Annette Marquardt brennt für ungelöste Altfälle, sogenannte Cold Cases. Die Staatsanwältin setzt auf junge Gehirne und neue Technologien. Warum Erinnerungen von Zeugen oft trügen und wie "Aktenzeichen XY" trotzdem hilft.
SPIEGEL: Was macht die Ermittlungen so schwer?
Annette Marquardt: Das Papier ist vergilbt, alte Akten sind anders aufgebaut, teils unvollständig, und es dauert, bis sie überhaupt digitalisiert sind. Immer wieder müssen wir auch feststellen, dass Asservate vernichtet wurden - auch, weil die DNA-Analyse in den Siebziger- und Achtzigerjahren noch kein Thema war. Was wir auch nicht selten beobachten: Es gibt noch Gegenstände von Opfern und Tatverdächtigen, sie wurden aber zusammen in eine Kiste gepackt, sodass eine Kontamination der Asservate nicht auszuschließen ist.
SPIEGEL: Vernimmt man heute noch einmal Zeugen oder findet neue, gibt es dann nicht die Gefahr, dass Dinge hinzugedichtet werden?
Annette Marquardt: Ja, aber dieses Problem gibt es auch, wenn nur Monate zwischen der Tat und der Hauptverhandlung liegen. Bei Cold Cases kommt aber hinzu, dass Zeugen Dinge vergessen oder auch vergessen wollen, weil das Gedächtnis den Menschen davor schützt, schlimme Erlebnisse abzuspeichern. Zeugenaussagen sind nicht immer zuverlässig.
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