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Wegen Corona zurück im Job: "Da kommt was auf dich zu" - DER SPIEGEL - Job & Karriere

Dr. Steffen Estel, 68, Nordhausen, Thüringen, Arzt: "Ich bin seit fünf Jahren im Ruhestand. Zuvor habe ich als Kinderchirurg gearbeitet - erst 20 Jahre in der Klinik, seit 1992 dann in einer Praxis für ambulante Operationen, die ich 2015 an meinen Nachfolger übergeben habe. Zunächst habe ich mich komplett aus dem Berufsleben zurückgezogen. Seit anderthalb Jahren helfe ich aber als Prüfer bei den Fachsprachenprüfungen für ausländische Kollegen - weil es so wichtig ist, dass Patienten und Ärzte einander gut verstehen können.

"Wenn man einmal in diesem Beruf ist und dann eine solche Situation eintrifft, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man hilft."

Beim Aufruf der Landesärztekammer, sich als Arzt im Ruhestand in der Corona-Krise bereit zu melden, musste ich nicht lange überlegen. Wenn man einmal in diesem Beruf ist und dann eine solche Situation eintrifft, ist es eigentlich selbstverständlich, dass man hilft. In Thüringen haben sich schon mehr als hundert Ärzte gemeldet, aber auch viele Medizinstudenten - das hätte ich auch nicht anders erwartet.

Unsere Kontaktdaten werden an die zuständigen Gesundheitsämter weitergegeben, die sich melden, sobald sie Hilfe brauchen. In meinem Fall ist das Nordhausen. Ein möglicher Einsatzbereich wäre, in einem Abstrichzentrum bei den Tests zu unterstützen oder auch Hausbesuche zu machen - es müssen ja viele Patienten weiter betreut werden, die mit Corona gar nichts zu tun haben. Die Landesärztekammer weiß ja, dass wir älteren Kollegen auch selbst zur Risikogruppe gehören. Ich habe Vertrauen, dass man uns nicht unbedingt an den Hotspots wie den Beatmungsbetten einsetzen wird.

Mit medizinischen Krisensituationen habe ich leider schon Erfahrungen machen müssen. 1988 war ich in Äthiopien, es war Bürgerkrieg, und am Ostersamstag kam der Klinikdirektor und sagte uns, wir müssten jetzt sofort die chirurgische Station räumen, es kommen sehr viele Kriegsverletzte. Wir mussten den Angehörigen brutal sagen: Nehmt die Patienten mit nach Hause und versorgt sie dort. Wir mussten Entscheidungen treffen, und das war furchtbar, ein Albtraum für jeden Mediziner. Aber man lernt, damit umzugehen: Weil es nicht anders geht und man bei begrenzten Ressourcen nur so maximal helfen kann.

Was unsere Behörden und die Regierung bis jetzt gemacht haben, halte ich für sehr verantwortungsbewusst. Wichtig ist, dass sich aber auch jeder Einzelne seiner Verantwortung bewusst ist - auch für sich selbst: Gerade ältere Menschen brauchen eine gute Struktur für den Tag. Körperliche Bewegung ist wichtig, und wenn es Übungen vor dem offenen Fenster sind. Die Lunge muss belüftet werden, am besten an der frischen Luft und ohne Kontakt zu anderen."

Dr. Thomas Meyer, 67, aus Düsseldorf, Arzt: "Ich war Kinderchirurg mit eigener Praxis in Grevenbroich. Ende vergangenen Jahres bin ich aus meinem Beruf ausgestiegen. Meine Frau ist ebenfalls Medizinerin. Sie hatte über die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein davon erfahren, dass pensionierte Ärzte gesucht werden, um Abstrichuntersuchungen bei potenziell Corona-Erkrankten zu machen, die in häuslicher Quarantäne sind. Über persönliche Kontakte ging dann alles sehr schnell. Ich bin auf Honorarbasis angestellt und werde stündlich bezahlt. Die 200 Euro Stundensatz, von denen in einigen Medien zu lesen ist, sind zumindest für den Raum Düsseldorf zu hoch gegriffen. In den vergangenen drei Wochen war ich an vier Tagen im Düsseldorfer Stadtgebiet im Einsatz.

Gemeinsam mit einem Sanitäter der Feuerwehr starte ich morgens um 8 Uhr. Im Rettungswagen fahren wir eine Liste mit Quarantäne-Patienten ab. Es werden mit jedem Behandlungstag mehr. Zuletzt waren die Tage auch länger als zehn Stunden, und ich habe mehr als ein Dutzend Quarantäne-Haushalte besucht, um Proben zu nehmen. Die Menschen, die ich getroffen habe, sind nicht hysterisch. Meine Erfahrung als Kinderchirurg hilft mir, nicht nur bei Erwachsenen rasch einen guten Draht aufzubauen. Aufregend ist für einige meine Schutzkleidung. Ich trage einen Schutzanzug der Kategorie 3, eine FFP-3-Maske, Schutzbrille und Gummistiefel. Nach jedem Besuch werde ich desinfiziert. All das gibt mir während der Arbeit ein gutes und sicheres Gefühl. Auch nach zehn Stunden.

"Die Entscheidungen, die die Politik bei Corona getroffen hat, waren im Nachhinein betrachtet einfach zu zögerlich."

Letztens fragte mich eine Dame während der Abstrichuntersuchung, ob ich Geld dafür bekäme. Geld ist absolut nicht mein Antrieb, diesen Job zu machen. Ich bin Ende 60 und gehöre nicht zur Hochrisikogruppe, weil ich keine Vorerkrankungen habe. Trotzdem setze ich mich einem Risiko aus und gehe einer ärztlichen Tätigkeit nach. Da finde ich es in Ordnung, dafür entlohnt zu werden. Ich habe davon gehört, wie schwer es ist, pensionierte Ärzte für Abstrichuntersuchungen zu gewinnen. Dafür habe ich volles Verständnis - dennoch bin ich für mich froh, dass ich helfen kann.

Ich bin gespannt auf die nächsten Wochen, darauf, wann der Peak dieses Virus erreicht ist. Die Arbeitsbelastung wird noch zunehmen, davon gehe ich aus. Die Entscheidungen, die die Politik bei Corona getroffen hat, waren im Nachhinein betrachtet einfach zu zögerlich."

Michael Wiener, 68, bearbeitet jetzt wieder für die Bundesagentur für Arbeit in Oldenburg Anträge auf Kurzarbeit: "Meine Frau hatte schon gesagt: 'Da kommt was auf dich zu.' Ich habe das nicht geglaubt, aber dann kam die E-Mail meiner ehemaligen Kollegen: Bei ihnen gehen derzeit so viele Anträge auf Kurzarbeit ein, dass sie gar nicht mehr hinterherkommen. Ich bin seit fünf Jahren aus dem Job raus und habe ihn eigentlich nicht vermisst. Aber ich weiß, was es heißt, wenn man absäuft und deshalb habe ich keine Sekunde gezögert und meine Hilfe angeboten.

Ich habe jetzt einen Vertrag über 20 Stunden pro Woche, aber meine Arbeitszeit geht eher an die 40 Stunden ran. Während der Bankenkrise 2008 und 2009 hatten wir auch unglaublich viele Anträge auf Kurzarbeit, aber jetzt sind es mindestens doppelt, wenn nicht gar dreifach so viele, das ist wirklich immens. Und die meisten Anträge kommen von Firmen, die noch nie Kurzarbeit beantragt haben und sich deshalb nicht auskennen und entsprechen viele Fragen haben.

Während der Bankenkrise sind wir zu den Firmen hingefahren, um persönlich mit der Leitung und einem Vertreter der Arbeitnehmer zu sprechen. Das geht jetzt natürlich nicht, nun muss alles online oder per Telefon geklärt werden.

Es war nicht ganz einfach, bei mir zu Hause einen Arbeitsplatz mit allen Zugängen einzurichten, und das Internet ist nicht immer stabil, aber im Großen und Ganzen klappt es. Ich habe mich schnell wieder eingearbeitet, ich habe den Job ja auch mehr als 40 Jahre lang gemacht, 29 davon als Führungskraft. Da vergisst man Arbeitsabläufe nicht so schnell.

Kurzarbeitsanträge habe ich immer gerne bearbeitet, es gibt nichts, was abwechslungsreicher wäre. Man hat mit vielen verschiedenen Menschen zu tun, lernt viel Neues kennen und ist in den meisten Fällen in der glücklichen Lage, Geld vergeben zu dürfen.

Die Anträge haben sich auch nur in Nuancen verändert seit ich im Ruhestand bin, die Grundvorschriften sind gleichgeblieben. Und im Grunde werden im Moment sowieso alle Anträge bewilligt, eigentlich muss man nur die Fristen einhalten und die Grundvoraussetzung erfüllen und Arbeitnehmer beschäftigen. Tatsächlich möchten nun viele Kurzarbeit anmelden, die gar keine Mitarbeiter haben. Das geht natürlich nicht. Mit ein paar freundlichen Worten lässt sich sowas aber in der Regel schnell klären.

Mein Vertrag ist auf drei Monate befristet. Zur Not könnte ich aber auch noch länger einspringen. Für mich ist jetzt das Wichtigste, meine Kollegen zu unterstützen. Mit ihnen habe ich schon verabredet, dass wir zusammen ein Bier trinken gehen, wenn das alles vorbei ist."

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