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Messebauer bauen Corona-Behandlungsräume: „Wir werden die Hütten voll bekommen" - DER SPIEGEL - Job & Karriere

Umdenken in der Coronakrise Behandlungsräume statt Messestände

Viele Messebauer kostet das Coronavirus derzeit den Job. Einer hat aus der Not eine Idee entwickelt - und bietet nun schnell aufstellbare Ambulanzräume an. Die ersten stehen schon.

Irgendwann dachte Tim Karußeit nur noch: "Scheiße".

Karußeit, 42, hatte im Januar ein Messebauunternehmen übernommen, familiengeführt, dritte Generation mit Sitz in Sehnde bei Hannover. Er war der erste externe Geschäftsführer in der Jahrzehnte währenden Firmengeschichte. Karußeit hatte noch nicht mal alle seine Mitarbeiter richtig kennengelernt - dann kam Corona.

Alle Messen brachen weg: 100 Projekte allein in den nächsten Wochen. "Mindestens ein Viertel des Jahresumsatzes musste ich erst mal abschreiben", sagt Karußeit. Er schickte seine Mitarbeiter in Kurzarbeit und wusste, dass etwas passieren muss, denn so eine Krise "die packt man nicht einfach so". Karußeit brauchte dringend eine Lösung.

Und dann kam ihm die Idee: Corona-Ambulanzen.

Per Mail schlug er Landräten in ganz Deutschland sein Konzept vor: Raum-in-Raum-Lösungen aus Aluminiumprofilen, die man ohne Werkzeug in wenigen Stunden errichten kann. Fugenlos, blickdicht, mit Türen und leicht zu desinfizieren. Ausgestattet mit dem Nötigsten: Stuhl, Liege, Licht.

"Das berührt mich"

Heinz-Peter Thiel war schnell überzeugt von der Idee. Der 57-Jährige ist seit 2013 parteiloser Landrat der Vulkaneifel, dem viertkleinsten Landkreis der Republik mit etwa 60.000 Einwohnern. "Wir haben Frankreich, Luxemburg und Nordrhein-Westfalen um die Ecke. Wir sind uns bewusst, dass wir dieses Virus nicht aufhalten können", sagt Thiel.

Gerade darin, dass die Menschen sich hier kennen und die Wege kurz sind, sieht Thiel den größten Vorteil. "Der Fliesenleger, der Lüftungstechniker, der Abfallentsorger - das, was hier gerade jeder in die Gemeinschaft einbringt, macht stolz und berührt mich", sagt er.

Gemeinsam mit Karußeits Leuten haben sie alle am vergangenen Wochenende in der Ortschaft Daun die Kegelbahn eines Steakhauses komplett entkernt und neun Corona-Behandlungsräume auf 200 Quadratmetern eingerichtet - die ersten nach dem Konzept des Messebauers. So sollen die zwei Krankenhäuser im Landkreis und die Arztpraxen entlastet werden. In dieser Woche entstehen im gut 20 Kilometer entfernten Hillesheim 15 weitere Behandlungsräume. "Wir werden die Hütten vollbekommen", sagt Landrat Thiel. Er weiß, was auf seinen Landkreis, der bislang weniger als 40 Corona-Fälle zählt, noch zukommen dürfte. Doch er sieht sich gerüstet. Die ersten Menschen werden bereits in den neuen Corona-Ambulanzen in der Vulkaneifel versorgt.

Auch in anderen Teilen der Republik werden zusätzliche Behandlungsräume benötigt. Ein Großprojekt soll in zwei Wochen die Situation in Berlin entspannen. In einem Covid-19-Krankenhaus auf dem Messegelände unter dem Funkturm sollen übergangsweise bis zu 1000 Betten eingerichtet werden. Das Projekt soll so lange bestehen bleiben, wie Bedarf besteht. Hier ist Karußeit nicht beteiligt. Er konzentriert sich auf kleinere Gemeinden.

Die Corona-Behandlungsräume in der Vulkaneifel sind erst einmal für sechs Wochen gemietet. Heinz-Peter Thiel, der Landrat, geht davon aus, dass sie länger bleiben, vier Monate vielleicht. Der Preis sei "passend", sagt Thiel. Die Kosten trägt der Landkreis. Extraaufschläge verlange er nicht, sagt Karußeit, bei ihm gelten normale Messepreise, trotz Corona-Zeiten. Seine Mitarbeiter kann er zunehmend aus der Kurzarbeit holen.

Karußeit und sein Team haben weitere Projekte geplant. "Die Anforderungen, die die einzelnen Städte haben, sind ziemlich unterschiedlich. Nachgefragt wird derzeit aber vor allem im ländlichen Raum", sagt er. Immer wieder werden auch zusätzliche Container- oder Zeltlösungen verlangt.

Karußeit arbeitet am Feinschliff seiner Corona-Ambulanzen, etwa an der Lieferung von Krankenhausbetten. Die Kommunikation unter den Messebauern sei rege und kollegial, sagt er. Sie alle hat Corona mit als Erste in wirtschaftlich schwere Zeiten gebracht. "Vielleicht kommen wir da jetzt auch als Erste wieder raus", sagt Karußeit.

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