ritschel. Es entstand eine besonders enge Verbindung, die sicher über dieses Projekt hinaus bestehen bleibt.
Eine Seilschaft, sozusagen?
Neureuther: Ja, wirklich. Es macht ja mit einem etwas, wenn man in hochalpinem Gelände gemeinsam unterwegs ist, hochkraxelt, und auf 3.000 Metern übernachtet, nur um einen perfekten Sonnenaufgang zu erwischen.
Hat Ihnen das Buchprojekt neue Erkenntnisse gebracht?
Neureuther: Auf jeden Fall. Ich habe mich ja mit Wissenschaftlern getroffen, die Lösungsansätze liefern, wie wir den Klimawandel stoppen oder mit ihm leben können. Rein für den Gletscherschwund ist es eigentlich ziemlich einfach: Wir müssen radikal den CO2-Ausstoß zurückfahren.
FH: Was heißt das für jeden Einzelnen, für Sie, für mich?
Neureuther: Kein CO2 mehr auszustoßen. Es geht schließlich um unsere Erde, um unsere Umwelt. Es ist noch nicht zu spät, aber jeder Einzelne sollte in sich gehen und schauen, was er dazu beitragen kann.
FH: Was bedeutet das für die Region Garmisch, wo Sie leben?
Neureuther: Der Zugspitzferner ist ja mittlerweile nicht mehr groß, den haben die Gletscherforscher bereits abgeschrieben. Wir haben das Glück, dass wir hier am Fuße der Alpen leben, wo es auch in Zukunft regelmäßig Niederschläge geben wird, und wo es in den höheren Regionen noch schneien wird. Aber was ist die Konsequenz für die Länder weiter im Norden? Die Auswirkungen bzw. die extremen Wettersituationen sind dort viel größer. Oder für das Wallis, dort herrscht eine starke Trockenheit, die Tannen und Kiefern aussterben lässt, weil es dort schon zu warm ist. Kiefern sind im Wallis der natürlichste Lawinenschutz für die Menschen. Als Ersatzbaum wird inzwischen auch die Douglasie angesiedelt, die durch ihre Wurzeln natürlichen Lawinenschutz liefern kann und die Trockenheit viel besser aushält. Dazu schwindet der Permafrost...
FH: Und alles kommt ins Rutschen...
Neureuther: ja, denn wenn der Gletscher, der ja eine Schutzschicht für das Gestein ist und wie ein Klebstoff wirkt, fehlt, kann es zu gefährlichen Felsstürzen kommen. Das haben wir am Beispiel vom Kitzsteinhorn gut darlegen können. Es ist schon krass, wenn man das direkt vor Ort gezeigt bekommt. Rund um Garmisch-Partenkirchen gab es die letzten 20 Jahre immer wieder starkes Hochwasser, weil es langfristig stark geregnet hatte, aber nicht in der Häufigkeit und Vehemenz. Diese extremen Überflutungen werden zu einer echten Gefahr für die Menschen.
FH: Wie kommt es, dass ein ehemaliger Skirennsportler...
Neureuther: … die Frage wird mir oft gestellt... (lacht)
FH: ...nun als eine Art Umweltapostel auftritt? Von Saulus zu Paulus also?
Neureuther: Meine Eltern haben mich immer in die Berge mitgenommen, dort bin ich groß geworden. So hab ich den Gletscherschwund auf der Zugspitze am eigenen Leib erlebt. Ich hab gesehen, wie mein bester Spezl davonschmilzt. Das macht was mit einem, wenn man es hautnah erlebt. Ich kritisiere auch seit Langem den Ausbau von immer größeren und neuen Skigebieten. Lasst uns lieber in die Qualität investieren - und die heißt Nachhaltigkeit. Wir müssen back to the roots. Es geht in meinen Augen darum, den Menschen möglichst naturschonend Ausflüge in die Berge zu ermöglichen. Die Erlebnisse werden deswegen nicht ärmer, sondern eher wertvoller und zeitgemäßer.
FH: Wie fühlt es sich an, wenn nach 20 Jahren Extremsport ein großes Lebensziel weg bricht?
Neureuther: Ich war in der glücklichen Lage, selbst zu entscheiden, wann ich aufhöre. Das war ein schleichender Prozess. Dann habe ich mir das Kreuzband gerissen, da war ich 33, und da wusste ich, das sollte eigentlich meine letzte Olympia-Saison werden. Ich hatte in der Reha sehr viel Zeit, mir Gedanken zu machen über das Karriereende – und dann ist unsere Tochter auf die Welt gekommen.
FH: … die auch schon Ski fährt?
Neureuther: Ja, sie ist auch schon auf den Skiern gestanden. Ich hatte also neue Ziele und Visionen, auch in Sachen Umwelt. Die Zeit im Skirennsport war eine wunderschöne Zeit, für die ich sehr dankbar bin. Heute habe ich ein neues Leben, ein anderes Leben, das noch viel viel schöner ist, als das davor.
FH: Welches war ihr größter Erfolg?
Neureuther: Die größten Erfolge waren für mich die, bei denen ich am meisten auf die Schnauze bekommen habe. Daraus habe ich am meisten gelernt. Das hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. Ich weiß, wie es sich anfühlt, hinzufallen und wieder aufzustehen. Und ich habe das Kämpfen gelernt, das kann ich nun auch für andere Projekte einsetzen. Mein Plan ist, dass ich im Alter mit meiner Frau und unseren Kindern und Enkelkindern oben am Berg steh und runterschau und sagen kann: Wir haben vieles anpacken können.
FH: Und dabei vielleicht noch auf ein paar Gletscher schauen.
Neureuther: Das wär etwas ganz Wunderbares.
Vielen Dank für das Gespräch.
Info: Der Bildband „Unsere Alpen – Ein einzigartiges Paradies und wie wir es erhalten können“ von Felix Neureuther ist im Oktober im Verlag National Geographic erschienen, mit Texten von Michael Ruhland und Fotos von Bernd Ritschel und Mayk Wendt, 192 Seiten, gebunden, 39,99 Euro, ISBN: 3866907907
Parallel entstand der Dokumentarfilm „Rettung für die Alpen – Unterwegs mit Felix Neureuther“, der auf National Geographic ausgestrahlt wird.
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