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"Ich bin Antimode"

Ihre schlichten Entwürfe machten Jil Sander berühmt. In Frankfurt zeigt nun erstmals eine große Ausstellung das vielseitige Schaffen der visionären Designerin, das auch Architektur, Produktdesign und Gartenkunst umfasst.

Von Franziska Horn


Nein. Erklären will sich Frau Sander nicht. Nicht den zahlreichen Journalisten Rede und Antwort stehen, die zur Pressekonferenz ihrer weltweit ersten Ausstellung im Frankfurter Museum für angewandte Kunst (MAK) erschienen sind. Das gesamte Haus mit den von Architekt Richard Meier geschaffenen, lichtdurchfluteten Räumen hat Direktor Matthias Wagner K dafür zur Verfügung gestellt. Doch die Pressekonferenz findet ohne ihre Protagonistin statt.


Einen sternschnuppenartigen Auftritt hat Jil Sander dann doch. Gewandet in Mitternachtsblau - Rundhalspulli, schmale Hose, Schnürer mit Plateausohle, Sonnenbrille - erscheint die 73-Jährige nebst Mitarbeiter-Entourage zum Fototermin. Nur Sekunden dauert diese Vorstellung. Sanders Werk soll für sich sprechen, wortlos, könnte man folgern. Eine Attitüde, die die öffentlichkeitsscheue Designerin mit vielen Künstlern teilt.

Auf zwei Etagen und 3000 Quadratmetern findet sich ein Stilkosmos aus Kollektionsteilen und Kunst, aus Fotografie, Musik, Produktdesign und Architektur - für innen, außen und den Garten. Ein Kosmos, der auf die Verlinkung all dieser Disziplinen verweist und sich zu einem großen Bild zusammensetzt.


Eine Werkschau oder Retrospektive will die Ausstellung namens "Präsens" jedoch nicht sein. Datierungen fehlen bei den Modellen sogar ganz. Ein Hinweis, dass Sanders Mode beinahe außerhalb der Zeit steht, sozusagen zeitlos ist? Dazu gibt es Videos vom Catwalk, Lookbook-Fotos und großformatige Abzüge, Moodboards, Material - und Farbstudien, bezeichnenderweise in Offwhite oder Dunkelblau.


Ein ganzer Raum widmet sich Sanders Double-Face-Kreationen, ein Amalgam aus Ästhetik, Schnittführung und Handwerkskunst, skulptural, plastisch konstruiert und wie all ihre Entwürfe organisch geformt.

Als Heidemarie Jiline Sander 1943 in Wesselburen geboren, entscheidet sich die Hamburgerin für ein Textilingenieurstudium in Krefeld und geht 1964 als Austauschstudentin zwei Jahre nach Los Angeles, arbeitet später als Moderedakteurin. 1968 öffnet sie ihr erstes Modegeschäft in der Hamburger Milchstraße. Ab 1979 kreiert sie Parfums, abgelichtet von Bruce Weber, promotet von Scholz & Friends. 1989 folgt der Börsengang der erfolgreichen Modemarke und eine weltweite Expansion. Designguru Peter Schmidt entwarf Logo, Schrift und Verpackungen, Peter Lindbergh fotografierte Kampagnen und großformatige Schwarzweißporträts von "Jil", auch am Strand.


Sander selbst brachte es fertig, sich dem Hype um das selbstkreierte Label zu entziehen, verschwand als Privatperson beinah hinter dem nach außen projizierten ikonischen Starporträt. Das entspricht wohl ihrem Naturell und hat dem Aufbau ihrer Marke ironischerweise geholfen.


"Ich bin Antimode", hat die für ihren Purismus gerühmte Designerin einmal gesagt und: "Man muss der Versuchung widerstehen, jede Leere zu füllen." Dieses Zitat findet sich an eine Wand der Ausstellung plakatiert. Es ist ein Kernsatz. So zeigt die Ausstellung unter anderem szenische Räume von spärlichem Mobiliar und mönchischer Klarheit.

Sie entsprechen eins zu eins dem Inventar der Flagshipstores, geplant vom New Yorker Architekt Michael Gabellini, akzentuiert von Raumteilern namens "Flying walls" und von genialer Lichtführung, diese wiederum inspiriert von Lichtkünstler James Turrell. Nicht weit davon zeigt eine Videoinstallation den von Sander gestalteten norddeutschen Privatgarten. Eine sphärische Symphonie aus Grüntönen, die ihr Vorbild in dem berühmten englischen Garten Sissinghurst findet.


Ein Kernstück der Ausstellung - und Sanderscher Modephilosophie - ist eine kleine, hell gerahmte Fotografie, die allein auf weiter, weißer Flur hängt. Sie zeigt ein Close-up, darauf beschuhte Hosenbeine, in Hochwasserhosen, mit weitem Bein und Aufschlag. Eine fast schon chaplineske Kombination mit subtilem Dandy-Anklang. Hose und Schnürschuh zogen sich viele Jahre durch die Basiskollektion wie ein Leitmotiv, das es so nur bei Sander gab, die zeitlebens mit männlichen Dresscodes spielte und mit ebenso leichter Hand duftig plissierte, blütenartige Röcke und schmale Slipdresses entwarf.


1997 etablierte sie eine eigene Herrenlinie, körpernah und androgyn. Einmal mehr hinterfragte sie damit die gesellschaftlichen Konzepte von "männlich" und "weiblich". In ihren Silhouetten näherte sie die Geschlechter einander an, ganz ohne Gleichmacherei und in stets ausgefeilter Schnittführung - welch Fortschritt. Zu Wort kommt, visuell gesprochen, auch eine mit Mario Merz konzipierte Außenskulptur für die Biennale 1996 in Florenz, mit dem die Kunstsammlerin Sander eine langjährige Freundschaft verband. "Opulenz findet in der Qualität des Materials statt", lautet ein weiteres Jil-Zitat der Ausstellung, die jenen Purismus, Minimalismus und hanseatische Nüchternheit der vom Bauhaus beeinflussten "Queen of Less" widerspiegelt, welche ihr Label zwei Mal verließ, zwei Mal wiederkam, bevor sie 2013 aus privaten Gründen endgültig ausstieg.


So ist die Schau, die eineinhalb Jahre lang vorbereitet wurde in enger Zusammenarbeit mit Sander selbst, ein Kaleidoskop aus Videoschnipseln, Fotos, Modellen und Versatzstücken einer Designerin, die ihre Philosophie knapp mit dem Wort "modern" umreißt. Sander gibt Hinweise in dieser Schau, liefert aber keine Deutungshoheit über ihre visuelle Weltsicht. Ein im Grunde sehr demokratischer Gedanke. Für eine Einordnung ihrer selbst ist Sander schlicht zu intelligent.


Ausstellung Jil Sander: Präsens. Museum Angewandte Kunst in Frankfurt, 4. November 2017 bis 6. Mai 2018


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