Am 17. März 2012 erscheint auf dem Youtube-Kanal eines Österreichischen Musikers ein Video. Zwei Männer mit Kapuzenpullovern sitzen vor Keyboard und Mischpult, ein Dritter steht vor einem MacBook und rappt ein paar Zeilen, die er dort offensichtlich getippt hat. Aus den Boxen dröhnen dumpfe Klänge, verzogene Synthesizer und anklagende Bässe. Der junge Mann, der spricht, erzählt von einem Verlust, irrt ziellos lyrische Gassen entlang. Einen Monat später erscheint das dazugehörige Musikvideo, in regelmäßigen Abständen folgen weitere. Gerard heißt der Mann hinter den Geschichten, die Titel wie „Verschwommen", „Lissabon" oder „Standby" tragen und vom Scheitern der Liebe, Verlustängsten und der Suche nach der richtigen Rolle im Leben erzählen. Am 20. September 2013, anderthalb Jahre später, erscheint nun „Blausicht", der langersehnte Tonträger des gebürtigen Welsers, der all diese Themen in liebevoller Detailarbeit zu einem tiefgründigen Gesamtwerk vereint.
„Blausicht", erzählt Gerard, das sei „eine Wortschöpfung aus ‚ins Blaue leben', dabei Dinge auszuprobieren und nicht zu wissen, wozu sie führen und gleichzeitig der ‚Aussicht' auf das weitere Leben und die Zukunft." Und genauso schmiegen sich die insgesamt 13 Anspielstationen an die Worte des Österreichers an, wenn er im Titeltrack erklärt: „Realistisch sein ist Schwachsinn. Unmögliches versuchen, um das Möglichste zu schaffen." In den folgenden Liedern beschwert er sich über die verpassten Revolutionen älterer Generation; fordert diese auf: „Gebt uns unsere Illusionen wieder." Wenige Minuten später will Gerard dann schon „alles jetzt", verortet sich selbst im eigenen Kosmos. Was dort aus dem Österreicher sprudelt, ist bildstark und wortgewaltig, teils schwer greifbar aber beim Nachdenken doch so verständlich und allgegenwärtig. Das Nachdenken über das Alltägliche lässt sich bei keiner der Kompositionen von der Hand weisen. Er selbst sei ein eher reflektierter Mensch, erklärt Gerald Hoffmann, wie der Oberösterreicher mit bürgerlichem Namen heißt, im persönlichen Gespräch. „Ich denke sehr viel über mich und andere nach. Wenn ich im Bus sitze und jemand telefoniert, dann frage ich mich, wo sich unsere Ansichten unterscheiden, wie wohl sein Alltag ist." Immer wieder beschreiben seine Lieder genau diese Situationen. Nicht immer werden die Texte dabei konkret und so wird „Blausicht" von unzähligen, lyrischen Bildern getragen, welche die Situationen, die man selbst immer wieder erfährt, jedes mal auf ein Neues hörenswert erscheinen lassen.
Weiter geht es mit Songs wie „Lissabon" und „Verschwommen", die erst schöne Stunden voller Gemeinsamkeit beschrieben nur um zugleich den Rausch einer Trennung zu verarbeiten. Ob er im Folgenden davon spricht, die Welt zu erobern, von der „zugekoksten" Frau neben ihm auf dem Sofa singt oder einfach von „Nichts" erzählt - stets begleitet wird Hoffmans einprägsame Stimme von brachialen Instrumentals. „Britische Breakbeats" nennt ein aktueller Pressetext das. Mit einfachen Worten lassen sich die sauber gemischten Tracks eben auch nur schwerlich beschrieben: Da raschelt und plätschert es, da jaulen und fiepen Synthesizer, da dröhnen und knacken die Bässe, da klappert die Snare auf Hochtouren im Hintergrund und da brauen sich Loops und Sirenen zur Untermalung der wortgewaltigen Hooks zusammen. Gerard kommt mit einer Ausnahme gänzlich ohne musikalische Unterstützung aus. Lediglich auf dem Track „Atme die Stadt" eilt ihm die Formation „OK KID" zu Hilfe, die Gerard erst kürzlich auf deren Debüt-Album unterstützte. Ohne sich auf andere Gäste einstellen zu müssen, gelingt es Hoffmann, seine Geschichten und seine markante Stimme über dreizehn Titel hinweg exzellent auszubreiten.
Ob Gerard mit seinem Album zu kommerziellem Erfolg kommen wird, das bleibt bei den teils ungewöhnlichen Kompositionen fraglich. Wünschenswert, dass seine Botschaften bei möglichst vielen Menschen Anklang finden, wäre es aber definitiv. Mit „Blausicht" gelingt es dem heutigen Wiener, sich souverän in der Liste der besten fünf Rap-Alben des Jahres zu platzieren - und das in einem Jahr in dem urbane Musik so erfolgreich war, wie es lange kaum für möglich gehalten wurde.
| Das Album „Blausicht" erscheint am 20. September 2013 und ist über Amazon in verschiedenen Editionen vorbestellbar.
| Gerard geht mit Unterstützung von VBT-Newcomer „Pimf" im November auf Tournee durch Deutschland und Österreich. Karten sind unter anderem über Eventim zu beziehen.
| Wir danken Gerald Hoffmann für seine Musik und zwei tolle Gespräche auf dem Splash!-Festival und dem HipHop-Open im Juli 2013 und Sherin Kürten von Classic Media für die gute Zusammenarbeit.
| Fotos: Doppelpack-Journalismus (Florian Gehm & Tom Schliemann)