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Jobprotokoll eines Apothekers: "Beruhigen, auch das ist in so einer Phase mein Job" - DER SPIEGEL - Job & Karriere

Ein Apotheker erzählt "Beruhigen, auch das ist jetzt mein Job"

Seit 44 Jahren ist Ulrich Schlotmann Apotheker. Eine Situation wie jetzt wegen des Coronavirus hat er aber auch noch nicht erlebt. Dabei ist Hysterie vollkommen unangebracht, sagt er.

"Auch wenn ich diesen Beruf schon viele Jahre mache, ist die momentane Situation für mich und mein Team außergewöhnlich. Das Kundenaufkommen ist höher als zu normalen Zeiten im Jahr. Gerade klingelt häufig das Telefon, der Bedarf nach Beratung ist größer. Auch bei uns in der Apotheke sind Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel nicht mehr erhältlich. Atemschutzmasken bereits seit einigen Wochen nicht mehr.

Beim Desinfektionsmittel habe ich bereits den Versuch unternommen, selbst welches anzumischen, das wir an Kunden rausgeben können. Da jedoch auch Isopropyl-Alkohol gerade nicht zu bekommen ist, ist auch das äußerst schwierig. Für meine Mitarbeiter sind jedoch ausreichend Desinfektionsmittel vorhanden, anders würde es nicht funktionieren. Gerade hier ist die Handhygiene besonders wichtig und muss gewährleistet sein. Wir kommen häufig in Kontakt mit Wechselgeld und Rezepten, die potenziell Viren übertragen könnten. Drei meiner Mitarbeiterinnen sind momentan noch für acht Tage krankgeschrieben. Das macht die Situation nicht einfacher - Fehlzeiten während einer Krankheitswelle sind aber nichts, was neu für uns wäre.

Ulrich Schlotmann, 69, hat Pharmazie in Bonn studiert und ist seit 1981 Inhaber einer Apotheke in Goch am Niederrhein. Schlotmann ist Pressebeauftragter für die Apothekerkammer am unteren Niederrhein.

Corona ist Neuland, das erforscht werden muss

Es gibt andere Dinge, die mir deutlich mehr Sorgen bereiten. Zum einen das mangelnde Interesse der Menschen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Gerade jetzt spricht über die normale Grippe keiner mehr. Das macht mich wütend. Da ist in der Bevölkerung auch eine Verweigerungshaltung. Laut Robert Koch-Institut verursachen saisonale Grippewellen jährlich zwischen einer und sieben Millionen zusätzliche Arztbesuche. Viele davon könnten vermieden werden.

Beim Coronavirus - das merke ich auch im Kontakt mit meinen Kunden - ist es so, dass vieles noch nicht greifbar ist: Infektionswege, Infektionsdauer, wie sich das Virus bei Kindern und Schwangeren verhält. Das Coronavirus ist Neuland, das noch erforscht werden muss. Ich gehe davon aus, dass die Zahl der laborbestätigten Fälle in den nächsten Wochen deutlich zunehmen wird. Das kann bei Zusatzmedikationen zu Engpässen führen. Wir hatten zeitweise etwa kein Ibuprofen. Rohstoffe wie Novaminsulfon kommen zu großen Teilen aus Asien. Medikamente können auch hier nicht produziert werden, wenn diese Rohstoffe fehlen. Da tun sich große Löcher auf. Für mich ist das ein ernsthaftes Politikum.

"Wenn ich die Hamsterkäufe im Supermarkt sehe, irritiert mich das"

Die derzeitige Situation bei Corona ist auch mit anderen Viruserkrankungen nicht zu vergleichen. Ebola war nicht so nah dran, da waren Menschen in gelben Schutzanzügen an Flughäfen - das war hier in Goch weit weg. Jetzt ist Heinsberg knapp 100 Kilometer entfernt. Panik muss aber auch hier in der Stadt niemand haben. Wir haben derzeit noch keinen bestätigten Corona-Fall in der Stadt. Wenn ich die Hamsterkäufe im Supermarkt sehe, dann irritiert mich das. Ich kann die Menschen aufklären. Ihnen raten, sich die Hände mit einer Kernseife zu waschen und sich ausreichend an der frischen Luft zu bewegen. Menschen beruhigen, auch das ist in so einer Phase mein Job."

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