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Puzzeln für ein erträgliches Stadtklima - Karlsruhe

Schmelzende Gletscher, ein höherer Meeresspiegel und versinkende Küstenregionen - die prognostizierte Klimaerwärmung hätte für bestimmte Gebiete besonders drastische Folgen. Doch auch Großstädte gehören zu den besonders Betroffenen. Ein Projekt mit künstlichen Kühlsystemen versucht, die zunehmenden Wetterextreme erträglich und beherrschbarer zu machen.

Heiße Sommer werden eng bebaute Städte hart treffen. Dies machen Simulation von Bernhard Lenz, Professor an der Hochschule Karlsruhe deutlich. Bei einer globalen Klimaerwärmung von bis zu 2 Grad, „kann dies in typischen Sommern zu einer Temperaturerhöhung von bis zu 5 Grad in Innenstadtbereichen führen", fasst er sein Ergebnis zusammen.

Die zunehmende Erwärmung der Innenstadt beschäftigt auch die Stadt Karlsruhe. 2015 wurde daher eine Klimaanpassungsstrategie beschlossen, die die gesundheitliche Belastung lindern und den zunehmenden Energiebedarf in den heißen Monaten reduzieren sollen. Mehr Grün- und entsiegelte Flächen, offene und möglichst breite Frischluftschneisen und auch mehr Bäume sollen das Stadtklima trotz Erwärmung weiter erträglich machen.

Künstliche Kühlung als Ergänzung

An einer künstlichen Kühlung der Innenstadt arbeitet Lenz. Der Architekt lehrt an der Hochschule Karlsruhe energieoptimiertes Planen und Bauen und will gemeinsam mit seinen Studenten ein flexibles Kühlsystem schaffen. An vielen Orten einer Großstadt sei es „schwierig, neue Bäume zu pflanzen und Flächen zu entsiegeln“, so Lenz. Häufig fänden sich unter augenscheinlich nutzbaren Flächenunterirdische Leitungen, die von den Baumwurzeln beschädigt werden könnten. Zudem gäbe es in jeder Stadt „Interessensgruppen, die eine flexible Gestaltung der Plätze vorziehen“, um große Flächen für wechselnde Veranstaltungen zu haben. Darüber hinaus müssten Bäume 30 bis 40 Jahre wachsen, um durch Größe eine optimale Kühlung zu erreichen. „Lösungen zur Abkühlung der Städte funktionieren wie ein Puzzle“ plädiert Lenz für vielfältige und realistische Lösungen. „Wir brauchen eine Kombination aus stärkerer Durchgrünung und technischen Komponenten für Problembereiche“, sagt Lenz.

Seine Idee: eine technische Verdunstungseinrichtung, die Wasser über eine spezielle, am menschlichen Darm orientierte Oberfläche führt. „So schafft man mit geringen Abmaßen eine große Oberfläche für die Verdunstung von Wasser“, meint Lenz. Unterstützt wird die Anlage durch mehrere mit Solarenergie angetriebene und steuerbare Lüfter. Diese saugen die Luft der Umgebung an und geben sie durch die Verdunstung von Wasser gekühlt wieder ab. Die Anlagen, die beispielsweise an Straßenlaternen angebracht werden könnten, sollen sich erst ab einer gewissen Außentemperatur ein- und bei zu hoher Luftfeuchtigkeit ausschalten, um „Tropenklima zu vermeiden“, beschreibt Lenz.

Fluten im Winter und Dürre im Sommer

Lenz verzichtet bewusst auf Düsen, um kein Trinkwasser zu verschwenden. Denn eine weitere Folge des Klimawandels sei eine Verschiebung der Niederschläge vom Sommer in den Winter. Er fürchtet nicht nur Wasserknappheit in der warmen Jahreszeit, sondern auch eine wachsende Überschwemmungsgefahr in den Wintermonaten. Durch die „hochgradige Versiegelung der Böden wird das besonders die Städte treffen“, so Lenz. Für seine Verdunster will er diese Tendenz nutzen. In unterirdischen Zisternen sollen zukünftig überschüssige Niederschläge über den Winter dezentral gespeichert und Monate später an heißen Tagen an die Verdunstungsanlage geleitet und wieder freigesetzt werden. „So kann ein winterliches Überschwemmungsrisiko gedämpft und gleichzeitig hohen sommerlichen Temperaturen entgegengewirkt werden“, ist Lenz überzeugt.

In den kommenden Monaten möchte Lenz einen Prototyp entwickeln, um mögliche Optimierungen vornehmen zu können. Dieser soll genutzt werden, um aufzuzeigen, wie leistungsfähig das System tatsächlich ist. Dabei wolle er auch noch eine weitere Idee prüfen, um seine Verdunstungsanlage dem Vorbild eines Baumes noch näher zu bringen. „Für den maximalen Komfort bräuchte es an besonders heißen Tagen noch eine zusätzliche Verschattung, zum Beispiel durch eine Art Sonnenschirm“, meint Lenz.

Mit dem Projekt will er auch für die Folgen des Klimawandels sensibilisieren. „Die Klimaveränderung geht nicht an uns vorbei. Den meisten Menschen wird dies aber erst bewusst, wenn sie die Folgen im direkten Umfeld und vor der eigenen Haustür spüren“, betont Lenz. Zwar hätten „einige Studierenden einen höheren Wissenstand zum Thema, aber das reicht nicht“, ist er überzeugt. Er plädiert dafür, Anpassungsmaßnahmen schon jetzt bei Sanierungen und Baumaßnahmen mit zu einzuplanen. Spätere Umbauten wären umso teurer und „wir müssen jetzt anfangen“, bevor es zu spät ist.

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